Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man auf Feuchtersleben's literarische Wirksamkeit hinschaut, in der er sich nament¬
lich den Ruf eines ausgezeichneten Psychologen erworben, so ist die undankbare
Stille, mit der man den Tod dieses, in seinen kräftigsten Jahren dahingeschiedenen
Mannes, aufgenommen, nur dadurch erklärlich, daß er in einer Zeit starb, wo,
gleich der gewaltigen Meeresfluth, die Welle auf Welle thürmend eine die andere
verschlingen läßt, also daß dem Auge des Beschauers nichts als das Meer sich
einprägt, Personen und Ereignisse von dem drängenden Strome der Entwicklung
des Staats- und Völkerlebens verschlungen werden, also daß wir nichts als die
Geschichte selbst zu fassen im Stande sind, daß wir das Wie des Werdens
über das Gewordene, die concreten Einzelheiten über das Resultat vergessen.

Zu denen, welche mit Feuchtersleben in häufigerem Verkehr, nicht blos in
vertraulicher, sondern auch in geschäftlicher Beziehung standen, gehört der Verf.
dieses Aufsatzes, den seine literarische Thätigkeit ihm zuführte. Feuchtersleben traute
mir Kraft und Geschick genug zu, um mich bei der Reorganisation der Studien
zuzuziehen, und wenn crie Besprechung in dieser Frage mit Professor ol-. Exner
aus Prag aus mich einen so widerwärtigen, abstoßenden Eindruck erregte, wenn
mir klar wurde, wie wenig den freisinnigen Bestrebungen Doblhoffs und Feuch-
terslebeu's Rechnung getragen würde, falls jener den ihm zugedachten Posten im
Unterrichtsministerium einnehmen möchte, daß ich Verzicht darauf leistete eine meine
Kräfte vielleicht übersteigende Stellung zu bekleiden, so sehe ich dennoch keines¬
wegs mit Mißvergnügen auf eine Arbeit, die mit meinem eigenen Willen nicht in
die Praxis trat. Feuchtersleben's Zuneigung war Gewinn genug.

Feuchtersleben war als Unterstaatssecretär des Unterrichtsministeriums offen¬
bar nicht in der Sphäre, in die er gehörte. Wohl widmete er sich mit seltenem,
aufopferndem Fleiße der neuen Berufsthätigkeit, allein durch und durch poetischer
Charakter, taugte er uicht dahin, wo auf Tritt und Schritt die nüchternste Prosa
ihm die Bahn hemmte. Man kann ihm nicht Thatkraft absprechen; doch er be¬
gann seine neue Wirksamkeit uicht, wie es nöthig war, gleich dem Schmied, der
auf dem Ambos das erglühte Eisen in beliebige Formen schlägt, sondern wie die
Bearbeitung einer größern Dichtung. Und seinem ganzen Wesen nach sanft und
nachgiebig, war er uicht geschaffen, Kabalen und Intriguen aller Art mit brechen¬
der Energie zu begegnen. Dem Idealismus ergeben, mußte er die Wirklichkeit
bald auf diese, bald auf jene Weise unrichtig auffassen, und in der Umschaffung
der Wirklichkeit wiederum oft das Unrichtige treffen. Endlich kannte er auch in
Wahrheit alle Unterrichtsverhältuisse Oestreichs nicht sattsam, und einen Medi¬
ziner zum Chef des Erziehungswesens zu machen ist allezeit etwas Verfehltes.
Das Unterrichts- und Erziehungswesen bedarf einen Dirigenten mit vorzugsweise
universeller, nich^besonderer Fachbildung, mit größerem Können als Wissen und


, Grenzboten. l. 18S0. 40

man auf Feuchtersleben's literarische Wirksamkeit hinschaut, in der er sich nament¬
lich den Ruf eines ausgezeichneten Psychologen erworben, so ist die undankbare
Stille, mit der man den Tod dieses, in seinen kräftigsten Jahren dahingeschiedenen
Mannes, aufgenommen, nur dadurch erklärlich, daß er in einer Zeit starb, wo,
gleich der gewaltigen Meeresfluth, die Welle auf Welle thürmend eine die andere
verschlingen läßt, also daß dem Auge des Beschauers nichts als das Meer sich
einprägt, Personen und Ereignisse von dem drängenden Strome der Entwicklung
des Staats- und Völkerlebens verschlungen werden, also daß wir nichts als die
Geschichte selbst zu fassen im Stande sind, daß wir das Wie des Werdens
über das Gewordene, die concreten Einzelheiten über das Resultat vergessen.

