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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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entschiedenem Charakter. Nicht also den Mediziner überhaupt verwerfe ich, son¬
dern eben den specifischen Fachmann, sei er welcher er wolle. Im Allgemeinen
muß der Grundsatz gelten, das Gleiche zu Gleichem; und wenn unsere Lehrer erst
eine ausgedehntere, namentlich philosophische Bildung erlangt haben, wenn die
Pädagogen den Treibhansanstalten, Seminarien genannt, entrissen werden, wo
man sie mit Kenntnissen vollpfropft, wie Gänse zum Schlachten gemästet werden,
dann wäre es die größte Ungerechtigkeit und die böswilligste Ungeschicklichkeit,
einen andern Mann als Unterrichtsminister hinzustellen, als einen Lehrer, andere
als Lehrer selbst mit der Überwachung des Erziehungs- und Unterrichtswesens
zu bestellen. Daß unsere Minister der geistlichen Angelegenheiten mit dem Schweife
eines Unterrichtsministers eiuherstolzireu, daß Beides nicht durch verschiedene Per¬
sonen repräsentirt wird, ist ein arger und unverzeihlicher Uebelstand.

Eines Abends traf ich Fenchtersleben sehr mißvergnügt. Ich deutete darauf
hin. "Sehen Sie," sagte er zu mir, "man möchte wirklich alle Hoffnung aufge¬
ben, die wohlgemeintesten Pläne nnr halbwegs durchzuführen. Die Geistlichkeit
lehnt sich gegen jede Reform aus, und kaum hat man seinen Aerger darüber über-
wunden, so kommen selbst die, sür welche recht eigentlich gearbeitet wird,, die
Schulmänner, und machen auch Opposition. Hier, sehen Sie den Stoß Eingabe",
der das bestätigt."

Ich nahm einige dieser Papiere zur Hand, und sie durchlaufend, fand ich die
unvernünftigsten Proteste, Vorstellungen und Rathschläge. Von der Geistlichkeit,
erwiederte ich, läßt sich in Oestreich nichts Anderes erwarten. Sie befürchtet
mit. Recht die Entziehung ihres wesentlichen Einflusses auf das Volk durch die
Schule. Aber dieser Einfluß muß sehr beschränkt werden. Daß die Lehrer sich
gegen die Umwandlung und Hebung des Schulwesens aussprechen, ist mir nur
aus den beiden Gesichtspunkten ihrer greulichen Uncultur, die Metternich beför¬
dert und begünstigt hat, und der Bestechung durch die Priesterschaft erklärlich.
Wenn jedoch das Gute, das sür sie erstrebt wird, keine entgegenkommende und
freiwillige Annahme findet, so muß man es ihnen aufzwingen, und dazu, meine
ich, hat die Regierung Mittel genug.

"Sie dürfen nie vergessen, daß Sie nicht in Preußen, nicht in Würtemberg
oder Sachsen sind, und daß wir nach Lage der Verhältnisse keinen offenen Bruch
mit der Kirche herbeiführen können. Wir sind in Oestreich; wir haben es mit
der katholischen Kirche, mit einer katholischen Bevölkerung zu thun, und
mit einer solchen, die der Masse nach den Instinkt zu den Reformen, nicht aber
die selbstständige Einsicht in dieselben besitzt, um nicht allwegs das geistige Eigen¬
thum der Kirchenherrschaft zu sein."

Ich entgegnete: das allzu langsame, zu vorsichtig und zartfühlende Fortschrei¬
ten, behaupte ich, ist das Unglück jeder Regierung. Sie wird Dn den Gesetzen
der Weltentwickelung überrumpelt, und kann die von ihr mit Recht zu verlangende


entschiedenem Charakter. Nicht also den Mediziner überhaupt verwerfe ich, son¬
dern eben den specifischen Fachmann, sei er welcher er wolle. Im Allgemeinen
muß der Grundsatz gelten, das Gleiche zu Gleichem; und wenn unsere Lehrer erst
eine ausgedehntere, namentlich philosophische Bildung erlangt haben, wenn die
Pädagogen den Treibhansanstalten, Seminarien genannt, entrissen werden, wo
man sie mit Kenntnissen vollpfropft, wie Gänse zum Schlachten gemästet werden,
dann wäre es die größte Ungerechtigkeit und die böswilligste Ungeschicklichkeit,
einen andern Mann als Unterrichtsminister hinzustellen, als einen Lehrer, andere
als Lehrer selbst mit der Überwachung des Erziehungs- und Unterrichtswesens
zu bestellen. Daß unsere Minister der geistlichen Angelegenheiten mit dem Schweife
eines Unterrichtsministers eiuherstolzireu, daß Beides nicht durch verschiedene Per¬
sonen repräsentirt wird, ist ein arger und unverzeihlicher Uebelstand.

Eines Abends traf ich Fenchtersleben sehr mißvergnügt. Ich deutete darauf
hin. „Sehen Sie," sagte er zu mir, „man möchte wirklich alle Hoffnung aufge¬
ben, die wohlgemeintesten Pläne nnr halbwegs durchzuführen. Die Geistlichkeit
lehnt sich gegen jede Reform aus, und kaum hat man seinen Aerger darüber über-
wunden, so kommen selbst die, sür welche recht eigentlich gearbeitet wird,, die
Schulmänner, und machen auch Opposition. Hier, sehen Sie den Stoß Eingabe»,
der das bestätigt."

