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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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schon aus dem Glauben an die Existenz eines außerweltlichen absoluten Wesens
der ganze Wunderglaube und der ganze Jesuitismus ableiten. Aber man thut es
nicht, man ist nicht consequent, und das ist ganz in der Ordnung.

Danaer sucht hinter jedem der verschiedenen Einfälle, die er in den christli¬
chen Schriften austreibt, eiuen realen Ernst. Wenn er den Spruch liest: So
dir Jemand einen Streich gibt auf den einen Backen, so biete ihm den andern;
so erschöpft er sich in ebenso heftigen als umständlichen Auseinandersetzungen, daß
ein solches Verfahren ebenso zweckwidrig als unmoralisch ist. Aber wenn sein
Freund Hafis das Saufen empfiehlt, so setzt der Ausleger hinzu: natürlich ist
das nur symbolisch zu verstehe"; nicht die physische Trunkenheit soll gepriesen wer¬
den, sondern eine andere, höhere. Also dem Propheten der neuen Religion soll
erlaubt sein, in Symbolen zu reden, was man den alten versagt! Es liegt doch
wohl ans der Hand, daß auch jeuer Spruch nicht so wörtlich gemeint ist, sondern
nur die Kraft der Selbstverleugnung einschärfen soll, die in ihrer Abstraktion un^
gesund und meinetwegen lächerlich, als Kritik des überreizbaren germanischen Ehr¬
gefühls sehr heilsam gewirkt hat. Seinen richtigen Ausdruck findet jener Spruch
in einer altheidnischen Erzählung. Als Themistokles den Enrybiadas zur Schlacht
bei Salamis zu überreden suchte, und der hitzige Spartaner, der ihn nicht wider¬
legen konnte, mit Schlägen über ihn herfuhr, sagte ihm Jener gelassen: Schlage
mich immerhin, aber höre nur dabei meine Gründe an. -- In dieser Geschichte
ist die moralische Lehre so weit wahr und so weit unwahr, als sie überhaupt in
einem einzelnen Fall sich aussprechen kann. -- Daß aber die Widersinnigkeit des
Extrems gegen das Princip selber nichts erweist, zeigt Hafis am besten, der un¬
aufhörlich in Bildern die Demuth vor seinen verschiedenen Geliebten ausdrückt,
der z. B. beständig den Staub zu ihren Füßen küssen will, was ein sehr unzweck¬
mäßiges und widersinniges Verfahren ist, ohne daß damit die Empfindung der
Liebe selbst widerlegt wäre. Die Liebe hat eben ihre Raserei wie der Glaube auch.

Das uaturfcindliche Princip des Christenthums hat sich selber aufgehoben.
Freilich hat das Christenthum als solches an Jntenstvität soviel eingebüßt, daß
es nicht mehr daran denken kann, die Welt zu beherrschen, ihr eine neue Bahn
anzuweisen. Es in seiner alten Herrlichkeit wieder herzustellen, wie es romantische
Katholiken'und Protestanten versuchen, will nicht gelingen, weil es eine Phalanx
wissenschaftlicher Gewißheit und staatlicher Ordnung vorfindet, die es nicht mehr
durchbrechen kann. Sehen wir zu, wie es sich mit dem neuen Glauben verhält,
welchen Danaer an seine Stelle zu setzen hofft.




Bekanntlich trug sich die romantische Schule, Schleiermacher, Schelling u. s. w.
mit eingerechnet, ehe sie sich im Bewußtsein ihrer Ohnmacht in die alte, historisch
sicher gestellte Kirche resignirte, lebhaft mit der Gründung einer neuen Religion.


Grenzboten. >- 1850. 42

schon aus dem Glauben an die Existenz eines außerweltlichen absoluten Wesens
der ganze Wunderglaube und der ganze Jesuitismus ableiten. Aber man thut es
nicht, man ist nicht consequent, und das ist ganz in der Ordnung.

Danaer sucht hinter jedem der verschiedenen Einfälle, die er in den christli¬
chen Schriften austreibt, eiuen realen Ernst. Wenn er den Spruch liest: So
dir Jemand einen Streich gibt auf den einen Backen, so biete ihm den andern;
so erschöpft er sich in ebenso heftigen als umständlichen Auseinandersetzungen, daß
ein solches Verfahren ebenso zweckwidrig als unmoralisch ist. Aber wenn sein
Freund Hafis das Saufen empfiehlt, so setzt der Ausleger hinzu: natürlich ist
das nur symbolisch zu verstehe«; nicht die physische Trunkenheit soll gepriesen wer¬
den, sondern eine andere, höhere. Also dem Propheten der neuen Religion soll
erlaubt sein, in Symbolen zu reden, was man den alten versagt! Es liegt doch
wohl ans der Hand, daß auch jeuer Spruch nicht so wörtlich gemeint ist, sondern
nur die Kraft der Selbstverleugnung einschärfen soll, die in ihrer Abstraktion un^
gesund und meinetwegen lächerlich, als Kritik des überreizbaren germanischen Ehr¬
gefühls sehr heilsam gewirkt hat. Seinen richtigen Ausdruck findet jener Spruch
in einer altheidnischen Erzählung. Als Themistokles den Enrybiadas zur Schlacht
bei Salamis zu überreden suchte, und der hitzige Spartaner, der ihn nicht wider¬
legen konnte, mit Schlägen über ihn herfuhr, sagte ihm Jener gelassen: Schlage
mich immerhin, aber höre nur dabei meine Gründe an. — In dieser Geschichte
ist die moralische Lehre so weit wahr und so weit unwahr, als sie überhaupt in
einem einzelnen Fall sich aussprechen kann. — Daß aber die Widersinnigkeit des
Extrems gegen das Princip selber nichts erweist, zeigt Hafis am besten, der un¬
aufhörlich in Bildern die Demuth vor seinen verschiedenen Geliebten ausdrückt,
der z. B. beständig den Staub zu ihren Füßen küssen will, was ein sehr unzweck¬
mäßiges und widersinniges Verfahren ist, ohne daß damit die Empfindung der
Liebe selbst widerlegt wäre. Die Liebe hat eben ihre Raserei wie der Glaube auch.

