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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Sammlung warf ihre vermeintlichen Mittel gegen diese Entscheidung in die Wag-
schcile; der Erfolg gab ihr Unrecht, aber es ist unzulässig, jetzt vor den Richter¬
stuhl zu ziehn, was außerhalb aller rechtlichen Entscheidung fällt. Siege die
Staatsanwaltschaft, so muß dieser rein materielle Sieg das Rechtsgefühl des Vol¬
kes beleidigen;-unterliegt sie, so wird der Kredit des Staats untergraben.

Für die Fälle der dritten Kategorie habe ich, seitdem die standrechtlichen Ur¬
theile erledigt sind, vor allem den Proceß Waldeck im Auge. Wenn wir hier
billig sein wollen, so dürfen wir uns nicht aus den durch die öffentliche Meinung
schon hinreichend verurtheilten materiellen Inhalt dieses Processes beziehn. Ueber
die Nichtswürdigkeit dieser Angebereien ist kein Wort mehr zu verlieren. Waldeck
ist freigesprochen, und damit ist die Sache abgethan.

Aber gesetzt, er wäre nicht unschuldig gewesen, er hätte z.B. in der bekann¬
ten Versammlung, statt, wie er gethan, sich hinter seine parlamentarische Function
zu verschanzen, für den offenen Widerstand gegen das, was er nach seiner Ueber¬
zeugung militärische Usurpation nennen mußte, offen gesprochen. Alsdann hätte
der Gerichtshof ihn verurtheilen müssen; aber nicht ihn allein, sondern alle dieje¬
nige", welche sich in der damaligen Aufregung ihm zugesellt. Diese Verurtheilung
hätte der Krone keinen Segen gebracht, ja ich behaupte, daß eine solche Provo¬
kation eines nnr dem Buchstaben nach rechtlichen Verfahrens ein Unrecht ist.

Die Zeugen sagen aus, daß in jener Versammlung mehrfach für den activen
Widerstand gesprochen ist. Warum hat man darüber keine Untersuchung einge¬
leitet? -- Weil man sich doch vor einer neuen Kriegserklärung gegen die Hälfte
der Bevölkerung scheut; weil die goldenen Zeiten eines JefsreyS, wo man die
feindliche Partei unter scheinbar rechtlichen Formen deciinirte, vorüber ist, und weil
man das fühlt. Mau will sich an die intellectuellen Urheber, d. h> an die Häup¬
ter der Partei halten, und so sehr das zu billigen ist, so lange es in den Gren¬
zen des wirklichen Rechts bleibt, zu so gehässigen Folgen führt es, wenn man
in der Leidenschaft des Sieges die rechtliche Frage leicht nimmt. Denn in der
Regel sind die Führer der Parteien, wie sehr man sie angreifen mag, die Besten
der Partei. Die Verurtheilung eines Tonnen-Müller, Karbe, Ottensvsser wird
keine erhebliche Sensation machen; aber ein Waldeck, ein Kinkel im Zuchthaus --
der Widersinn springt aller Welt in die Augen.

Wenn eine politische Gährung zu Ende ist -- und nach der Beschwörung
der Verfassung vom 6. Februar ist wenigstens der eine Akt der Tragödie geschlos¬
sen --, wenn sich die siegreiche Partei im unbestrittenen Besitz der Macht findet,
so ist der einzige Schritt, der die Verwirrung der Begriffe und der Leidenschaf¬
ten versöhnen kann, eine Amnestie für alle politischen Verbrechen, welche nicht
in das Gebiet der sonstigen Criminaljustiz fallen. Eine allgemeine Amnestie ist
,nnr dann bedenklich, wenn der Sieg noch nicht entschieden ist. Eine starke Re¬
gierung darf sie nicht scheuen. Es soll das kein Akt der Gnade sein, denn die


Sammlung warf ihre vermeintlichen Mittel gegen diese Entscheidung in die Wag-
schcile; der Erfolg gab ihr Unrecht, aber es ist unzulässig, jetzt vor den Richter¬
stuhl zu ziehn, was außerhalb aller rechtlichen Entscheidung fällt. Siege die
Staatsanwaltschaft, so muß dieser rein materielle Sieg das Rechtsgefühl des Vol¬
kes beleidigen;-unterliegt sie, so wird der Kredit des Staats untergraben.

Für die Fälle der dritten Kategorie habe ich, seitdem die standrechtlichen Ur¬
theile erledigt sind, vor allem den Proceß Waldeck im Auge. Wenn wir hier
billig sein wollen, so dürfen wir uns nicht aus den durch die öffentliche Meinung
schon hinreichend verurtheilten materiellen Inhalt dieses Processes beziehn. Ueber
die Nichtswürdigkeit dieser Angebereien ist kein Wort mehr zu verlieren. Waldeck
ist freigesprochen, und damit ist die Sache abgethan.

Aber gesetzt, er wäre nicht unschuldig gewesen, er hätte z.B. in der bekann¬
ten Versammlung, statt, wie er gethan, sich hinter seine parlamentarische Function
zu verschanzen, für den offenen Widerstand gegen das, was er nach seiner Ueber¬
zeugung militärische Usurpation nennen mußte, offen gesprochen. Alsdann hätte
der Gerichtshof ihn verurtheilen müssen; aber nicht ihn allein, sondern alle dieje¬
nige«, welche sich in der damaligen Aufregung ihm zugesellt. Diese Verurtheilung
hätte der Krone keinen Segen gebracht, ja ich behaupte, daß eine solche Provo¬
kation eines nnr dem Buchstaben nach rechtlichen Verfahrens ein Unrecht ist.

Die Zeugen sagen aus, daß in jener Versammlung mehrfach für den activen
Widerstand gesprochen ist. Warum hat man darüber keine Untersuchung einge¬
leitet? — Weil man sich doch vor einer neuen Kriegserklärung gegen die Hälfte
der Bevölkerung scheut; weil die goldenen Zeiten eines JefsreyS, wo man die
feindliche Partei unter scheinbar rechtlichen Formen deciinirte, vorüber ist, und weil
man das fühlt. Mau will sich an die intellectuellen Urheber, d. h> an die Häup¬
ter der Partei halten, und so sehr das zu billigen ist, so lange es in den Gren¬
zen des wirklichen Rechts bleibt, zu so gehässigen Folgen führt es, wenn man
in der Leidenschaft des Sieges die rechtliche Frage leicht nimmt. Denn in der
Regel sind die Führer der Parteien, wie sehr man sie angreifen mag, die Besten
der Partei. Die Verurtheilung eines Tonnen-Müller, Karbe, Ottensvsser wird
keine erhebliche Sensation machen; aber ein Waldeck, ein Kinkel im Zuchthaus —
der Widersinn springt aller Welt in die Augen.

Wenn eine politische Gährung zu Ende ist — und nach der Beschwörung
der Verfassung vom 6. Februar ist wenigstens der eine Akt der Tragödie geschlos¬
sen —, wenn sich die siegreiche Partei im unbestrittenen Besitz der Macht findet,
so ist der einzige Schritt, der die Verwirrung der Begriffe und der Leidenschaf¬
ten versöhnen kann, eine Amnestie für alle politischen Verbrechen, welche nicht
in das Gebiet der sonstigen Criminaljustiz fallen. Eine allgemeine Amnestie ist
,nnr dann bedenklich, wenn der Sieg noch nicht entschieden ist. Eine starke Re¬
gierung darf sie nicht scheuen. Es soll das kein Akt der Gnade sein, denn die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/308>, abgerufen am 21.06.2024.