Ich nahm einige dieser Papiere zur Hand, und sie durchlaufend, fand ich die
unvernünftigsten Proteste, Vorstellungen und Rathschläge. Von der Geistlichkeit,
erwiederte ich, läßt sich in Oestreich nichts Anderes erwarten. Sie befürchtet
mit. Recht die Entziehung ihres wesentlichen Einflusses auf das Volk durch die
Schule. Aber dieser Einfluß muß sehr beschränkt werden. Daß die Lehrer sich
gegen die Umwandlung und Hebung des Schulwesens aussprechen, ist mir nur
aus den beiden Gesichtspunkten ihrer greulichen Uncultur, die Metternich beför¬
dert und begünstigt hat, und der Bestechung durch die Priesterschaft erklärlich.
Wenn jedoch das Gute, das sür sie erstrebt wird, keine entgegenkommende und
freiwillige Annahme findet, so muß man es ihnen aufzwingen, und dazu, meine
ich, hat die Regierung Mittel genug.

„Sie dürfen nie vergessen, daß Sie nicht in Preußen, nicht in Würtemberg
oder Sachsen sind, und daß wir nach Lage der Verhältnisse keinen offenen Bruch
mit der Kirche herbeiführen können. Wir sind in Oestreich; wir haben es mit
der katholischen Kirche, mit einer katholischen Bevölkerung zu thun, und
mit einer solchen, die der Masse nach den Instinkt zu den Reformen, nicht aber
die selbstständige Einsicht in dieselben besitzt, um nicht allwegs das geistige Eigen¬
thum der Kirchenherrschaft zu sein."

Ich entgegnete: das allzu langsame, zu vorsichtig und zartfühlende Fortschrei¬
ten, behaupte ich, ist das Unglück jeder Regierung. Sie wird Dn den Gesetzen
der Weltentwickelung überrumpelt, und kann die von ihr mit Recht zu verlangende


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[0322] entschiedenem Charakter. Nicht also den Mediziner überhaupt verwerfe ich, son¬ dern eben den specifischen Fachmann, sei er welcher er wolle. Im Allgemeinen muß der Grundsatz gelten, das Gleiche zu Gleichem; und wenn unsere Lehrer erst eine ausgedehntere, namentlich philosophische Bildung erlangt haben, wenn die Pädagogen den Treibhansanstalten, Seminarien genannt, entrissen werden, wo man sie mit Kenntnissen vollpfropft, wie Gänse zum Schlachten gemästet werden, dann wäre es die größte Ungerechtigkeit und die böswilligste Ungeschicklichkeit, einen andern Mann als Unterrichtsminister hinzustellen, als einen Lehrer, andere als Lehrer selbst mit der Überwachung des Erziehungs- und Unterrichtswesens zu bestellen. Daß unsere Minister der geistlichen Angelegenheiten mit dem Schweife eines Unterrichtsministers eiuherstolzireu, daß Beides nicht durch verschiedene Per¬ sonen repräsentirt wird, ist ein arger und unverzeihlicher Uebelstand. Eines Abends traf ich Fenchtersleben sehr mißvergnügt. Ich deutete darauf hin. „Sehen Sie," sagte er zu mir, „man möchte wirklich alle Hoffnung aufge¬ ben, die wohlgemeintesten Pläne nnr halbwegs durchzuführen. Die Geistlichkeit lehnt sich gegen jede Reform aus, und kaum hat man seinen Aerger darüber über- wunden, so kommen selbst die, sür welche recht eigentlich gearbeitet wird,, die Schulmänner, und machen auch Opposition. Hier, sehen Sie den Stoß Eingabe», der das bestätigt." Ich nahm einige dieser Papiere zur Hand, und sie durchlaufend, fand ich die unvernünftigsten Proteste, Vorstellungen und Rathschläge. Von der Geistlichkeit, erwiederte ich, läßt sich in Oestreich nichts Anderes erwarten. Sie befürchtet mit. Recht die Entziehung ihres wesentlichen Einflusses auf das Volk durch die Schule. Aber dieser Einfluß muß sehr beschränkt werden. Daß die Lehrer sich gegen die Umwandlung und Hebung des Schulwesens aussprechen, ist mir nur aus den beiden Gesichtspunkten ihrer greulichen Uncultur, die Metternich beför¬ dert und begünstigt hat, und der Bestechung durch die Priesterschaft erklärlich. Wenn jedoch das Gute, das sür sie erstrebt wird, keine entgegenkommende und freiwillige Annahme findet, so muß man es ihnen aufzwingen, und dazu, meine ich, hat die Regierung Mittel genug. „Sie dürfen nie vergessen, daß Sie nicht in Preußen, nicht in Würtemberg oder Sachsen sind, und daß wir nach Lage der Verhältnisse keinen offenen Bruch mit der Kirche herbeiführen können. Wir sind in Oestreich; wir haben es mit der katholischen Kirche, mit einer katholischen Bevölkerung zu thun, und mit einer solchen, die der Masse nach den Instinkt zu den Reformen, nicht aber die selbstständige Einsicht in dieselben besitzt, um nicht allwegs das geistige Eigen¬ thum der Kirchenherrschaft zu sein." Ich entgegnete: das allzu langsame, zu vorsichtig und zartfühlende Fortschrei¬ ten, behaupte ich, ist das Unglück jeder Regierung. Sie wird Dn den Gesetzen der Weltentwickelung überrumpelt, und kann die von ihr mit Recht zu verlangende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/322>, abgerufen am 21.06.2024.