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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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in welcher es schien, als ob die preußische Monarchie zu Grabe getragen wer¬
den sollte?

Wenn wir im Folgenden einen flüchtigen Blick auf die laufenden politischen
Prozesse werfen, so geschieht es nicht, um sie juristisch zu erörtern, soudern nur,
um nachzuweisen, daß sie juristisch gar uicht erörtert werden können.

Man kann sie in drei Klassen sondern: Die Verfolgungen gegen die Theil-
nehmer am Stuttgarter Parlament, gegen die Steuerverweigerer, und gegen die
Verschwörer im Allgemeinen.

Von dem ersten Fall ist der Prozeß gegen Jacobs) das lehrreichste Beispiel.
Die Anklage beschuldigt die Stuttgarter Versammlung des Hochverraths einmal
gegen den deutschen Bund und dessen augenblicklichen Vertreter, den Reichsverwe¬
ser, sodann gegen Preußen. In beiden Fällen liegt der materielle Thatbestand
vor Augen. Das Parlament hat die durch die Zustimmung aller betheiligten Ge¬
walten rechtlich zu Stande gekommene Centralgewalt eigenmächtig kassirt und eine
neue Executive an deren Stelle gesetzt. Klarer Hochverrath, nur leider ein Hoch¬
verrath, dessen sich ganz in demselben Grade die preußische Regierung schuldig
gemacht hat. Sie hat officiell der östreichischen Regierung erklärt, rechtlich bestehe
kein Organ mehr, durch welches der deutsche Bund vertreten wäre, sie hat der
Centralgewalt den Gehorsam verweigert und faktisch die Exekutive an sich gerissen.
Freilich hat sie nachher eine^theilweise Reue gezeigt, aber diese hebt das frühere
Verbrechen nicht auf. Wenn die Nichtanerkennung des Reichsverwesers ein Ver¬
brechen ist, so müssen sich Bodelschwingh, Nadowitz, Brandenburg u. s. w., um von
Höheren nicht zu reden, neben Jacoby auf die Bank der Angeklagten setzen.

Ferner Hochverrath gegen Preußen. Offenbar sind die Stuttgarter Beschlüsse
gegen Preußen gerichtet, aber auch darin haben sie Mitschuldige vou höherem Rang.
Die ersten ernsten Beschlüsse gegen die Uebergriffe Preußens gingen nicht von
Stuttgart, sondern von Frankfurt aus, von dem Erzherzog-Reichsverweser und
seinem Ministerium. Nicht in der Form einer Jnsurrection, sondern im Namen
des neuen, von Preußen, wie von den übrigen deutschen Staaten anerkannten
Rechts bekämpfte man die renitente preußische Regierung. Es war also eine Kol¬
lision zweier Rechtsbegriffe, die beide außerhalb des alten Kriminalrechts lagen,
die also nach dem alten Gesetz nicht entschieden werden können.

Der Angeklagte schneidet alle weitere Vertheidigung durch die Erklärung ab,
daß ein Abgeordneter für seine Abstimmungen unverantwortlich sei. Die Staats¬
anwaltschaft behauptet dagegen, die Stuttgarter Versammlung sei kein Parlament
mehr gewesen, diese UnVerantwortlichkeit käme also den Theilnehmern an derselben
nicht zu Gute. Ich bin auch der Ansicht, daß faktisch das sogenannte Paria-



") Der Hochvervathsproceß gegen Dr. Joh. Jacoby, Königsberg, Sander.

in welcher es schien, als ob die preußische Monarchie zu Grabe getragen wer¬
den sollte?

Wenn wir im Folgenden einen flüchtigen Blick auf die laufenden politischen
Prozesse werfen, so geschieht es nicht, um sie juristisch zu erörtern, soudern nur,
um nachzuweisen, daß sie juristisch gar uicht erörtert werden können.

Man kann sie in drei Klassen sondern: Die Verfolgungen gegen die Theil-
nehmer am Stuttgarter Parlament, gegen die Steuerverweigerer, und gegen die
Verschwörer im Allgemeinen.

Von dem ersten Fall ist der Prozeß gegen Jacobs) das lehrreichste Beispiel.
Die Anklage beschuldigt die Stuttgarter Versammlung des Hochverraths einmal
gegen den deutschen Bund und dessen augenblicklichen Vertreter, den Reichsverwe¬
ser, sodann gegen Preußen. In beiden Fällen liegt der materielle Thatbestand
vor Augen. Das Parlament hat die durch die Zustimmung aller betheiligten Ge¬
walten rechtlich zu Stande gekommene Centralgewalt eigenmächtig kassirt und eine
neue Executive an deren Stelle gesetzt. Klarer Hochverrath, nur leider ein Hoch¬
verrath, dessen sich ganz in demselben Grade die preußische Regierung schuldig
gemacht hat. Sie hat officiell der östreichischen Regierung erklärt, rechtlich bestehe
kein Organ mehr, durch welches der deutsche Bund vertreten wäre, sie hat der
Centralgewalt den Gehorsam verweigert und faktisch die Exekutive an sich gerissen.
Freilich hat sie nachher eine^theilweise Reue gezeigt, aber diese hebt das frühere
Verbrechen nicht auf. Wenn die Nichtanerkennung des Reichsverwesers ein Ver¬
brechen ist, so müssen sich Bodelschwingh, Nadowitz, Brandenburg u. s. w., um von
Höheren nicht zu reden, neben Jacoby auf die Bank der Angeklagten setzen.

