Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Der klirrende Säbel des Fortgehenden hatte Beatrice geweckt. Sie flog auf
die Schwelle des anstoßenden Gemachs und fragte hastig: Wer war der Soldat?
-- Ein Offizier, ein alter Bekannter, er hat mich gewarnt, antwortete T. stot¬
ternd. -- So?! rief sie gedehnt. In den letzten verhängnißvollen Wochen war
Beatrice vom Kinde zur Frau gereift; tiefer Ernst lag auf ihren sinnenden Brauen.
Gegen T. zeigte sie offener ihre Gleichgiltigkeit. Onssim-r! hub dieser an; wir
müssen fort aus diesem unglückseligen Lande, helfen können wir ihm nicht, und
der schmerzliche Anblick seiner Leiden zehrt Dich auf. Komm, nach Deutschland,
wenn sich das Schicksal wendet, kehren wir zurück. -- Habe ich Dich je so ge¬
liebt, fragte sie mit bebender Stimme, daß ich um Deinetwillen die Heimath ver¬
lassen sollte? Wärst Du ein Mann, so brauchtest Du uicht zu fliehen, Du wärst
gefallen. Und sie wandte ihr Haupt von ihm ab. In diesem Augenblick pochte
es an der Thüre und eintrat ein blutjunger Lieutenant mit blauen Augen und
blondem Haar, der eine theilnehmende Bewegung in seinem Antlitz nicht verber¬
gen konnte, als er Beatrice mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ein Billet überreichte.
Vom Marchese M. sagte er mit leiser Stimme und entfernte sich. Mit zitternder
Hand brach sie es auf. T. wurde blaß wie die Kalkwand hinter ihm, als er den
Namen horte. Das Briefchen enthielt nur einige Zeilen:

Syrene,

Durch die Gitterstäbe meiner Zelle sah ich Dich heute über die Piazza wan¬
deln, nur so erfuhr ich Deine Anwesenheit. Ich sage Dir Lebewohl. Die ge¬
heimsten Schritte unserer Genossen wurden verrathen, -- verrathen durch Dich
und Deinen Mann. Ihn treffe der Fluch, der Kain traf. Ich verzeihe Dir um
Deiner süßen Augen willen, an die ich noch im Tode denken werde. Möge Dir
anch das Vaterland verzeihen könne"! Mache keinen Versuch, mich zu sprechen,
eS wird zu spät sein. Der Beichtvater kommt, adiv! -- --

Das Papier zitterte in ihrer Hand wie ein Espcnblatt im Winde; wie ihr
Ange bis zu den letzten Worten geflogen war, sank sie mit einem Schrei bewußtlos
zusammen. Als sie erwachte, war das Gemach leer, Kam entflohen. Sie glaubte
ein Jahrhundert verschlummert zu haben, nur wie eine dunkle Erinnerung eines
bösen Traumes schwebte ihr vor. Da gewahrte sie am Boden das Blatt mit den
theuern Schriftzügen und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Plötzlich aber
trocknete sie ihre Thränen; sie hatte in ihrem Herzen einen Entschluß gefaßt, nahm
Hut und Schleier, trat hinaus, ging über die Piazza, ohne uach dem Kerkergitter
zu suche", bis sie in einer dunklen Gasse vor einem mit Soldaten besetzten Palaste
hielt, und fragte den diensthabenden Offizier nach dem Commandanten und Feld¬
herrn. Derselbe junge Lieutnant, der ihr die letzten Worte des Sterbenden ge¬
bracht, geleitete sie in den ersten Stock hinauf und meldete sie an. Im Vorzimmer
durchsuchte mau sie nach verborgenen Waffen, sie ließ es ruhig geschehen. Becher¬
klang und fröhliche Ausrufungen tönten heraus, und als sich ihr die Flügelthüre


