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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Christus, Mahomed und Danaer").



Es ist ein Stern vom erhabenen Himmel gefallen,
Herab in's irdische tolle Getümmel gefallen.

Da sah er umher die Kräuter und Blumen der Wiese;
Ihm hat das lustige, bunte Gewimmel gefallen.

Er hörte die Glöckchen am Halse der Heerde läuten;
Ihm hat das klingende, kleine Gebimmel gefallen.

Ihm haben die traulichen Hütten, die laubigen Bäume,
Ihm selber im Wald ein ärmlicher Stummel gefallen.

Nicht wieder empor zum erhabenen Himmel verlangt' er;
Er blieb was er war, blieb gerne vom Himmel gefallen.


Hafis.

Danaer's Schriften haben, wenn man die wunderbare Paradoxie ihres In¬
halts in Erwägung zieht, verhältnißmäßig wenig Aufmerksamkeit erregt. Als
Strauß auf das Mythische in der christlichen Geschichte aufmerksam machte, als er
die Dogmen auf allgemein menschliche, nur durch den allegorischen Ausdruck un¬
deutlich gewordene Wahrheiten zurückführte, geriet!) die ganze Kirche in Aufruhr;
man hätte wohl erwarten sollen, daß der Versuch, das Christenthum zu einem
greuelvollen, blutigen Molochdienst zu machen, eine noch viel gewaltigere Indig¬
nation in der Christenheit hätte erregen sollen. Wunderbarer Weise blieb man
gegen diese bösen Angriffe kalt; nicht einmal die Censur fand sich bemüssigt, zu
Gunsten des wahren Glaubens einzuschreiten. Der Grund lag wohl hauptsächlich
darin, daß man in Strauß die heimliche Regung des eigenen Gewissens verfolgte,
während Danaer's Auffassung von der gewöhnlichen Vorstellungsweise so weit ab
lag, daß man sich gar nicht entschließen konnte, eine ernsthafte Notiz davon zu
nehmen.

Eine eigentliche Polemik gegen Danaer ist auch überflüssig; die Willkürlich¬
keit seiner wissenschaftlichen Methode springt zu sehr in die Augen. Dagegen ist
es von Juteresse, in ihm eine wesentliche Richtung in der Empfindungsweise un¬
serer Zeit zu charakterisiren. Denn in der Empörung des sinnlichen Wesens gegen



*) Vergl. die frühern Aufsätze in den Grenzboten Z847, Heft 45, und Is46, Heft 5.
Grenzbot-n. l. 1850. 41
Christus, Mahomed und Danaer").



Es ist ein Stern vom erhabenen Himmel gefallen,
Herab in's irdische tolle Getümmel gefallen.

Da sah er umher die Kräuter und Blumen der Wiese;
Ihm hat das lustige, bunte Gewimmel gefallen.

Er hörte die Glöckchen am Halse der Heerde läuten;
Ihm hat das klingende, kleine Gebimmel gefallen.

Ihm haben die traulichen Hütten, die laubigen Bäume,
Ihm selber im Wald ein ärmlicher Stummel gefallen.

Nicht wieder empor zum erhabenen Himmel verlangt' er;
Er blieb was er war, blieb gerne vom Himmel gefallen.


Hafis.

Danaer's Schriften haben, wenn man die wunderbare Paradoxie ihres In¬
halts in Erwägung zieht, verhältnißmäßig wenig Aufmerksamkeit erregt. Als
Strauß auf das Mythische in der christlichen Geschichte aufmerksam machte, als er
die Dogmen auf allgemein menschliche, nur durch den allegorischen Ausdruck un¬
deutlich gewordene Wahrheiten zurückführte, geriet!) die ganze Kirche in Aufruhr;
man hätte wohl erwarten sollen, daß der Versuch, das Christenthum zu einem
greuelvollen, blutigen Molochdienst zu machen, eine noch viel gewaltigere Indig¬
nation in der Christenheit hätte erregen sollen. Wunderbarer Weise blieb man
gegen diese bösen Angriffe kalt; nicht einmal die Censur fand sich bemüssigt, zu
Gunsten des wahren Glaubens einzuschreiten. Der Grund lag wohl hauptsächlich
darin, daß man in Strauß die heimliche Regung des eigenen Gewissens verfolgte,
während Danaer's Auffassung von der gewöhnlichen Vorstellungsweise so weit ab
lag, daß man sich gar nicht entschließen konnte, eine ernsthafte Notiz davon zu
nehmen.

Eine eigentliche Polemik gegen Danaer ist auch überflüssig; die Willkürlich¬
keit seiner wissenschaftlichen Methode springt zu sehr in die Augen. Dagegen ist
es von Juteresse, in ihm eine wesentliche Richtung in der Empfindungsweise un¬
serer Zeit zu charakterisiren. Denn in der Empörung des sinnlichen Wesens gegen



*) Vergl. die frühern Aufsätze in den Grenzboten Z847, Heft 45, und Is46, Heft 5.
Grenzbot-n. l. 1850. 41
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[0329] Christus, Mahomed und Danaer"). Es ist ein Stern vom erhabenen Himmel gefallen, Herab in's irdische tolle Getümmel gefallen. Da sah er umher die Kräuter und Blumen der Wiese; Ihm hat das lustige, bunte Gewimmel gefallen. Er hörte die Glöckchen am Halse der Heerde läuten; Ihm hat das klingende, kleine Gebimmel gefallen. Ihm haben die traulichen Hütten, die laubigen Bäume, Ihm selber im Wald ein ärmlicher Stummel gefallen. Nicht wieder empor zum erhabenen Himmel verlangt' er; Er blieb was er war, blieb gerne vom Himmel gefallen. Hafis. Danaer's Schriften haben, wenn man die wunderbare Paradoxie ihres In¬ halts in Erwägung zieht, verhältnißmäßig wenig Aufmerksamkeit erregt. Als Strauß auf das Mythische in der christlichen Geschichte aufmerksam machte, als er die Dogmen auf allgemein menschliche, nur durch den allegorischen Ausdruck un¬ deutlich gewordene Wahrheiten zurückführte, geriet!) die ganze Kirche in Aufruhr; man hätte wohl erwarten sollen, daß der Versuch, das Christenthum zu einem greuelvollen, blutigen Molochdienst zu machen, eine noch viel gewaltigere Indig¬ nation in der Christenheit hätte erregen sollen. Wunderbarer Weise blieb man gegen diese bösen Angriffe kalt; nicht einmal die Censur fand sich bemüssigt, zu Gunsten des wahren Glaubens einzuschreiten. Der Grund lag wohl hauptsächlich darin, daß man in Strauß die heimliche Regung des eigenen Gewissens verfolgte, während Danaer's Auffassung von der gewöhnlichen Vorstellungsweise so weit ab lag, daß man sich gar nicht entschließen konnte, eine ernsthafte Notiz davon zu nehmen. Eine eigentliche Polemik gegen Danaer ist auch überflüssig; die Willkürlich¬ keit seiner wissenschaftlichen Methode springt zu sehr in die Augen. Dagegen ist es von Juteresse, in ihm eine wesentliche Richtung in der Empfindungsweise un¬ serer Zeit zu charakterisiren. Denn in der Empörung des sinnlichen Wesens gegen *) Vergl. die frühern Aufsätze in den Grenzboten Z847, Heft 45, und Is46, Heft 5. Grenzbot-n. l. 1850. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/329>, abgerufen am 21.06.2024.