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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Kunde von dem Ereigniß in Siedlce, ehe dieses noch unterdrückt war, ehe noch
ein Verhör, ehe noch ein Geständniß stattgefunden hatte, schon Hunderte in War¬
schau und anderen Städten verhaften lassen konnte, welche an der Bewegung Theil
nehmen wollten? Die Sache war erklärlich: Der Polizeimeister kannte die
Verbindungen des Herrn von Potocki und die seiner Freunde. Natürlich verfallen
bei einem solchen blos auf den Nachweisen des Polizeimeisters begründeten Ver¬
fahren viele Schuldlose dem finsterm Schicksale, die Lust der Kerker zu athmen;
allein man hat doch immer zugleich eine große Menge Schuldiger angefangen;
bei der Revolution des vorigen Jahres z. B. hat die Allwissenheit des geheimen
Bureau weniger Dienste geleistet, da die umfassendsten Angaben aus Litthauen
kamen. Im Gegentheile machte das geheime Bureau die Untersuchungen, welche
heute noch nicht einmal beendet sind, nur verworrener, verwickelter und undurch¬
dringlicher. Noch sitzen eine Menge Personen in der Citadelle, welche nur darum
eingezogen wurden, weil sie in dem heiligen Buche bös angeschrieben waren. Man
fordert vou ihnen Geständnisse, die sie, zum Theil wenigstens, gewiß uicht machen
können. Von Saw...... z. B. ist man anch in den Beamtenkreiseu versichert, daß
er längst seine Schuldigkeit an den letzten politischen Versuchen durch die unwi-
derleglichsten Beweise dargethan habe, ja, die Unmöglichkeit seiner Theilnahme
liege so klar vor, daß nur böser Wille sie nicht sehen könne. Gleichwohl bleibe
er fort und fort in Haft, weil seine Charakteristik in dem geheimen Buche derart
ist, daß man trotz Allem an seine Unschuld uicht glauben kann, vielleicht hält man
es aber auch für gut, die Gelegenheit zu seiner GesangenlMnng so lange als
möglich zu benutzen.

Es ist keine Frage, daß in das sogenannte schwarze Buch auch falsche Anga¬
ben mit einfließen. Die Spione sind stets mehr beflissen ihren Diensteifer zu
zeigen, alsj sich in ihrem Dienste wirklich anzustrengen. Da sie nicht allzu häufig
etwas aufzuspüren haben, und zu einem Anspruch auf Gratifikation, die mehr
einzutragen pflegt, als der Sold, wenig gerechten Anspruch gewinnen, so benutzen
sie oft ihre Phantasie und die Fühllosigkeit ihres Gewiss-mis, um Anzeigen zu ver¬
fertigen. Daher manches Individuum viel schlechter angeschrieben steht, als es
der Wahrheit nach sein sollte. Und wenn auch nicht offenbare Unwahrheiten vou
den Spionen in das Bureau des Polizeimeisters gebracht werden, so sind es doch
oft starke Uebertreibungen. So war ein Mal die Anzeige gemacht worden, ein
Herr in der Pvdwallstraße habe sein Zimmer mit einer großen Menge ausschlie߬
lich revolutionärer Bilder decorirt. Der Pvlizeimeister verhaftete den Angeklagten
des. Nachts unverhoffter Weise, um bei ihm eine Besichtigung des Zimmers zu
veranstalten. Da fand sich denn, daß die Bilder von Johann Zu. und Kos-
ciuszko in der Stube hingen und nichts weiter.

Selbst Staatsräthe -- Herr von B --my war nicht der einzige -- genießen
des Ruhmes, von der Regierung mit der Direktion von Spionen und mit Ge-


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Kunde von dem Ereigniß in Siedlce, ehe dieses noch unterdrückt war, ehe noch
ein Verhör, ehe noch ein Geständniß stattgefunden hatte, schon Hunderte in War¬
schau und anderen Städten verhaften lassen konnte, welche an der Bewegung Theil
nehmen wollten? Die Sache war erklärlich: Der Polizeimeister kannte die
Verbindungen des Herrn von Potocki und die seiner Freunde. Natürlich verfallen
bei einem solchen blos auf den Nachweisen des Polizeimeisters begründeten Ver¬
fahren viele Schuldlose dem finsterm Schicksale, die Lust der Kerker zu athmen;
allein man hat doch immer zugleich eine große Menge Schuldiger angefangen;
bei der Revolution des vorigen Jahres z. B. hat die Allwissenheit des geheimen
Bureau weniger Dienste geleistet, da die umfassendsten Angaben aus Litthauen
kamen. Im Gegentheile machte das geheime Bureau die Untersuchungen, welche
heute noch nicht einmal beendet sind, nur verworrener, verwickelter und undurch¬
dringlicher. Noch sitzen eine Menge Personen in der Citadelle, welche nur darum
eingezogen wurden, weil sie in dem heiligen Buche bös angeschrieben waren. Man
fordert vou ihnen Geständnisse, die sie, zum Theil wenigstens, gewiß uicht machen
können. Von Saw...... z. B. ist man anch in den Beamtenkreiseu versichert, daß
er längst seine Schuldigkeit an den letzten politischen Versuchen durch die unwi-
derleglichsten Beweise dargethan habe, ja, die Unmöglichkeit seiner Theilnahme
liege so klar vor, daß nur böser Wille sie nicht sehen könne. Gleichwohl bleibe
er fort und fort in Haft, weil seine Charakteristik in dem geheimen Buche derart
ist, daß man trotz Allem an seine Unschuld uicht glauben kann, vielleicht hält man
es aber auch für gut, die Gelegenheit zu seiner GesangenlMnng so lange als
möglich zu benutzen.

