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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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weil sie eben nur Beleg für die Bestrebungen Feuchtersleben's sind, vergleicht man
diese mit dem gegenwärtigen Unterrichtsgesetz, so roird man sich vergeblich nach dem
Geist umsehen, der die Bestrebungen der 48r Minister, insbesondere vom März
bis Juli leitete. Damals sagte Doblhoff noch: Der Weltgeist macht die Politik,
nicht ersteht sie aus den Ministerbänken; und Bach: "Die Majestät des Volkes
steht auf gleicher Stufe mit der Majestät der Krone." Seitdem ist Vieles anders
geworden und Minister Bach hat praktisch den Widerspruch der früheren Phrase
gelöst.

Hiermit schließt unsere erste Skizze.




Kleine Korrespondenzen.



Man wird allmälig in erstaunlicher Weise genügsam, und kommt endlich dahin
einen vereinzelten Gerechtigkeitsfall als Phänomen zu preisen, das charakterifirt unsere
Zustände am Treffendsten.

Seil dem 10. Mai 1849 Wen an zehn Persönlichkeiten als prasumtive Verschwö¬
rer, als prasumtive Simsone, welche Oestreich nieder zu reißen drohten, auf dem Zwin¬
ger des Hradschin, allmälig wurde die Zahl der Jnhaftirten bis auf achtzig vermehrt,
schauerliche Sagen von den blutgierigen Plänen jener Verschwörer wurden in der Stadt
verbreitet und gelangten, nachdem sie die Runde gemacht und sich auf dem Wege
dick und groß gefressen hatten, wieder nach dem Hradschin zurück, um die Inquirenten
von Neuem zu schrecken, ihnen als weitere Jnzicht, als Grund zu neuen Fahndun¬
gen zu dienen.

Nach langem mysteriösen Schweigen über die Ergebnisse jener am Hradschin sich
abarbeitenden hochnothpeinlichen Untersuchung, nach der endlosen Heimkehr der inquisi¬
torischen Organe, welche man nach Dresden und Breslau entsendet, um dort den tiefen
Verzweigungen jener Verschwörung ans die Spur zu kommen, gelangt plötzlich ein
Specialfall zur Notiz des Publikums, und überrascht dasselbe nicht wenig; einer der
im Mai Verhafteten , einer der vermeintlich Hauptschuldigen, und besonders Gravirtcn,
ein Goldschmidt seines Zeichens, war ans die Aussage eines einzigen Kneipgenossen hin,
eingesteckt worden; den Verbrecher setzte man fest, nun galt es auch das Verbrechen zu
finden, und damit eben hatte es seine Noth. Jener erste Denunciant hatte nur ver¬
brecherische Redensarten des Jnhaftirten denuncirt, welche dieser Biererhitzte von sich gege¬
ben haben sollte, Lob republikanischer Staatsform, vage Schimpfreden über den Kaiser, be¬
deutend grobe Bezeichnungen der Herren Minister u. s. w., man forschte nach weitern Knei-
pengcnossen, vierzehn derselben wurden allmälig "zu Stande gebracht" und scharf inquirirt.
doch Keiner vermochte bei bestem Willen mehr anzugeben, als jene bierbegeisterten Tisch¬
reden des Goldschmidts; von Complott, von Hochverrätherischen, regiciden Planen oder
Thatversuchen fand sich keine Spur. Vom Mai bis Dezember saß der bierkundige
Goldschmidt in enger Hast, unmöglich ward es dem geistreichen Inquirenten, ein Hoch¬
verrathsverbrechen in den Goldschmidt hin einzu verhören, und dafür eben, daß der
boshafte Mensch kein Hochverräther war, und dem Inquirenten solche Mühe gemacht
hatte, mußte er gehörig abgestraft werden, daher ihn das Kriegsgericht, wegen geführ-


weil sie eben nur Beleg für die Bestrebungen Feuchtersleben's sind, vergleicht man
diese mit dem gegenwärtigen Unterrichtsgesetz, so roird man sich vergeblich nach dem
Geist umsehen, der die Bestrebungen der 48r Minister, insbesondere vom März
bis Juli leitete. Damals sagte Doblhoff noch: Der Weltgeist macht die Politik,
nicht ersteht sie aus den Ministerbänken; und Bach: „Die Majestät des Volkes
steht auf gleicher Stufe mit der Majestät der Krone." Seitdem ist Vieles anders
geworden und Minister Bach hat praktisch den Widerspruch der früheren Phrase
gelöst.

Hiermit schließt unsere erste Skizze.




Kleine Korrespondenzen.



Man wird allmälig in erstaunlicher Weise genügsam, und kommt endlich dahin
einen vereinzelten Gerechtigkeitsfall als Phänomen zu preisen, das charakterifirt unsere
Zustände am Treffendsten.

Seil dem 10. Mai 1849 Wen an zehn Persönlichkeiten als prasumtive Verschwö¬
rer, als prasumtive Simsone, welche Oestreich nieder zu reißen drohten, auf dem Zwin¬
ger des Hradschin, allmälig wurde die Zahl der Jnhaftirten bis auf achtzig vermehrt,
schauerliche Sagen von den blutgierigen Plänen jener Verschwörer wurden in der Stadt
verbreitet und gelangten, nachdem sie die Runde gemacht und sich auf dem Wege
dick und groß gefressen hatten, wieder nach dem Hradschin zurück, um die Inquirenten
von Neuem zu schrecken, ihnen als weitere Jnzicht, als Grund zu neuen Fahndun¬
gen zu dienen.

Nach langem mysteriösen Schweigen über die Ergebnisse jener am Hradschin sich
abarbeitenden hochnothpeinlichen Untersuchung, nach der endlosen Heimkehr der inquisi¬
torischen Organe, welche man nach Dresden und Breslau entsendet, um dort den tiefen
Verzweigungen jener Verschwörung ans die Spur zu kommen, gelangt plötzlich ein
Specialfall zur Notiz des Publikums, und überrascht dasselbe nicht wenig; einer der
im Mai Verhafteten , einer der vermeintlich Hauptschuldigen, und besonders Gravirtcn,
ein Goldschmidt seines Zeichens, war ans die Aussage eines einzigen Kneipgenossen hin,
eingesteckt worden; den Verbrecher setzte man fest, nun galt es auch das Verbrechen zu
finden, und damit eben hatte es seine Noth. Jener erste Denunciant hatte nur ver¬
brecherische Redensarten des Jnhaftirten denuncirt, welche dieser Biererhitzte von sich gege¬
ben haben sollte, Lob republikanischer Staatsform, vage Schimpfreden über den Kaiser, be¬
deutend grobe Bezeichnungen der Herren Minister u. s. w., man forschte nach weitern Knei-
pengcnossen, vierzehn derselben wurden allmälig „zu Stande gebracht" und scharf inquirirt.
doch Keiner vermochte bei bestem Willen mehr anzugeben, als jene bierbegeisterten Tisch¬
reden des Goldschmidts; von Complott, von Hochverrätherischen, regiciden Planen oder
Thatversuchen fand sich keine Spur. Vom Mai bis Dezember saß der bierkundige
Goldschmidt in enger Hast, unmöglich ward es dem geistreichen Inquirenten, ein Hoch¬
verrathsverbrechen in den Goldschmidt hin einzu verhören, und dafür eben, daß der
boshafte Mensch kein Hochverräther war, und dem Inquirenten solche Mühe gemacht
hatte, mußte er gehörig abgestraft werden, daher ihn das Kriegsgericht, wegen geführ-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/327>, abgerufen am 21.06.2024.