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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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wahre und volle Macht dabei nie zum Vorschein bringen. Keine Beantwortung,
keine Berücksichtigung dieser Schreiben -- das wäre meine Unterlassungsthat.
Offen und entschieden werde als erstes Princip die Scheidung der Kirche von der
Schule und der volle Uebergang dieser an den Staat ausgesprochen. Sie kopf¬
schütteln. Die Geistlichkeit, täusche" Sie sich nicht, hat im Volke keine tiefschla¬
genden Wurzeln. Die Majorität der Anhänger der katholischen Kirche Oest¬
reichs betrachtet diese nur als eine bewegliche Barrikade, hinter welcher die Fri¬
volität, Sittenlosigkeit und politisch-schädliche Zwecke sich verbergen und vertheidi¬
gen lassen. Barrikaden sind ein Zeichen von Schwäche, verrathen eben nur die
Defensive. Der offensiven Kraft sind Barrikaden hinderlich. Sie sind Rumpel¬
werk, das genommen werden kann. . "

"Abgesehen von dem, was ich Ihnen hierauf vorhalten kann, würden wir
auf diese Weise eine große Ungerechtigkeit begehen. Eine nicht geringe Anzahl
von Bildungsanstalten sind und bestehen als Stiftungen der Geistlichkeit." -- Wenn
aber, fuhr ich fort, diese Stiftungen hinderlich und gefährlich sind, was sie sind,
so ist kein Grund vorhanden, diese nicht aufzuheben. Dann auch vermag ich das
Recht der Geistlichkeit von heute aus die Stiftungen der von Alters her nicht ein¬
zusehen^ wenn dies dem allgemeinen Staatszweck, dem berechtigten Geist der Zeit
zuwider ist. Die Geistlichkeit hat in diesem Falle das allerlockerste Recht, ein
Recht, das fälschlich so benannt wird, -- das historische Recht. Das Recht der
Vorfahren wird in den meisten Fällen zum Unrecht der Nachkommen, und diese
sind nicht an jene gebunden. Will man das Recht der Vorfahren anerkennen und
heilig halten, dann sind Sie selbst ein Unrecht, dann ist Oestreich als ein con-
stitutioneller Staat ein Unrecht, dann würden wir zuletzt aus den Standpunkt der
Chinesen, zum absoluten Stabilitätssystem gelangen.

"Ich bin nicht der Ansicht," sagte Feuchtersleben, "die Summe des Rechts
der Vorfahren sei auch die Summe des Rechts der Nachkommen. Allein in jener
Summe des Rechts können Rechte enthalten sein, welche die Nachkommen als
solche anzuerkennen haben, bisweilen anerkennen müssen, ohne ungerecht werden zu
wollen."

Gut. In diesem Falle sind diese Rechte aus der Summe des historischen Rechts
nicht Rechte durch die Tradition, nicht historische Rechte mehr, sondern weil-wir
sie als solche ebenfalls auffassen und hinstellen. Der geschichtliche Umstand ist
dann nur eine Zufälligkeit.

Hier trat Frau v. Feuchtersleben ein, uns zur Abendtafel auffordernd. Ihre
Schönheit bildete einen lebhaften Contrast zur Häßlichkeit ihres Mannes. Die
Natur hatte Feuchterslebeu's Person geizig behandelt, seinen innern Menschen da¬
gegen reich ausgestattet. Mittlerer Statur, hager Und schielend, während des Ge¬
sprächs oftmals zerstrent, fühlte man sich erst dann zu ihm hingezogen, wenn man
seine ganze Einfachheit und Liebenswürdigkeit empfunden hatte.


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wahre und volle Macht dabei nie zum Vorschein bringen. Keine Beantwortung,
keine Berücksichtigung dieser Schreiben — das wäre meine Unterlassungsthat.
Offen und entschieden werde als erstes Princip die Scheidung der Kirche von der
Schule und der volle Uebergang dieser an den Staat ausgesprochen. Sie kopf¬
schütteln. Die Geistlichkeit, täusche» Sie sich nicht, hat im Volke keine tiefschla¬
genden Wurzeln. Die Majorität der Anhänger der katholischen Kirche Oest¬
reichs betrachtet diese nur als eine bewegliche Barrikade, hinter welcher die Fri¬
volität, Sittenlosigkeit und politisch-schädliche Zwecke sich verbergen und vertheidi¬
gen lassen. Barrikaden sind ein Zeichen von Schwäche, verrathen eben nur die
Defensive. Der offensiven Kraft sind Barrikaden hinderlich. Sie sind Rumpel¬
werk, das genommen werden kann. . "

„Abgesehen von dem, was ich Ihnen hierauf vorhalten kann, würden wir
auf diese Weise eine große Ungerechtigkeit begehen. Eine nicht geringe Anzahl
von Bildungsanstalten sind und bestehen als Stiftungen der Geistlichkeit." — Wenn
aber, fuhr ich fort, diese Stiftungen hinderlich und gefährlich sind, was sie sind,
so ist kein Grund vorhanden, diese nicht aufzuheben. Dann auch vermag ich das
Recht der Geistlichkeit von heute aus die Stiftungen der von Alters her nicht ein¬
zusehen^ wenn dies dem allgemeinen Staatszweck, dem berechtigten Geist der Zeit
zuwider ist. Die Geistlichkeit hat in diesem Falle das allerlockerste Recht, ein
Recht, das fälschlich so benannt wird, — das historische Recht. Das Recht der
Vorfahren wird in den meisten Fällen zum Unrecht der Nachkommen, und diese
sind nicht an jene gebunden. Will man das Recht der Vorfahren anerkennen und
heilig halten, dann sind Sie selbst ein Unrecht, dann ist Oestreich als ein con-
stitutioneller Staat ein Unrecht, dann würden wir zuletzt aus den Standpunkt der
Chinesen, zum absoluten Stabilitätssystem gelangen.