Es ist keine Frage, daß in das sogenannte schwarze Buch auch falsche Anga¬
ben mit einfließen. Die Spione sind stets mehr beflissen ihren Diensteifer zu
zeigen, alsj sich in ihrem Dienste wirklich anzustrengen. Da sie nicht allzu häufig
etwas aufzuspüren haben, und zu einem Anspruch auf Gratifikation, die mehr
einzutragen pflegt, als der Sold, wenig gerechten Anspruch gewinnen, so benutzen
sie oft ihre Phantasie und die Fühllosigkeit ihres Gewiss-mis, um Anzeigen zu ver¬
fertigen. Daher manches Individuum viel schlechter angeschrieben steht, als es
der Wahrheit nach sein sollte. Und wenn auch nicht offenbare Unwahrheiten vou
den Spionen in das Bureau des Polizeimeisters gebracht werden, so sind es doch
oft starke Uebertreibungen. So war ein Mal die Anzeige gemacht worden, ein
Herr in der Pvdwallstraße habe sein Zimmer mit einer großen Menge ausschlie߬
lich revolutionärer Bilder decorirt. Der Pvlizeimeister verhaftete den Angeklagten
des. Nachts unverhoffter Weise, um bei ihm eine Besichtigung des Zimmers zu
veranstalten. Da fand sich denn, daß die Bilder von Johann Zu. und Kos-
ciuszko in der Stube hingen und nichts weiter.

Selbst Staatsräthe — Herr von B —my war nicht der einzige — genießen
des Ruhmes, von der Regierung mit der Direktion von Spionen und mit Ge-


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[0315] Kunde von dem Ereigniß in Siedlce, ehe dieses noch unterdrückt war, ehe noch ein Verhör, ehe noch ein Geständniß stattgefunden hatte, schon Hunderte in War¬ schau und anderen Städten verhaften lassen konnte, welche an der Bewegung Theil nehmen wollten? Die Sache war erklärlich: Der Polizeimeister kannte die Verbindungen des Herrn von Potocki und die seiner Freunde. Natürlich verfallen bei einem solchen blos auf den Nachweisen des Polizeimeisters begründeten Ver¬ fahren viele Schuldlose dem finsterm Schicksale, die Lust der Kerker zu athmen; allein man hat doch immer zugleich eine große Menge Schuldiger angefangen; bei der Revolution des vorigen Jahres z. B. hat die Allwissenheit des geheimen Bureau weniger Dienste geleistet, da die umfassendsten Angaben aus Litthauen kamen. Im Gegentheile machte das geheime Bureau die Untersuchungen, welche heute noch nicht einmal beendet sind, nur verworrener, verwickelter und undurch¬ dringlicher. Noch sitzen eine Menge Personen in der Citadelle, welche nur darum eingezogen wurden, weil sie in dem heiligen Buche bös angeschrieben waren. Man fordert vou ihnen Geständnisse, die sie, zum Theil wenigstens, gewiß uicht machen können. Von Saw...... z. B. ist man anch in den Beamtenkreiseu versichert, daß er längst seine Schuldigkeit an den letzten politischen Versuchen durch die unwi- derleglichsten Beweise dargethan habe, ja, die Unmöglichkeit seiner Theilnahme liege so klar vor, daß nur böser Wille sie nicht sehen könne. Gleichwohl bleibe er fort und fort in Haft, weil seine Charakteristik in dem geheimen Buche derart ist, daß man trotz Allem an seine Unschuld uicht glauben kann, vielleicht hält man es aber auch für gut, die Gelegenheit zu seiner GesangenlMnng so lange als möglich zu benutzen. Es ist keine Frage, daß in das sogenannte schwarze Buch auch falsche Anga¬ ben mit einfließen. Die Spione sind stets mehr beflissen ihren Diensteifer zu zeigen, alsj sich in ihrem Dienste wirklich anzustrengen. Da sie nicht allzu häufig etwas aufzuspüren haben, und zu einem Anspruch auf Gratifikation, die mehr einzutragen pflegt, als der Sold, wenig gerechten Anspruch gewinnen, so benutzen sie oft ihre Phantasie und die Fühllosigkeit ihres Gewiss-mis, um Anzeigen zu ver¬ fertigen. Daher manches Individuum viel schlechter angeschrieben steht, als es der Wahrheit nach sein sollte. Und wenn auch nicht offenbare Unwahrheiten vou den Spionen in das Bureau des Polizeimeisters gebracht werden, so sind es doch oft starke Uebertreibungen. So war ein Mal die Anzeige gemacht worden, ein Herr in der Pvdwallstraße habe sein Zimmer mit einer großen Menge ausschlie߬ lich revolutionärer Bilder decorirt. Der Pvlizeimeister verhaftete den Angeklagten des. Nachts unverhoffter Weise, um bei ihm eine Besichtigung des Zimmers zu veranstalten. Da fand sich denn, daß die Bilder von Johann Zu. und Kos- ciuszko in der Stube hingen und nichts weiter. Selbst Staatsräthe — Herr von B —my war nicht der einzige — genießen des Ruhmes, von der Regierung mit der Direktion von Spionen und mit Ge- 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/315>, abgerufen am 21.06.2024.