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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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es mehrere Jahrhunderte hindurch die alte Welt in ihren Tiefen durchwühlt, warf
es sich mit aller Gluth einer überirdischen Ekstase auf die äußerlichen Gegner.
Das Kreuz in der Hand, bändigte der Repräsentant der christlich-römischen Welt¬
bildung, der Papst mit seiner Legion von Priestern und Mönchen, die trotzigen
Barbaren des Nordens; in unermüdlicher Ausdauer rang er mit den Gewalti¬
gen der Erde, bis sie endlich alle zu seinen Füßen lagen , und nun auf seinen
Wink die christlich-germanische Ritterschaft wie eine Windsbraut sich über den Orient
ergoß. Was sie suchten, das heilige Grab, trug ihnen keine Frucht; aber sie
brachten eine neue Poesie und die Wunder der antiken Bildung mit sich zurück.
Als nnn in der Fülle der neuen Anschauungen die alte Zerfahrenheit des Skep¬
ticismus und des Unglaubens von Neuem sich geltend machen wollte, da erhob
sich zum zweitenmal zornig der christliche Geist. Durch seine Propheten, Luther,
Calvin, Knox, die Puritaner; durch die Jesuiten und Jansenisten, denn auch sie
waren Träger der neuen Zeit, wurde das alte Staatensystem gestürzt, eine neue
Sittlichkeit hergestellt, der Dualismus von Kirche und Staat aufgehoben.
Die bürgerliche Gesellschaft, die früher das Christenthum außer sich gehabt hatte,
wurde nun nach christlichen Principien gemessen. Endlich, als die äußere Thätig¬
keit des Geistes sich erfülle hatte, ging er in der Philosophie in sich selber zurück,
und erkannte mit Staunen, daß die Werke Gottes, die Wunder, die er mit
Schaudern verehrt, seine eignen waren, daß er vor seinem eignen Wesen im
Staube gelegen.

Diese Selbsterkenntniß des Christenthums in der Wissenschaft, welche in der
Geschichte nicht nur die hellen und die dunkeln Wege erträgt, und daher wohl
zu unterscheiden ist von der Flachheit des alten Nationalismus, der das Moment
des Widerspruchs aus der Geschichte ausließ, um nie aus seinen gewohnten vier.
Pfählen herauszutreten -- diese Selbsterkenntniß ist nicht nnr der Abschluß der
christlichen Geschichte, nicht reine Negation der Vergangenheit, sondern ein Proceß,
der die christliche Bildung als ein Moment der neuen Bildung in ihr Recht setzt.
Ob wir uns Christen nennen wollen oder nicht, ist eine sehr gleickgiltige Frage;
die neue Bildung ist von der Art, daß sie das Christenthum als nothwendige
Vorstufe voraussetzt; sie ist aber zugleich auch Aufhebung des Christenthums in
seiner frühern Form.

Denn darüber dürfen wir uns namentlich in der jetzigen Zeit, wo die an¬
geblichen Gläubigen des altbiblischen Christenthums mit großem Selbstgefühl von
allen Seiten wieder auftauchen, keine Illusion machen: gegen dieses Christen-
thum stehn wir in eiuer unbedingten, feindseligen, und durch keine Vermittelung
aufzuhebenden Opposition. Die Wissenschaft duldet nicht mehr den Wunderglau¬
ben -- d. h. die Gedankenlosigkeit in der Anschauung der Natur, und unsere sitt¬
liche Ueberzeugung duldet uicht mehr die Selbstentäußerung, das Ausgeben der
eignen Freiheit, die Abschwächung der eignen Kraft zu Gunsten einer Macht, die


es mehrere Jahrhunderte hindurch die alte Welt in ihren Tiefen durchwühlt, warf
es sich mit aller Gluth einer überirdischen Ekstase auf die äußerlichen Gegner.
Das Kreuz in der Hand, bändigte der Repräsentant der christlich-römischen Welt¬
bildung, der Papst mit seiner Legion von Priestern und Mönchen, die trotzigen
Barbaren des Nordens; in unermüdlicher Ausdauer rang er mit den Gewalti¬
gen der Erde, bis sie endlich alle zu seinen Füßen lagen , und nun auf seinen
Wink die christlich-germanische Ritterschaft wie eine Windsbraut sich über den Orient
ergoß. Was sie suchten, das heilige Grab, trug ihnen keine Frucht; aber sie
brachten eine neue Poesie und die Wunder der antiken Bildung mit sich zurück.
Als nnn in der Fülle der neuen Anschauungen die alte Zerfahrenheit des Skep¬
ticismus und des Unglaubens von Neuem sich geltend machen wollte, da erhob
sich zum zweitenmal zornig der christliche Geist. Durch seine Propheten, Luther,
Calvin, Knox, die Puritaner; durch die Jesuiten und Jansenisten, denn auch sie
waren Träger der neuen Zeit, wurde das alte Staatensystem gestürzt, eine neue
Sittlichkeit hergestellt, der Dualismus von Kirche und Staat aufgehoben.
Die bürgerliche Gesellschaft, die früher das Christenthum außer sich gehabt hatte,
wurde nun nach christlichen Principien gemessen. Endlich, als die äußere Thätig¬
keit des Geistes sich erfülle hatte, ging er in der Philosophie in sich selber zurück,
und erkannte mit Staunen, daß die Werke Gottes, die Wunder, die er mit
Schaudern verehrt, seine eignen waren, daß er vor seinem eignen Wesen im
Staube gelegen.