Der klirrende Säbel des Fortgehenden hatte Beatrice geweckt. Sie flog auf
die Schwelle des anstoßenden Gemachs und fragte hastig: Wer war der Soldat?
— Ein Offizier, ein alter Bekannter, er hat mich gewarnt, antwortete T. stot¬
ternd. — So?! rief sie gedehnt. In den letzten verhängnißvollen Wochen war
Beatrice vom Kinde zur Frau gereift; tiefer Ernst lag auf ihren sinnenden Brauen.
Gegen T. zeigte sie offener ihre Gleichgiltigkeit. Onssim-r! hub dieser an; wir
müssen fort aus diesem unglückseligen Lande, helfen können wir ihm nicht, und
der schmerzliche Anblick seiner Leiden zehrt Dich auf. Komm, nach Deutschland,
wenn sich das Schicksal wendet, kehren wir zurück. — Habe ich Dich je so ge¬
liebt, fragte sie mit bebender Stimme, daß ich um Deinetwillen die Heimath ver¬
lassen sollte? Wärst Du ein Mann, so brauchtest Du uicht zu fliehen, Du wärst
gefallen. Und sie wandte ihr Haupt von ihm ab. In diesem Augenblick pochte
es an der Thüre und eintrat ein blutjunger Lieutenant mit blauen Augen und
blondem Haar, der eine theilnehmende Bewegung in seinem Antlitz nicht verber¬
gen konnte, als er Beatrice mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ein Billet überreichte.
Vom Marchese M. sagte er mit leiser Stimme und entfernte sich. Mit zitternder
Hand brach sie es auf. T. wurde blaß wie die Kalkwand hinter ihm, als er den
Namen horte. Das Briefchen enthielt nur einige Zeilen:

Syrene,

Durch die Gitterstäbe meiner Zelle sah ich Dich heute über die Piazza wan¬
deln, nur so erfuhr ich Deine Anwesenheit. Ich sage Dir Lebewohl. Die ge¬
heimsten Schritte unserer Genossen wurden verrathen, — verrathen durch Dich
und Deinen Mann. Ihn treffe der Fluch, der Kain traf. Ich verzeihe Dir um
Deiner süßen Augen willen, an die ich noch im Tode denken werde. Möge Dir
anch das Vaterland verzeihen könne«! Mache keinen Versuch, mich zu sprechen,
eS wird zu spät sein. Der Beichtvater kommt, adiv! — —

