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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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öffnete, fiel ihr zuerst eine hohe Gestalt mit langem Halse, stark geröthetem Antlitz,
stechenden Augen und einem ungeheuern, wie Widdergehörn gewundenem Schnurrbart
auf. Sie errieth deu Feldherrn und ging grade auf ihn zu. neugieriges Flüstern
lief durch den Saal, als sie eintrat, aber Todtenstille entstand, als sie, den
Schleier zurückschlagend, sich mit der Linken am Tische festhielt und, zum Feld¬
herrn aufblickend, mit langsamer und bebender Stimme sagte: Ich -- will --
sterben! -- Die Krieger sahen einander verwundert an. -- Ich will sterben! wie¬
derholte sie; heute habt Ihr meinen Geliebten getödtet. Er hielt mich für seine
Verrätherin. Seht Ihr nicht ein, daß ich ihm in den Himmel folgen muß, um
ihm zu sagen, daß ich unschuldig bin? -- Sie redet irre, sagte Einer halb¬
laut. -- Ich bin nicht irrsinnig, antwortete sie. Ihr müßt mich hinrichten lassen,
denn ich bin Euch todfeind und werde noch im Himmel mit meinen Gebeten gegen
Euch rebelliren. -- Wir fuhren keinen Krieg mit Weibern, sagte der Comman¬
dant. -- Aber mit Kindern und gebrechlichen Greisen, fuhr sie mit gehobener
Stimme fort. War mein Giuseppe nicht ein Knabe, mit jungen Flaum auf den
Lippen? Könnt' ich nicht ebeu so gut fechte" wie er? Und wenn ich lebe, so
schwöre ich bei der heiligen Jungfrau, daß ich Gift gegen Euch mischen werde.
Müßt Ihr mich nun uicht erschießen lassen? -- Führt sie aus dem Hanse, sagte
der Feldherr mürrisch. -- Nicht so, Ihr Seelen von Holz! rief sie und eilte nach
dem offenen Balkonfeuster, um sich hinabzustürzen. Zwei Offiziere sprangen ihr
nach und hielten sie bei beiden Händen fest. Eine Komödiantin! spottete einer
der jüngern Offiziere. Ich ließe die Hexe wenigstens "karbatschen" Da trat
der alte Oberst vor, deu wir heute bei Signor T. sahen, und schlug dem rohen
Söldner mit der stählernen Säbelscheide ins Gesicht, daß er blutend an die Wand
taumelte; Genugthuung morgen! hinzusetzend. Daun nahm er die Unglückliche in
seine Arme, mit den Worten: Diese Verlassene wollet meiner Obhut anvertrauen.
Wie ein Kind trug er sie die Treppe hinab und nach seinem Quartier. Helle
Thränen flössen dabei dem grauen Tapfern über sein sirenges Gesicht herab. Bea-
trice schlug erstaunt die Angen zu ihm auf und lispelte: Du hast ein Menschen¬
gesicht! und verbarg ihr Haupt an seinem Busen. --

Das Versprechen, sie "ach Venedig zu bringen, beruhigte sie und schien ihr
neue Lebenslust einzuflößen; aber sie schlug vor keinem Menschen das Auge auf
und regte vor keinem die Lippen als vor dem Oberst, in dessen Anordnungen sie
sich gehorsam fügte. Als ging es zur Befreiung der Lagunenstadt, folgte sie,
uuter der Obhut der Marketenderinnen, dem belagernden Heere, bei welchem ihr
Beschützer war, vor Venedig. Manchen Abend, wenn das blutige Feuerwerk des
Krieges Laud und Meer feenhaft erleuchtete, entfloh sie der Wachsamkeit ihrer
Hüterinnen und setzte sich an den Strand, mitten in den Sprühregen der venetiani-



*) peitschen.

öffnete, fiel ihr zuerst eine hohe Gestalt mit langem Halse, stark geröthetem Antlitz,
stechenden Augen und einem ungeheuern, wie Widdergehörn gewundenem Schnurrbart
auf. Sie errieth deu Feldherrn und ging grade auf ihn zu. neugieriges Flüstern
lief durch den Saal, als sie eintrat, aber Todtenstille entstand, als sie, den
Schleier zurückschlagend, sich mit der Linken am Tische festhielt und, zum Feld¬
herrn aufblickend, mit langsamer und bebender Stimme sagte: Ich — will —
sterben! — Die Krieger sahen einander verwundert an. — Ich will sterben! wie¬
derholte sie; heute habt Ihr meinen Geliebten getödtet. Er hielt mich für seine
Verrätherin. Seht Ihr nicht ein, daß ich ihm in den Himmel folgen muß, um
ihm zu sagen, daß ich unschuldig bin? — Sie redet irre, sagte Einer halb¬
laut. — Ich bin nicht irrsinnig, antwortete sie. Ihr müßt mich hinrichten lassen,
denn ich bin Euch todfeind und werde noch im Himmel mit meinen Gebeten gegen
Euch rebelliren. — Wir fuhren keinen Krieg mit Weibern, sagte der Comman¬
dant. — Aber mit Kindern und gebrechlichen Greisen, fuhr sie mit gehobener
Stimme fort. War mein Giuseppe nicht ein Knabe, mit jungen Flaum auf den
Lippen? Könnt' ich nicht ebeu so gut fechte» wie er? Und wenn ich lebe, so
schwöre ich bei der heiligen Jungfrau, daß ich Gift gegen Euch mischen werde.
Müßt Ihr mich nun uicht erschießen lassen? — Führt sie aus dem Hanse, sagte
der Feldherr mürrisch. — Nicht so, Ihr Seelen von Holz! rief sie und eilte nach
dem offenen Balkonfeuster, um sich hinabzustürzen. Zwei Offiziere sprangen ihr
nach und hielten sie bei beiden Händen fest. Eine Komödiantin! spottete einer
der jüngern Offiziere. Ich ließe die Hexe wenigstens „karbatschen" Da trat
der alte Oberst vor, deu wir heute bei Signor T. sahen, und schlug dem rohen
Söldner mit der stählernen Säbelscheide ins Gesicht, daß er blutend an die Wand
taumelte; Genugthuung morgen! hinzusetzend. Daun nahm er die Unglückliche in
seine Arme, mit den Worten: Diese Verlassene wollet meiner Obhut anvertrauen.
Wie ein Kind trug er sie die Treppe hinab und nach seinem Quartier. Helle
Thränen flössen dabei dem grauen Tapfern über sein sirenges Gesicht herab. Bea-
trice schlug erstaunt die Angen zu ihm auf und lispelte: Du hast ein Menschen¬
gesicht! und verbarg ihr Haupt an seinem Busen. —

Das Versprechen, sie «ach Venedig zu bringen, beruhigte sie und schien ihr
neue Lebenslust einzuflößen; aber sie schlug vor keinem Menschen das Auge auf
und regte vor keinem die Lippen als vor dem Oberst, in dessen Anordnungen sie
sich gehorsam fügte. Als ging es zur Befreiung der Lagunenstadt, folgte sie,
uuter der Obhut der Marketenderinnen, dem belagernden Heere, bei welchem ihr
Beschützer war, vor Venedig. Manchen Abend, wenn das blutige Feuerwerk des
Krieges Laud und Meer feenhaft erleuchtete, entfloh sie der Wachsamkeit ihrer
Hüterinnen und setzte sich an den Strand, mitten in den Sprühregen der venetiani-



*) peitschen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/32>, abgerufen am 20.06.2024.