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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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"Es muß ein neues Evangelium kommen!" Dieser hingeworfene Einfall Lessing's
war ihre Lieblingswendung; da nun aber Gott sich ihnen nicht unmittelbar ent¬
hüllte, da einzelne Visionare und Wunderthäter, denen diese Gunst zu Theil
wurde, zu tief unter dem Niveau der allgemeine" Bildung standen, als daß die
Coterie der schönen Geister sich näher mit ihnen hätten einlassen können, so such¬
ten sie ihre Gluth an alten Aschenhänfchen zu entzünden. Wie das römische Pan¬
theon sollte die neue Religion ein Asyl für alle Göttergestalten sein, von dem
ägyptischen Apis an, bis zur kirchlichen Trinität. Nicht allein alle Mythen und
Mysterien sollten aufgespeichert werden, wo in der Poesie und Spekulation etwas
Mystisches, d. h. Verschrobenes vorgekommen war, da mußte es herhalten für die
neue Religion, Schelling's Naturphilosophie nicht minder wie der transcendentale
Idealismus, deu keiner von diesen Dilettanten verstand. Und dieser ganze unor¬
ganische Stoff sollte geweiht werden durch die Salbung des priesterlichen Poeten,
der sie vortrug.

Dem materiellen Inhalt nach unterscheidet sich freilich Danaer's Neligions-
project wesentlich von den Nebelbildern unserer Romantik. Nicht unklare und
trübe Ingredienzien sollen zu dem neuen Feuertrank der Begeisterung verwendet
werden, sondern helle und schöne. Die besten Dichter und Philosophen sollen
beisteuern. Dagegen ist es mit der formalen Berechtigung um nichts besser bestellt.
Die Stosse sind da, aber es fehlt der elektrische Funke, der eine neue Geburt aus
ihnen erwecken könnte.

Und selbst der Inhalt bleibt nicht ungetrübt. Die Auswahl der Sprüche
zum neuen Evangelium bestimmt sich nach ihrem Gegensatz gegen die letzte, ver¬
haßte Form der göttlichen Offenbarung, den Spiritualismus des Christenthums.
Das Recht der Sinnlichkeit, der Natur, wird gegen das Recht des Geistes, und
ich darf wohl hinzusetzen, gegen das Recht der Geschichte in die Schranken geführt;
aus eine ähnliche Weise, wie es Schiller in seinen Göttern Griechenlands gethan.
Wer hat dies schöne Gedicht ohne Theilnahme gelesen! wer ist nicht einmal von
der Schilderung jenes heidnischen Paradieses gerührt worden, wo --


Nach der Geister schrecklichen Gesetzen
Richtete kein heiliger Barbar,
Dessen Augen Thränen nie benetzen,
Zarte Wesen, die ein Weib gebar.

Was hilft es? die Kindheit kann nicht ewig dauern, die Geschichte richtet
allerdings uach der Geister schrecklichen Gesetzen. Eine Generation von Hafisen,
und die Cultur wäre zu Ende, die Zeit stände still, das Menschengeschlecht ginge
unter, um einer neuen Schöpfung Platz zu macheu. Noch hat die Welt niemals
verlernt zu lieben, sich zu berauschen, zu genießen; aber zu ernst klingen die Akkorde
der Weltgeschichte, um sie auf diese leichtfertige Melodie zu bauen.

Das Evangelium der Lust hat nicht die productive Kraft zu einer Religion.


„Es muß ein neues Evangelium kommen!" Dieser hingeworfene Einfall Lessing's
war ihre Lieblingswendung; da nun aber Gott sich ihnen nicht unmittelbar ent¬
hüllte, da einzelne Visionare und Wunderthäter, denen diese Gunst zu Theil
wurde, zu tief unter dem Niveau der allgemeine» Bildung standen, als daß die
Coterie der schönen Geister sich näher mit ihnen hätten einlassen können, so such¬
ten sie ihre Gluth an alten Aschenhänfchen zu entzünden. Wie das römische Pan¬
theon sollte die neue Religion ein Asyl für alle Göttergestalten sein, von dem
ägyptischen Apis an, bis zur kirchlichen Trinität. Nicht allein alle Mythen und
Mysterien sollten aufgespeichert werden, wo in der Poesie und Spekulation etwas
Mystisches, d. h. Verschrobenes vorgekommen war, da mußte es herhalten für die
neue Religion, Schelling's Naturphilosophie nicht minder wie der transcendentale
Idealismus, deu keiner von diesen Dilettanten verstand. Und dieser ganze unor¬
ganische Stoff sollte geweiht werden durch die Salbung des priesterlichen Poeten,
der sie vortrug.

Dem materiellen Inhalt nach unterscheidet sich freilich Danaer's Neligions-
project wesentlich von den Nebelbildern unserer Romantik. Nicht unklare und
trübe Ingredienzien sollen zu dem neuen Feuertrank der Begeisterung verwendet
werden, sondern helle und schöne. Die besten Dichter und Philosophen sollen
beisteuern. Dagegen ist es mit der formalen Berechtigung um nichts besser bestellt.
Die Stosse sind da, aber es fehlt der elektrische Funke, der eine neue Geburt aus
ihnen erwecken könnte.