Das Papier zitterte in ihrer Hand wie ein Espcnblatt im Winde; wie ihr
Ange bis zu den letzten Worten geflogen war, sank sie mit einem Schrei bewußtlos
zusammen. Als sie erwachte, war das Gemach leer, Kam entflohen. Sie glaubte
ein Jahrhundert verschlummert zu haben, nur wie eine dunkle Erinnerung eines
bösen Traumes schwebte ihr vor. Da gewahrte sie am Boden das Blatt mit den
theuern Schriftzügen und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Plötzlich aber
trocknete sie ihre Thränen; sie hatte in ihrem Herzen einen Entschluß gefaßt, nahm
Hut und Schleier, trat hinaus, ging über die Piazza, ohne uach dem Kerkergitter
zu suche», bis sie in einer dunklen Gasse vor einem mit Soldaten besetzten Palaste
hielt, und fragte den diensthabenden Offizier nach dem Commandanten und Feld¬
herrn. Derselbe junge Lieutnant, der ihr die letzten Worte des Sterbenden ge¬
bracht, geleitete sie in den ersten Stock hinauf und meldete sie an. Im Vorzimmer
durchsuchte mau sie nach verborgenen Waffen, sie ließ es ruhig geschehen. Becher¬
klang und fröhliche Ausrufungen tönten heraus, und als sich ihr die Flügelthüre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92854"/>
            <p xml:id="ID_64"> Der klirrende Säbel des Fortgehenden hatte Beatrice geweckt. Sie flog auf<lb/>
die Schwelle des anstoßenden Gemachs und fragte hastig: Wer war der Soldat?<lb/>
&#x2014; Ein Offizier, ein alter Bekannter, er hat mich gewarnt, antwortete T. stot¬<lb/>
ternd. &#x2014; So?! rief sie gedehnt. In den letzten verhängnißvollen Wochen war<lb/>
Beatrice vom Kinde zur Frau gereift; tiefer Ernst lag auf ihren sinnenden Brauen.<lb/>
Gegen T. zeigte sie offener ihre Gleichgiltigkeit. Onssim-r! hub dieser an; wir<lb/>
müssen fort aus diesem unglückseligen Lande, helfen können wir ihm nicht, und<lb/>
der schmerzliche Anblick seiner Leiden zehrt Dich auf. Komm, nach Deutschland,<lb/>
wenn sich das Schicksal wendet, kehren wir zurück. &#x2014; Habe ich Dich je so ge¬<lb/>
liebt, fragte sie mit bebender Stimme, daß ich um Deinetwillen die Heimath ver¬<lb/>
lassen sollte? Wärst Du ein Mann, so brauchtest Du uicht zu fliehen, Du wärst<lb/>
gefallen. Und sie wandte ihr Haupt von ihm ab. In diesem Augenblick pochte<lb/>
es an der Thüre und eintrat ein blutjunger Lieutenant mit blauen Augen und<lb/>
blondem Haar, der eine theilnehmende Bewegung in seinem Antlitz nicht verber¬<lb/>
gen konnte, als er Beatrice mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ein Billet überreichte.<lb/>
Vom Marchese M. sagte er mit leiser Stimme und entfernte sich. Mit zitternder<lb/>
Hand brach sie es auf. T. wurde blaß wie die Kalkwand hinter ihm, als er den<lb/>
Namen horte. Das Briefchen enthielt nur einige Zeilen:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_65"> Syrene,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_66"> Durch die Gitterstäbe meiner Zelle sah ich Dich heute über die Piazza wan¬<lb/>
deln, nur so erfuhr ich Deine Anwesenheit. Ich sage Dir Lebewohl. Die ge¬<lb/>
heimsten Schritte unserer Genossen wurden verrathen, &#x2014; verrathen durch Dich<lb/>
und Deinen Mann. Ihn treffe der Fluch, der Kain traf. Ich verzeihe Dir um<lb/>
Deiner süßen Augen willen, an die ich noch im Tode denken werde. Möge Dir<lb/>
anch das Vaterland verzeihen könne«! Mache keinen Versuch, mich zu sprechen,<lb/>
eS wird zu spät sein. Der Beichtvater kommt, adiv! &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_67" next="#ID_68"> Das Papier zitterte in ihrer Hand wie ein Espcnblatt im Winde; wie ihr<lb/>
Ange bis zu den letzten Worten geflogen war, sank sie mit einem Schrei bewußtlos<lb/>
zusammen. Als sie erwachte, war das Gemach leer, Kam entflohen. Sie glaubte<lb/>
ein Jahrhundert verschlummert zu haben, nur wie eine dunkle Erinnerung eines<lb/>
bösen Traumes schwebte ihr vor. Da gewahrte sie am Boden das Blatt mit den<lb/>