Ferner Hochverrath gegen Preußen. Offenbar sind die Stuttgarter Beschlüsse
gegen Preußen gerichtet, aber auch darin haben sie Mitschuldige vou höherem Rang.
Die ersten ernsten Beschlüsse gegen die Uebergriffe Preußens gingen nicht von
Stuttgart, sondern von Frankfurt aus, von dem Erzherzog-Reichsverweser und
seinem Ministerium. Nicht in der Form einer Jnsurrection, sondern im Namen
des neuen, von Preußen, wie von den übrigen deutschen Staaten anerkannten
Rechts bekämpfte man die renitente preußische Regierung. Es war also eine Kol¬
lision zweier Rechtsbegriffe, die beide außerhalb des alten Kriminalrechts lagen,
die also nach dem alten Gesetz nicht entschieden werden können.

Der Angeklagte schneidet alle weitere Vertheidigung durch die Erklärung ab,
daß ein Abgeordneter für seine Abstimmungen unverantwortlich sei. Die Staats¬
anwaltschaft behauptet dagegen, die Stuttgarter Versammlung sei kein Parlament
mehr gewesen, diese UnVerantwortlichkeit käme also den Theilnehmern an derselben
nicht zu Gute. Ich bin auch der Ansicht, daß faktisch das sogenannte Paria-



») Der Hochvervathsproceß gegen Dr. Joh. Jacoby, Königsberg, Sander.
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[0306] in welcher es schien, als ob die preußische Monarchie zu Grabe getragen wer¬ den sollte? Wenn wir im Folgenden einen flüchtigen Blick auf die laufenden politischen Prozesse werfen, so geschieht es nicht, um sie juristisch zu erörtern, soudern nur, um nachzuweisen, daß sie juristisch gar uicht erörtert werden können. Man kann sie in drei Klassen sondern: Die Verfolgungen gegen die Theil- nehmer am Stuttgarter Parlament, gegen die Steuerverweigerer, und gegen die Verschwörer im Allgemeinen. Von dem ersten Fall ist der Prozeß gegen Jacobs) das lehrreichste Beispiel. Die Anklage beschuldigt die Stuttgarter Versammlung des Hochverraths einmal gegen den deutschen Bund und dessen augenblicklichen Vertreter, den Reichsverwe¬ ser, sodann gegen Preußen. In beiden Fällen liegt der materielle Thatbestand vor Augen. Das Parlament hat die durch die Zustimmung aller betheiligten Ge¬ walten rechtlich zu Stande gekommene Centralgewalt eigenmächtig kassirt und eine neue Executive an deren Stelle gesetzt. Klarer Hochverrath, nur leider ein Hoch¬ verrath, dessen sich ganz in demselben Grade die preußische Regierung schuldig gemacht hat. Sie hat officiell der östreichischen Regierung erklärt, rechtlich bestehe kein Organ mehr, durch welches der deutsche Bund vertreten wäre, sie hat der Centralgewalt den Gehorsam verweigert und faktisch die Exekutive an sich gerissen. Freilich hat sie nachher eine^theilweise Reue gezeigt, aber diese hebt das frühere Verbrechen nicht auf. Wenn die Nichtanerkennung des Reichsverwesers ein Ver¬ brechen ist, so müssen sich Bodelschwingh, Nadowitz, Brandenburg u. s. w., um von Höheren nicht zu reden, neben Jacoby auf die Bank der Angeklagten setzen. Ferner Hochverrath gegen Preußen. Offenbar sind die Stuttgarter Beschlüsse gegen Preußen gerichtet, aber auch darin haben sie Mitschuldige vou höherem Rang. Die ersten ernsten Beschlüsse gegen die Uebergriffe Preußens gingen nicht von Stuttgart, sondern von Frankfurt aus, von dem Erzherzog-Reichsverweser und seinem Ministerium. Nicht in der Form einer Jnsurrection, sondern im Namen des neuen, von Preußen, wie von den übrigen deutschen Staaten anerkannten Rechts bekämpfte man die renitente preußische Regierung. Es war also eine Kol¬ lision zweier Rechtsbegriffe, die beide außerhalb des alten Kriminalrechts lagen, die also nach dem alten Gesetz nicht entschieden werden können. Der Angeklagte schneidet alle weitere Vertheidigung durch die Erklärung ab, daß ein Abgeordneter für seine Abstimmungen unverantwortlich sei. Die Staats¬ anwaltschaft behauptet dagegen, die Stuttgarter Versammlung sei kein Parlament mehr gewesen, diese UnVerantwortlichkeit käme also den Theilnehmern an derselben nicht zu Gute. Ich bin auch der Ansicht, daß faktisch das sogenannte Paria- ») Der Hochvervathsproceß gegen Dr. Joh. Jacoby, Königsberg, Sander.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/306>, abgerufen am 21.06.2024.