Das uaturfcindliche Princip des Christenthums hat sich selber aufgehoben.
Freilich hat das Christenthum als solches an Jntenstvität soviel eingebüßt, daß
es nicht mehr daran denken kann, die Welt zu beherrschen, ihr eine neue Bahn
anzuweisen. Es in seiner alten Herrlichkeit wieder herzustellen, wie es romantische
Katholiken'und Protestanten versuchen, will nicht gelingen, weil es eine Phalanx
wissenschaftlicher Gewißheit und staatlicher Ordnung vorfindet, die es nicht mehr
durchbrechen kann. Sehen wir zu, wie es sich mit dem neuen Glauben verhält,
welchen Danaer an seine Stelle zu setzen hofft.




Bekanntlich trug sich die romantische Schule, Schleiermacher, Schelling u. s. w.
mit eingerechnet, ehe sie sich im Bewußtsein ihrer Ohnmacht in die alte, historisch
sicher gestellte Kirche resignirte, lebhaft mit der Gründung einer neuen Religion.


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[0337] schon aus dem Glauben an die Existenz eines außerweltlichen absoluten Wesens der ganze Wunderglaube und der ganze Jesuitismus ableiten. Aber man thut es nicht, man ist nicht consequent, und das ist ganz in der Ordnung. Danaer sucht hinter jedem der verschiedenen Einfälle, die er in den christli¬ chen Schriften austreibt, eiuen realen Ernst. Wenn er den Spruch liest: So dir Jemand einen Streich gibt auf den einen Backen, so biete ihm den andern; so erschöpft er sich in ebenso heftigen als umständlichen Auseinandersetzungen, daß ein solches Verfahren ebenso zweckwidrig als unmoralisch ist. Aber wenn sein Freund Hafis das Saufen empfiehlt, so setzt der Ausleger hinzu: natürlich ist das nur symbolisch zu verstehe«; nicht die physische Trunkenheit soll gepriesen wer¬ den, sondern eine andere, höhere. Also dem Propheten der neuen Religion soll erlaubt sein, in Symbolen zu reden, was man den alten versagt! Es liegt doch wohl ans der Hand, daß auch jeuer Spruch nicht so wörtlich gemeint ist, sondern nur die Kraft der Selbstverleugnung einschärfen soll, die in ihrer Abstraktion un^ gesund und meinetwegen lächerlich, als Kritik des überreizbaren germanischen Ehr¬ gefühls sehr heilsam gewirkt hat. Seinen richtigen Ausdruck findet jener Spruch in einer altheidnischen Erzählung. Als Themistokles den Enrybiadas zur Schlacht bei Salamis zu überreden suchte, und der hitzige Spartaner, der ihn nicht wider¬ legen konnte, mit Schlägen über ihn herfuhr, sagte ihm Jener gelassen: Schlage mich immerhin, aber höre nur dabei meine Gründe an. — In dieser Geschichte ist die moralische Lehre so weit wahr und so weit unwahr, als sie überhaupt in einem einzelnen Fall sich aussprechen kann. — Daß aber die Widersinnigkeit des Extrems gegen das Princip selber nichts erweist, zeigt Hafis am besten, der un¬ aufhörlich in Bildern die Demuth vor seinen verschiedenen Geliebten ausdrückt, der z. B. beständig den Staub zu ihren Füßen küssen will, was ein sehr unzweck¬ mäßiges und widersinniges Verfahren ist, ohne daß damit die Empfindung der Liebe selbst widerlegt wäre. Die Liebe hat eben ihre Raserei wie der Glaube auch. Das uaturfcindliche Princip des Christenthums hat sich selber aufgehoben. Freilich hat das Christenthum als solches an Jntenstvität soviel eingebüßt, daß es nicht mehr daran denken kann, die Welt zu beherrschen, ihr eine neue Bahn anzuweisen. Es in seiner alten Herrlichkeit wieder herzustellen, wie es romantische Katholiken'und Protestanten versuchen, will nicht gelingen, weil es eine Phalanx wissenschaftlicher Gewißheit und staatlicher Ordnung vorfindet, die es nicht mehr durchbrechen kann. Sehen wir zu, wie es sich mit dem neuen Glauben verhält, welchen Danaer an seine Stelle zu setzen hofft. Bekanntlich trug sich die romantische Schule, Schleiermacher, Schelling u. s. w. mit eingerechnet, ehe sie sich im Bewußtsein ihrer Ohnmacht in die alte, historisch sicher gestellte Kirche resignirte, lebhaft mit der Gründung einer neuen Religion. Grenzboten. >- 1850. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/337>, abgerufen am 21.06.2024.