theuern Schriftzügen und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Plötzlich aber<lb/>
trocknete sie ihre Thränen; sie hatte in ihrem Herzen einen Entschluß gefaßt, nahm<lb/>
Hut und Schleier, trat hinaus, ging über die Piazza, ohne uach dem Kerkergitter<lb/>
zu suche», bis sie in einer dunklen Gasse vor einem mit Soldaten besetzten Palaste<lb/>
hielt, und fragte den diensthabenden Offizier nach dem Commandanten und Feld¬<lb/>
herrn. Derselbe junge Lieutnant, der ihr die letzten Worte des Sterbenden ge¬<lb/>
bracht, geleitete sie in den ersten Stock hinauf und meldete sie an. Im Vorzimmer<lb/>
durchsuchte mau sie nach verborgenen Waffen, sie ließ es ruhig geschehen. Becher¬<lb/>
klang und fröhliche Ausrufungen tönten heraus, und als sich ihr die Flügelthüre</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Der klirrende Säbel des Fortgehenden hatte Beatrice geweckt. Sie flog auf die Schwelle des anstoßenden Gemachs und fragte hastig: Wer war der Soldat? — Ein Offizier, ein alter Bekannter, er hat mich gewarnt, antwortete T. stot¬ ternd. — So?! rief sie gedehnt. In den letzten verhängnißvollen Wochen war Beatrice vom Kinde zur Frau gereift; tiefer Ernst lag auf ihren sinnenden Brauen. Gegen T. zeigte sie offener ihre Gleichgiltigkeit. Onssim-r! hub dieser an; wir müssen fort aus diesem unglückseligen Lande, helfen können wir ihm nicht, und der schmerzliche Anblick seiner Leiden zehrt Dich auf. Komm, nach Deutschland, wenn sich das Schicksal wendet, kehren wir zurück. — Habe ich Dich je so ge¬ liebt, fragte sie mit bebender Stimme, daß ich um Deinetwillen die Heimath ver¬ lassen sollte? Wärst Du ein Mann, so brauchtest Du uicht zu fliehen, Du wärst gefallen. Und sie wandte ihr Haupt von ihm ab. In diesem Augenblick pochte es an der Thüre und eintrat ein blutjunger Lieutenant mit blauen Augen und blondem Haar, der eine theilnehmende Bewegung in seinem Antlitz nicht verber¬ gen konnte, als er Beatrice mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ein Billet überreichte. Vom Marchese M. sagte er mit leiser Stimme und entfernte sich. Mit zitternder Hand brach sie es auf. T. wurde blaß wie die Kalkwand hinter ihm, als er den Namen horte. Das Briefchen enthielt nur einige Zeilen: Syrene, Durch die Gitterstäbe meiner Zelle sah ich Dich heute über die Piazza wan¬ deln, nur so erfuhr ich Deine Anwesenheit. Ich sage Dir Lebewohl. Die ge¬ heimsten Schritte unserer Genossen wurden verrathen, — verrathen durch Dich und Deinen Mann. Ihn treffe der Fluch, der Kain traf. Ich verzeihe Dir um Deiner süßen Augen willen, an die ich noch im Tode denken werde. Möge Dir anch das Vaterland verzeihen könne«! Mache keinen Versuch, mich zu sprechen, eS wird zu spät sein. Der Beichtvater kommt, adiv! — — Das Papier zitterte in ihrer Hand wie ein Espcnblatt im Winde; wie ihr Ange bis zu den letzten Worten geflogen war, sank sie mit einem Schrei bewußtlos zusammen. Als sie erwachte, war das Gemach leer, Kam entflohen. Sie glaubte ein Jahrhundert verschlummert zu haben, nur wie eine dunkle Erinnerung eines bösen Traumes schwebte ihr vor. Da gewahrte sie am Boden das Blatt mit den theuern Schriftzügen und brach in krampfhaftes Schluchzen aus. Plötzlich aber trocknete sie ihre Thränen; sie hatte in ihrem Herzen einen Entschluß gefaßt, nahm Hut und Schleier, trat hinaus, ging über die Piazza, ohne uach dem Kerkergitter zu suche», bis sie in einer dunklen Gasse vor einem mit Soldaten besetzten Palaste hielt, und fragte den diensthabenden Offizier nach dem Commandanten und Feld¬ herrn. Derselbe junge Lieutnant, der ihr die letzten Worte des Sterbenden ge¬ bracht, geleitete sie in den ersten Stock hinauf und meldete sie an. Im Vorzimmer durchsuchte mau sie nach verborgenen Waffen, sie ließ es ruhig geschehen. Becher¬ klang und fröhliche Ausrufungen tönten heraus, und als sich ihr die Flügelthüre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/31>, abgerufen am 20.06.2024.