Zu denen, welche mit Feuchtersleben in häufigerem Verkehr, nicht blos in
vertraulicher, sondern auch in geschäftlicher Beziehung standen, gehört der Verf.
dieses Aufsatzes, den seine literarische Thätigkeit ihm zuführte. Feuchtersleben traute
mir Kraft und Geschick genug zu, um mich bei der Reorganisation der Studien
zuzuziehen, und wenn crie Besprechung in dieser Frage mit Professor ol-. Exner
aus Prag aus mich einen so widerwärtigen, abstoßenden Eindruck erregte, wenn
mir klar wurde, wie wenig den freisinnigen Bestrebungen Doblhoffs und Feuch-
terslebeu's Rechnung getragen würde, falls jener den ihm zugedachten Posten im
Unterrichtsministerium einnehmen möchte, daß ich Verzicht darauf leistete eine meine
Kräfte vielleicht übersteigende Stellung zu bekleiden, so sehe ich dennoch keines¬
wegs mit Mißvergnügen auf eine Arbeit, die mit meinem eigenen Willen nicht in
die Praxis trat. Feuchtersleben's Zuneigung war Gewinn genug.

Feuchtersleben war als Unterstaatssecretär des Unterrichtsministeriums offen¬
bar nicht in der Sphäre, in die er gehörte. Wohl widmete er sich mit seltenem,
aufopferndem Fleiße der neuen Berufsthätigkeit, allein durch und durch poetischer
Charakter, taugte er uicht dahin, wo auf Tritt und Schritt die nüchternste Prosa
ihm die Bahn hemmte. Man kann ihm nicht Thatkraft absprechen; doch er be¬
gann seine neue Wirksamkeit uicht, wie es nöthig war, gleich dem Schmied, der
auf dem Ambos das erglühte Eisen in beliebige Formen schlägt, sondern wie die
Bearbeitung einer größern Dichtung. Und seinem ganzen Wesen nach sanft und
nachgiebig, war er uicht geschaffen, Kabalen und Intriguen aller Art mit brechen¬
der Energie zu begegnen. Dem Idealismus ergeben, mußte er die Wirklichkeit
bald auf diese, bald auf jene Weise unrichtig auffassen, und in der Umschaffung
der Wirklichkeit wiederum oft das Unrichtige treffen. Endlich kannte er auch in
Wahrheit alle Unterrichtsverhältuisse Oestreichs nicht sattsam, und einen Medi¬
ziner zum Chef des Erziehungswesens zu machen ist allezeit etwas Verfehltes.
Das Unterrichts- und Erziehungswesen bedarf einen Dirigenten mit vorzugsweise
universeller, nich^besonderer Fachbildung, mit größerem Können als Wissen und