Und selbst der Inhalt bleibt nicht ungetrübt. Die Auswahl der Sprüche
zum neuen Evangelium bestimmt sich nach ihrem Gegensatz gegen die letzte, ver¬
haßte Form der göttlichen Offenbarung, den Spiritualismus des Christenthums.
Das Recht der Sinnlichkeit, der Natur, wird gegen das Recht des Geistes, und
ich darf wohl hinzusetzen, gegen das Recht der Geschichte in die Schranken geführt;
aus eine ähnliche Weise, wie es Schiller in seinen Göttern Griechenlands gethan.
Wer hat dies schöne Gedicht ohne Theilnahme gelesen! wer ist nicht einmal von
der Schilderung jenes heidnischen Paradieses gerührt worden, wo —


Nach der Geister schrecklichen Gesetzen
Richtete kein heiliger Barbar,
Dessen Augen Thränen nie benetzen,
Zarte Wesen, die ein Weib gebar.

Was hilft es? die Kindheit kann nicht ewig dauern, die Geschichte richtet
allerdings uach der Geister schrecklichen Gesetzen. Eine Generation von Hafisen,
und die Cultur wäre zu Ende, die Zeit stände still, das Menschengeschlecht ginge
unter, um einer neuen Schöpfung Platz zu macheu. Noch hat die Welt niemals
verlernt zu lieben, sich zu berauschen, zu genießen; aber zu ernst klingen die Akkorde
der Weltgeschichte, um sie auf diese leichtfertige Melodie zu bauen.

Das Evangelium der Lust hat nicht die productive Kraft zu einer Religion.


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[0338] „Es muß ein neues Evangelium kommen!" Dieser hingeworfene Einfall Lessing's war ihre Lieblingswendung; da nun aber Gott sich ihnen nicht unmittelbar ent¬ hüllte, da einzelne Visionare und Wunderthäter, denen diese Gunst zu Theil wurde, zu tief unter dem Niveau der allgemeine» Bildung standen, als daß die Coterie der schönen Geister sich näher mit ihnen hätten einlassen können, so such¬ ten sie ihre Gluth an alten Aschenhänfchen zu entzünden. Wie das römische Pan¬ theon sollte die neue Religion ein Asyl für alle Göttergestalten sein, von dem ägyptischen Apis an, bis zur kirchlichen Trinität. Nicht allein alle Mythen und Mysterien sollten aufgespeichert werden, wo in der Poesie und Spekulation etwas Mystisches, d. h. Verschrobenes vorgekommen war, da mußte es herhalten für die neue Religion, Schelling's Naturphilosophie nicht minder wie der transcendentale Idealismus, deu keiner von diesen Dilettanten verstand. Und dieser ganze unor¬ ganische Stoff sollte geweiht werden durch die Salbung des priesterlichen Poeten, der sie vortrug. Dem materiellen Inhalt nach unterscheidet sich freilich Danaer's Neligions- project wesentlich von den Nebelbildern unserer Romantik. Nicht unklare und trübe Ingredienzien sollen zu dem neuen Feuertrank der Begeisterung verwendet werden, sondern helle und schöne. Die besten Dichter und Philosophen sollen beisteuern. Dagegen ist es mit der formalen Berechtigung um nichts besser bestellt. Die Stosse sind da, aber es fehlt der elektrische Funke, der eine neue Geburt aus ihnen erwecken könnte. Und selbst der Inhalt bleibt nicht ungetrübt. Die Auswahl der Sprüche zum neuen Evangelium bestimmt sich nach ihrem Gegensatz gegen die letzte, ver¬ haßte Form der göttlichen Offenbarung, den Spiritualismus des Christenthums. Das Recht der Sinnlichkeit, der Natur, wird gegen das Recht des Geistes, und ich darf wohl hinzusetzen, gegen das Recht der Geschichte in die Schranken geführt; aus eine ähnliche Weise, wie es Schiller in seinen Göttern Griechenlands gethan. Wer hat dies schöne Gedicht ohne Theilnahme gelesen! wer ist nicht einmal von der Schilderung jenes heidnischen Paradieses gerührt worden, wo — Nach der Geister schrecklichen Gesetzen Richtete kein heiliger Barbar, Dessen Augen Thränen nie benetzen, Zarte Wesen, die ein Weib gebar. Was hilft es? die Kindheit kann nicht ewig dauern, die Geschichte richtet allerdings uach der Geister schrecklichen Gesetzen. Eine Generation von Hafisen, und die Cultur wäre zu Ende, die Zeit stände still, das Menschengeschlecht ginge unter, um einer neuen Schöpfung Platz zu macheu. Noch hat die Welt niemals verlernt zu lieben, sich zu berauschen, zu genießen; aber zu ernst klingen die Akkorde der Weltgeschichte, um sie auf diese leichtfertige Melodie zu bauen. Das Evangelium der Lust hat nicht die productive Kraft zu einer Religion.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/338>, abgerufen am 21.06.2024.