„Ich bin nicht der Ansicht," sagte Feuchtersleben, „die Summe des Rechts
der Vorfahren sei auch die Summe des Rechts der Nachkommen. Allein in jener
Summe des Rechts können Rechte enthalten sein, welche die Nachkommen als
solche anzuerkennen haben, bisweilen anerkennen müssen, ohne ungerecht werden zu
wollen."

Gut. In diesem Falle sind diese Rechte aus der Summe des historischen Rechts
nicht Rechte durch die Tradition, nicht historische Rechte mehr, sondern weil-wir
sie als solche ebenfalls auffassen und hinstellen. Der geschichtliche Umstand ist
dann nur eine Zufälligkeit.

Hier trat Frau v. Feuchtersleben ein, uns zur Abendtafel auffordernd. Ihre
Schönheit bildete einen lebhaften Contrast zur Häßlichkeit ihres Mannes. Die
Natur hatte Feuchterslebeu's Person geizig behandelt, seinen innern Menschen da¬
gegen reich ausgestattet. Mittlerer Statur, hager Und schielend, während des Ge¬
sprächs oftmals zerstrent, fühlte man sich erst dann zu ihm hingezogen, wenn man
seine ganze Einfachheit und Liebenswürdigkeit empfunden hatte.


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[0323] wahre und volle Macht dabei nie zum Vorschein bringen. Keine Beantwortung, keine Berücksichtigung dieser Schreiben — das wäre meine Unterlassungsthat. Offen und entschieden werde als erstes Princip die Scheidung der Kirche von der Schule und der volle Uebergang dieser an den Staat ausgesprochen. Sie kopf¬ schütteln. Die Geistlichkeit, täusche» Sie sich nicht, hat im Volke keine tiefschla¬ genden Wurzeln. Die Majorität der Anhänger der katholischen Kirche Oest¬ reichs betrachtet diese nur als eine bewegliche Barrikade, hinter welcher die Fri¬ volität, Sittenlosigkeit und politisch-schädliche Zwecke sich verbergen und vertheidi¬ gen lassen. Barrikaden sind ein Zeichen von Schwäche, verrathen eben nur die Defensive. Der offensiven Kraft sind Barrikaden hinderlich. Sie sind Rumpel¬ werk, das genommen werden kann. . " „Abgesehen von dem, was ich Ihnen hierauf vorhalten kann, würden wir auf diese Weise eine große Ungerechtigkeit begehen. Eine nicht geringe Anzahl von Bildungsanstalten sind und bestehen als Stiftungen der Geistlichkeit." — Wenn aber, fuhr ich fort, diese Stiftungen hinderlich und gefährlich sind, was sie sind, so ist kein Grund vorhanden, diese nicht aufzuheben. Dann auch vermag ich das Recht der Geistlichkeit von heute aus die Stiftungen der von Alters her nicht ein¬ zusehen^ wenn dies dem allgemeinen Staatszweck, dem berechtigten Geist der Zeit zuwider ist. Die Geistlichkeit hat in diesem Falle das allerlockerste Recht, ein Recht, das fälschlich so benannt wird, — das historische Recht. Das Recht der Vorfahren wird in den meisten Fällen zum Unrecht der Nachkommen, und diese sind nicht an jene gebunden. Will man das Recht der Vorfahren anerkennen und heilig halten, dann sind Sie selbst ein Unrecht, dann ist Oestreich als ein con- stitutioneller Staat ein Unrecht, dann würden wir zuletzt aus den Standpunkt der Chinesen, zum absoluten Stabilitätssystem gelangen. „Ich bin nicht der Ansicht," sagte Feuchtersleben, „die Summe des Rechts der Vorfahren sei auch die Summe des Rechts der Nachkommen. Allein in jener Summe des Rechts können Rechte enthalten sein, welche die Nachkommen als solche anzuerkennen haben, bisweilen anerkennen müssen, ohne ungerecht werden zu wollen." Gut. In diesem Falle sind diese Rechte aus der Summe des historischen Rechts nicht Rechte durch die Tradition, nicht historische Rechte mehr, sondern weil-wir sie als solche ebenfalls auffassen und hinstellen. Der geschichtliche Umstand ist dann nur eine Zufälligkeit. Hier trat Frau v. Feuchtersleben ein, uns zur Abendtafel auffordernd. Ihre Schönheit bildete einen lebhaften Contrast zur Häßlichkeit ihres Mannes. Die Natur hatte Feuchterslebeu's Person geizig behandelt, seinen innern Menschen da¬ gegen reich ausgestattet. Mittlerer Statur, hager Und schielend, während des Ge¬ sprächs oftmals zerstrent, fühlte man sich erst dann zu ihm hingezogen, wenn man seine ganze Einfachheit und Liebenswürdigkeit empfunden hatte. 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/323>, abgerufen am 21.06.2024.