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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Sie sich eine Frau genommen, die sich mit Ihren Aeltern nicht vertragen kann?
Sie würden viel besser thun, im Geschäft Ihres Vaters zu bleiben, statt dessen
Geschäft zu beeinträchtigen u. s. w." Genug der Polizeimeister kannte das ge¬
heime Leiden des Petenten so genau, daß dieser in die höchste Bestürzung gerieth.
Aehnlich bei einem Andern, welcher wegen eines Hansbaues zum Polizeimeister
ging. Er wurde befehligt, zu warten. Der General ging in ein anderes Zimmer
seiner Kanzlei und als er nach einer Viertelstunde wieder heraustrat, sprach er zu
dem ehrlichen Bürger: Sie sind ein "heftiger Musikus", aber ehe Sie an das
Bauen eines Hauses gehen, dürften Sie billig daran denken, der Wittwe das
Geld für ihr Fortepiano zu bezahlen, zumal die Fabrik dieser Frau seit ihres
Mannes Tode durch andere ähnliche Schuldner sehr leidet. Beiträge zu derartiger
Allwissenheit, wenn sie nicht von den Aemtern geliefert werden, bringen die Spione,
welche im Bureau des Generalpolizeimeisters fortwährend ans- und eingehen.

Die wichtigsten Rubriken des schwarzen Buches siud aber für Bemerkungen
bestimmt, welche politische genannt werden. Ist Jemand irgend einmal Mitglied
eines Vereines gewesen (gegenwärtig gibt es gar keine Vereine in Polen, und
selbst die Theilnahme am sächsischen Kunstvereine ist vor vier Jahren streug verbo¬
ten worden), so findet er zuversichtlich ein Denkmal daran in dem heiligen Buche
des Polizeimeisters; hat er irgend einmal um die Erlaubniß zur Herausgabe oder
zum Halten einer politischen Zeitung nachgesucht, was natürlich nicht bewilligt
worden ist, so findet er ein Andenken daran in des Polizeimeisters politischer Bi¬
bel; hat Jemand die Revolution mitgemacht, ist er in irgend einer Untersuchung
gewesen, hat er an verdächtige Neuerungen gedacht, hat z. B. ein Grundherr für
seine Bauern eine Schule eingerichtet, ihnen Dienste erlassen, ihnen Unterricht in
der polnischen Geschichte ertheilt, wie mehrmals der Fall gewesen, so findet sich
darüber im allwissenden Buche ein sehr ausführlicher Nachweis. Diese genaue
Kenntniß der Individuen und aller ihrer Verhältnisse ist ohne Frage in den Hän¬
den der herrschenden Partei das mächtigste Mittel jede politische Bewegung nie¬
derzuhalten, ja gleich im Keime zu vernichten. Die Negierung kann zu jeder Zeit,
noch ehe an eine Untersuchung gedacht werden konnte, behaupten, daß ihr der
größte Theil der Theilhaber bekannt sei. Kennt sie eiuen Einzelnen, so kennt sie
anch Mehrere, denn sie ersieht aus jenem Buche, mit welchen Personen derselbe
zu dieser und jener Zeit vorzüglich umgegangen, und wieder, mit wem diese haupt¬
sächlich Umgang gepflegt. Genug, sie besitzt eine Allwissenheit, welche es ihren
Feinden fast unmöglich macht, sich ihr zu entziehen.. Dies hat sich vor einigen
Jahren bei dem Aufstande des jungen Grafen Potocki nur zu sehr bestätigt. Kaum
hatte die Regierung erfahren, daß ein Aufstand durch Potocki versucht werde, als
auch schon unendlich viele Personen, Männer, welche noch friedlich und schuldlos
in ihren Zimmern saßen, verhaftet und in die Citadelle gebracht wurden. Wie
ist es möglich, fragte man ganz erstaunt, daß die Regierung gleich bei der ersten


