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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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neue in Stuttgart nichts weiter gewesen ist, als ein Parteiausschuß. Daß diese
Ansicht faktisch recht hat, lehrt der Augenschein; es waren eben nur die Demo¬
kraten vertreten. Aber wie will man sie juristisch erweisen? Das alte Recht
kennt darüber keine Bestimmungen, denn es weiß von Parlamenten überhaupt
nichts; in den neuen Gesetzen aber ist nichts darüber festgesetzt, daß der Fortbe¬
stand des Parlaments von der Anerkennung dieser oder jener Negierung, von dem
Austritt dieses oder jenes Abgeordneten abhängig sei. Die Beschlüsse des Par¬
laments selber sprechen für das Gegentheil; ob damit objectiv die Sache erledigt
sei, bleibt freilich in Frage, aber jedenfalls muß man subjectiv annehmen, daß
die Abgeordneten im Glauben an ihr gutes Recht gehandelt haben, und da kein
bestimmtes Gesetz diesem subjectiven Glauben entgegensteht, so wüßte ich nicht, wie
Geschworene oder ordentliche Richter anders, als freisprechend entscheiden konnten.
Freilich ein Ausnahmegericht! Eine tiix!" Kommission unter Jeffreys, Kamptz oder
Alba! Aber bei einer I>i"K commission ist nicht mehr die Rede von Recht und
Gesetz, sondern von blutiger Gewalt, Willkür und Rache.

In dem zweiten Fall, dem Proceß gegen die Stenerverweigerer liegt es
auf der Hand, daß für den Beschluß der Steuerverweigerung, wenn er auch
rechtlich unbegründet war, keiner der Deputirten verantwortlich gemacht werden
darf; denn dagegen schützt sie ihre Eigenschaft eines Abgeordneten. Sie schützt sie
nicht in Betreff ans ihre außerparlamentarische Thätigkeit, diesem Beschluß Gel¬
tung zu verschaffe"; in wie weit sie in dieser Beziehung gesetzlich anzugreifen sind,
wird davou abhängen, ob in dem Conflict zwischen- dem Parlament und der
Regierung das eine oder die andere Recht hatte. Das ist aber juristisch nicht
auszumachen, am wenigsten nach dem alten Recht, welches von einem Parlament
und dessen Befugnissen und Schranken nichts weiß. Es ist aber auch nicht aus¬
zumachen nach den gewöhnlichen constitutionellen Begriffen, denn diese sind, wie
es die reactionäre Partei mit uns anerkennt, nur Abstractionen aus verschiedenen
Gesetzgebungen, die als solche nirgend rechtsgiltige Kraft haben; auch nicht aus
der Gesetzgebung des Jahres 1848, die es versäumt hat, den Umfang und die
Grenzen, innerhalb deren sich die Befugnisse der ersten Preußischen Nationalver-
sammlung bewegen sollten, irgendwie festzustellen. Es wäre das in jener Umnhe
auch kaum möglich gewesen, trotz des staatsrechtlichen Apparats, mit welchem das
erste liberale Ministerium die Einberufung der Constituante zu umgeben wußte.
Aber aus dieser Unmöglichkeit folgte auch die Nothwendigkeit eines endlichen Con¬
flicts zwischen der Negierung und der Volksvertretung; der stärkere mußte endlich
siegen und herrschen. Der Sieg hat sich für die Regierung entschieden. Ganz
mit Recht spricht man von deir, "rettenden Thaten" des Ministeriums Branden¬
burg; nicht als ob, was es gethan, ein positives Unrecht wäre, aber es war
die Zerhauung eines Knotens, die Entscheidung eines streitigen Nechtspunkts, der
juristisch nicht erledigt werden konnte, durch das Schwert. Die Nativnalver-


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neue in Stuttgart nichts weiter gewesen ist, als ein Parteiausschuß. Daß diese
Ansicht faktisch recht hat, lehrt der Augenschein; es waren eben nur die Demo¬
kraten vertreten. Aber wie will man sie juristisch erweisen? Das alte Recht
kennt darüber keine Bestimmungen, denn es weiß von Parlamenten überhaupt
nichts; in den neuen Gesetzen aber ist nichts darüber festgesetzt, daß der Fortbe¬
stand des Parlaments von der Anerkennung dieser oder jener Negierung, von dem
Austritt dieses oder jenes Abgeordneten abhängig sei. Die Beschlüsse des Par¬
laments selber sprechen für das Gegentheil; ob damit objectiv die Sache erledigt
sei, bleibt freilich in Frage, aber jedenfalls muß man subjectiv annehmen, daß
die Abgeordneten im Glauben an ihr gutes Recht gehandelt haben, und da kein
bestimmtes Gesetz diesem subjectiven Glauben entgegensteht, so wüßte ich nicht, wie
Geschworene oder ordentliche Richter anders, als freisprechend entscheiden konnten.
Freilich ein Ausnahmegericht! Eine tiix!» Kommission unter Jeffreys, Kamptz oder
Alba! Aber bei einer I>i»K commission ist nicht mehr die Rede von Recht und
Gesetz, sondern von blutiger Gewalt, Willkür und Rache.

In dem zweiten Fall, dem Proceß gegen die Stenerverweigerer liegt es
auf der Hand, daß für den Beschluß der Steuerverweigerung, wenn er auch
rechtlich unbegründet war, keiner der Deputirten verantwortlich gemacht werden
darf; denn dagegen schützt sie ihre Eigenschaft eines Abgeordneten. Sie schützt sie
nicht in Betreff ans ihre außerparlamentarische Thätigkeit, diesem Beschluß Gel¬
tung zu verschaffe»; in wie weit sie in dieser Beziehung gesetzlich anzugreifen sind,
wird davou abhängen, ob in dem Conflict zwischen- dem Parlament und der
Regierung das eine oder die andere Recht hatte. Das ist aber juristisch nicht
auszumachen, am wenigsten nach dem alten Recht, welches von einem Parlament
und dessen Befugnissen und Schranken nichts weiß. Es ist aber auch nicht aus¬
zumachen nach den gewöhnlichen constitutionellen Begriffen, denn diese sind, wie
es die reactionäre Partei mit uns anerkennt, nur Abstractionen aus verschiedenen
Gesetzgebungen, die als solche nirgend rechtsgiltige Kraft haben; auch nicht aus
der Gesetzgebung des Jahres 1848, die es versäumt hat, den Umfang und die
Grenzen, innerhalb deren sich die Befugnisse der ersten Preußischen Nationalver-
sammlung bewegen sollten, irgendwie festzustellen. Es wäre das in jener Umnhe
auch kaum möglich gewesen, trotz des staatsrechtlichen Apparats, mit welchem das
erste liberale Ministerium die Einberufung der Constituante zu umgeben wußte.
Aber aus dieser Unmöglichkeit folgte auch die Nothwendigkeit eines endlichen Con¬
flicts zwischen der Negierung und der Volksvertretung; der stärkere mußte endlich
siegen und herrschen. Der Sieg hat sich für die Regierung entschieden. Ganz
mit Recht spricht man von deir, „rettenden Thaten" des Ministeriums Branden¬
burg; nicht als ob, was es gethan, ein positives Unrecht wäre, aber es war
die Zerhauung eines Knotens, die Entscheidung eines streitigen Nechtspunkts, der
juristisch nicht erledigt werden konnte, durch das Schwert. Die Nativnalver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/307>, abgerufen am 21.06.2024.