, Grenzboten. l. 18S0. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93144"/>
          <p xml:id="ID_1093" prev="#ID_1092"> man auf Feuchtersleben's literarische Wirksamkeit hinschaut, in der er sich nament¬<lb/>
lich den Ruf eines ausgezeichneten Psychologen erworben, so ist die undankbare<lb/>
Stille, mit der man den Tod dieses, in seinen kräftigsten Jahren dahingeschiedenen<lb/>
Mannes, aufgenommen, nur dadurch erklärlich, daß er in einer Zeit starb, wo,<lb/>
gleich der gewaltigen Meeresfluth, die Welle auf Welle thürmend eine die andere<lb/>
verschlingen läßt, also daß dem Auge des Beschauers nichts als das Meer sich<lb/>
einprägt, Personen und Ereignisse von dem drängenden Strome der Entwicklung<lb/>
des Staats- und Völkerlebens verschlungen werden, also daß wir nichts als die<lb/>
Geschichte selbst zu fassen im Stande sind, daß wir das Wie des Werdens<lb/>
über das Gewordene, die concreten Einzelheiten über das Resultat vergessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1094"> Zu denen, welche mit Feuchtersleben in häufigerem Verkehr, nicht blos in<lb/>
vertraulicher, sondern auch in geschäftlicher Beziehung standen, gehört der Verf.<lb/>
dieses Aufsatzes, den seine literarische Thätigkeit ihm zuführte. Feuchtersleben traute<lb/>
mir Kraft und Geschick genug zu, um mich bei der Reorganisation der Studien<lb/>
zuzuziehen, und wenn crie Besprechung in dieser Frage mit Professor ol-. Exner<lb/>
aus Prag aus mich einen so widerwärtigen, abstoßenden Eindruck erregte, wenn<lb/>
mir klar wurde, wie wenig den freisinnigen Bestrebungen Doblhoffs und Feuch-<lb/>
terslebeu's Rechnung getragen würde, falls jener den ihm zugedachten Posten im<lb/>
Unterrichtsministerium einnehmen möchte, daß ich Verzicht darauf leistete eine meine<lb/>
Kräfte vielleicht übersteigende Stellung zu bekleiden, so sehe ich dennoch keines¬<lb/>
wegs mit Mißvergnügen auf eine Arbeit, die mit meinem eigenen Willen nicht in<lb/>
die Praxis trat. Feuchtersleben's Zuneigung war Gewinn genug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1095" next="#ID_1096"> Feuchtersleben war als Unterstaatssecretär des Unterrichtsministeriums offen¬<lb/>
bar nicht in der Sphäre, in die er gehörte. Wohl widmete er sich mit seltenem,<lb/>
aufopferndem Fleiße der neuen Berufsthätigkeit, allein durch und durch poetischer<lb/>
Charakter, taugte er uicht dahin, wo auf Tritt und Schritt die nüchternste Prosa<lb/>
ihm die Bahn hemmte. Man kann ihm nicht Thatkraft absprechen; doch er be¬<lb/>
gann seine neue Wirksamkeit uicht, wie es nöthig war, gleich dem Schmied, der<lb/>
auf dem Ambos das erglühte Eisen in beliebige Formen schlägt, sondern wie die<lb/>
Bearbeitung einer größern Dichtung. Und seinem ganzen Wesen nach sanft und<lb/>
nachgiebig, war er uicht geschaffen, Kabalen und Intriguen aller Art mit brechen¬<lb/>
der Energie zu begegnen. Dem Idealismus ergeben, mußte er die Wirklichkeit<lb/>
bald auf diese, bald auf jene Weise unrichtig auffassen, und in der Umschaffung<lb/>
der Wirklichkeit wiederum oft das Unrichtige treffen. Endlich kannte er auch in<lb/>
Wahrheit alle Unterrichtsverhältuisse Oestreichs nicht sattsam, und einen Medi¬<lb/>
ziner zum Chef des Erziehungswesens zu machen ist allezeit etwas Verfehltes.<lb/>
Das Unterrichts- und Erziehungswesen bedarf einen Dirigenten mit vorzugsweise<lb/>
universeller, nich^besonderer Fachbildung, mit größerem Können als Wissen und</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> , Grenzboten. l. 18S0. 40</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] man auf Feuchtersleben's literarische Wirksamkeit hinschaut, in der er sich nament¬ lich den Ruf eines ausgezeichneten Psychologen erworben, so ist die undankbare Stille, mit der man den Tod dieses, in seinen kräftigsten Jahren dahingeschiedenen Mannes, aufgenommen, nur dadurch erklärlich, daß er in einer Zeit starb, wo, gleich der gewaltigen Meeresfluth, die Welle auf Welle thürmend eine die andere verschlingen läßt, also daß dem Auge des Beschauers nichts als das Meer sich einprägt, Personen und Ereignisse von dem drängenden Strome der Entwicklung des Staats- und Völkerlebens verschlungen werden, also daß wir nichts als die Geschichte selbst zu fassen im Stande sind, daß wir das Wie des Werdens über das Gewordene, die concreten Einzelheiten über das Resultat vergessen. Zu denen, welche mit Feuchtersleben in häufigerem Verkehr, nicht blos in vertraulicher, sondern auch in geschäftlicher Beziehung standen, gehört der Verf. dieses Aufsatzes, den seine literarische Thätigkeit ihm zuführte. Feuchtersleben traute mir Kraft und Geschick genug zu, um mich bei der Reorganisation der Studien zuzuziehen, und wenn crie Besprechung in dieser Frage mit Professor ol-. Exner aus Prag aus mich einen so widerwärtigen, abstoßenden Eindruck erregte, wenn mir klar wurde, wie wenig den freisinnigen Bestrebungen Doblhoffs und Feuch- terslebeu's Rechnung getragen würde, falls jener den ihm zugedachten Posten im Unterrichtsministerium einnehmen möchte, daß ich Verzicht darauf leistete eine meine Kräfte vielleicht übersteigende Stellung zu bekleiden, so sehe ich dennoch keines¬ wegs mit Mißvergnügen auf eine Arbeit, die mit meinem eigenen Willen nicht in die Praxis trat. Feuchtersleben's Zuneigung war Gewinn genug. Feuchtersleben war als Unterstaatssecretär des Unterrichtsministeriums offen¬ bar nicht in der Sphäre, in die er gehörte. Wohl widmete er sich mit seltenem, aufopferndem Fleiße der neuen Berufsthätigkeit, allein durch und durch poetischer Charakter, taugte er uicht dahin, wo auf Tritt und Schritt die nüchternste Prosa ihm die Bahn hemmte. Man kann ihm nicht Thatkraft absprechen; doch er be¬ gann seine neue Wirksamkeit uicht, wie es nöthig war, gleich dem Schmied, der auf dem Ambos das erglühte Eisen in beliebige Formen schlägt, sondern wie die Bearbeitung einer größern Dichtung. Und seinem ganzen Wesen nach sanft und nachgiebig, war er uicht geschaffen, Kabalen und Intriguen aller Art mit brechen¬ der Energie zu begegnen. Dem Idealismus ergeben, mußte er die Wirklichkeit bald auf diese, bald auf jene Weise unrichtig auffassen, und in der Umschaffung der Wirklichkeit wiederum oft das Unrichtige treffen. Endlich kannte er auch in Wahrheit alle Unterrichtsverhältuisse Oestreichs nicht sattsam, und einen Medi¬ ziner zum Chef des Erziehungswesens zu machen ist allezeit etwas Verfehltes. Das Unterrichts- und Erziehungswesen bedarf einen Dirigenten mit vorzugsweise universeller, nich^besonderer Fachbildung, mit größerem Können als Wissen und , Grenzboten. l. 18S0. 40

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/321>, abgerufen am 21.06.2024.