Sie sich eine Frau genommen, die sich mit Ihren Aeltern nicht vertragen kann?
Sie würden viel besser thun, im Geschäft Ihres Vaters zu bleiben, statt dessen
Geschäft zu beeinträchtigen u. s. w." Genug der Polizeimeister kannte das ge¬
heime Leiden des Petenten so genau, daß dieser in die höchste Bestürzung gerieth.
Aehnlich bei einem Andern, welcher wegen eines Hansbaues zum Polizeimeister
ging. Er wurde befehligt, zu warten. Der General ging in ein anderes Zimmer
seiner Kanzlei und als er nach einer Viertelstunde wieder heraustrat, sprach er zu
dem ehrlichen Bürger: Sie sind ein „heftiger Musikus", aber ehe Sie an das
Bauen eines Hauses gehen, dürften Sie billig daran denken, der Wittwe das
Geld für ihr Fortepiano zu bezahlen, zumal die Fabrik dieser Frau seit ihres
Mannes Tode durch andere ähnliche Schuldner sehr leidet. Beiträge zu derartiger
Allwissenheit, wenn sie nicht von den Aemtern geliefert werden, bringen die Spione,
welche im Bureau des Generalpolizeimeisters fortwährend ans- und eingehen.

Die wichtigsten Rubriken des schwarzen Buches siud aber für Bemerkungen
bestimmt, welche politische genannt werden. Ist Jemand irgend einmal Mitglied
eines Vereines gewesen (gegenwärtig gibt es gar keine Vereine in Polen, und
selbst die Theilnahme am sächsischen Kunstvereine ist vor vier Jahren streug verbo¬
ten worden), so findet er zuversichtlich ein Denkmal daran in dem heiligen Buche
des Polizeimeisters; hat er irgend einmal um die Erlaubniß zur Herausgabe oder
zum Halten einer politischen Zeitung nachgesucht, was natürlich nicht bewilligt
worden ist, so findet er ein Andenken daran in des Polizeimeisters politischer Bi¬
bel; hat Jemand die Revolution mitgemacht, ist er in irgend einer Untersuchung
gewesen, hat er an verdächtige Neuerungen gedacht, hat z. B. ein Grundherr für
seine Bauern eine Schule eingerichtet, ihnen Dienste erlassen, ihnen Unterricht in
der polnischen Geschichte ertheilt, wie mehrmals der Fall gewesen, so findet sich
darüber im allwissenden Buche ein sehr ausführlicher Nachweis. Diese genaue
Kenntniß der Individuen und aller ihrer Verhältnisse ist ohne Frage in den Hän¬
den der herrschenden Partei das mächtigste Mittel jede politische Bewegung nie¬
derzuhalten, ja gleich im Keime zu vernichten. Die Negierung kann zu jeder Zeit,
noch ehe an eine Untersuchung gedacht werden konnte, behaupten, daß ihr der
größte Theil der Theilhaber bekannt sei. Kennt sie eiuen Einzelnen, so kennt sie
anch Mehrere, denn sie ersieht aus jenem Buche, mit welchen Personen derselbe
zu dieser und jener Zeit vorzüglich umgegangen, und wieder, mit wem diese haupt¬
sächlich Umgang gepflegt. Genug, sie besitzt eine Allwissenheit, welche es ihren
Feinden fast unmöglich macht, sich ihr zu entziehen.. Dies hat sich vor einigen
Jahren bei dem Aufstande des jungen Grafen Potocki nur zu sehr bestätigt. Kaum
hatte die Regierung erfahren, daß ein Aufstand durch Potocki versucht werde, als
auch schon unendlich viele Personen, Männer, welche noch friedlich und schuldlos
in ihren Zimmern saßen, verhaftet und in die Citadelle gebracht wurden. Wie
ist es möglich, fragte man ganz erstaunt, daß die Regierung gleich bei der ersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/314>, abgerufen am 21.06.2024.