Diese Selbsterkenntniß des Christenthums in der Wissenschaft, welche in der
Geschichte nicht nur die hellen und die dunkeln Wege erträgt, und daher wohl
zu unterscheiden ist von der Flachheit des alten Nationalismus, der das Moment
des Widerspruchs aus der Geschichte ausließ, um nie aus seinen gewohnten vier.
Pfählen herauszutreten — diese Selbsterkenntniß ist nicht nnr der Abschluß der
christlichen Geschichte, nicht reine Negation der Vergangenheit, sondern ein Proceß,
der die christliche Bildung als ein Moment der neuen Bildung in ihr Recht setzt.
Ob wir uns Christen nennen wollen oder nicht, ist eine sehr gleickgiltige Frage;
die neue Bildung ist von der Art, daß sie das Christenthum als nothwendige
Vorstufe voraussetzt; sie ist aber zugleich auch Aufhebung des Christenthums in
seiner frühern Form.

Denn darüber dürfen wir uns namentlich in der jetzigen Zeit, wo die an¬
geblichen Gläubigen des altbiblischen Christenthums mit großem Selbstgefühl von
allen Seiten wieder auftauchen, keine Illusion machen: gegen dieses Christen-
thum stehn wir in eiuer unbedingten, feindseligen, und durch keine Vermittelung
aufzuhebenden Opposition. Die Wissenschaft duldet nicht mehr den Wunderglau¬
ben — d. h. die Gedankenlosigkeit in der Anschauung der Natur, und unsere sitt¬
liche Ueberzeugung duldet uicht mehr die Selbstentäußerung, das Ausgeben der
eignen Freiheit, die Abschwächung der eignen Kraft zu Gunsten einer Macht, die


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[0335] es mehrere Jahrhunderte hindurch die alte Welt in ihren Tiefen durchwühlt, warf es sich mit aller Gluth einer überirdischen Ekstase auf die äußerlichen Gegner. Das Kreuz in der Hand, bändigte der Repräsentant der christlich-römischen Welt¬ bildung, der Papst mit seiner Legion von Priestern und Mönchen, die trotzigen Barbaren des Nordens; in unermüdlicher Ausdauer rang er mit den Gewalti¬ gen der Erde, bis sie endlich alle zu seinen Füßen lagen , und nun auf seinen Wink die christlich-germanische Ritterschaft wie eine Windsbraut sich über den Orient ergoß. Was sie suchten, das heilige Grab, trug ihnen keine Frucht; aber sie brachten eine neue Poesie und die Wunder der antiken Bildung mit sich zurück. Als nnn in der Fülle der neuen Anschauungen die alte Zerfahrenheit des Skep¬ ticismus und des Unglaubens von Neuem sich geltend machen wollte, da erhob sich zum zweitenmal zornig der christliche Geist. Durch seine Propheten, Luther, Calvin, Knox, die Puritaner; durch die Jesuiten und Jansenisten, denn auch sie waren Träger der neuen Zeit, wurde das alte Staatensystem gestürzt, eine neue Sittlichkeit hergestellt, der Dualismus von Kirche und Staat aufgehoben. Die bürgerliche Gesellschaft, die früher das Christenthum außer sich gehabt hatte, wurde nun nach christlichen Principien gemessen. Endlich, als die äußere Thätig¬ keit des Geistes sich erfülle hatte, ging er in der Philosophie in sich selber zurück, und erkannte mit Staunen, daß die Werke Gottes, die Wunder, die er mit Schaudern verehrt, seine eignen waren, daß er vor seinem eignen Wesen im Staube gelegen. Diese Selbsterkenntniß des Christenthums in der Wissenschaft, welche in der Geschichte nicht nur die hellen und die dunkeln Wege erträgt, und daher wohl zu unterscheiden ist von der Flachheit des alten Nationalismus, der das Moment des Widerspruchs aus der Geschichte ausließ, um nie aus seinen gewohnten vier. Pfählen herauszutreten — diese Selbsterkenntniß ist nicht nnr der Abschluß der christlichen Geschichte, nicht reine Negation der Vergangenheit, sondern ein Proceß, der die christliche Bildung als ein Moment der neuen Bildung in ihr Recht setzt. Ob wir uns Christen nennen wollen oder nicht, ist eine sehr gleickgiltige Frage; die neue Bildung ist von der Art, daß sie das Christenthum als nothwendige Vorstufe voraussetzt; sie ist aber zugleich auch Aufhebung des Christenthums in seiner frühern Form. Denn darüber dürfen wir uns namentlich in der jetzigen Zeit, wo die an¬ geblichen Gläubigen des altbiblischen Christenthums mit großem Selbstgefühl von allen Seiten wieder auftauchen, keine Illusion machen: gegen dieses Christen- thum stehn wir in eiuer unbedingten, feindseligen, und durch keine Vermittelung aufzuhebenden Opposition. Die Wissenschaft duldet nicht mehr den Wunderglau¬ ben — d. h. die Gedankenlosigkeit in der Anschauung der Natur, und unsere sitt¬ liche Ueberzeugung duldet uicht mehr die Selbstentäußerung, das Ausgeben der eignen Freiheit, die Abschwächung der eignen Kraft zu Gunsten einer Macht, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/335>, abgerufen am 21.06.2024.