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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Favoriten, zugesprochen hat; um Jane's etwaigen Ansprüchen vorzubeugen, entehrt
er sie. Gilbert muß einmal Zeuge davon sein; er gerät!) in Verzweiflung. "O wer
verschafft mir Rache um den Preis meines Lebens!" -- Null ruft eine Stimme
aus dem Hintergründe. Es ist der Maschinist, der schon lange nach einem solchen
Menschen suchte. Der Königin wird verrathen, daß ihr Mignon sie betrügt;
dafür kann sie ihn nicht hinrichten lassen, so schnell sie sonst mit derartigen Expe¬
rimenten fertig ist; also muß Gilbert aussagen, er sei von Fabiani gedungen, die
Königin zu ermorden. -- Die Königin selbst ist ein origineller Charakter, de>r
Victor Hugo eigens geschaffen hat, um sein Ideal von der Verbindung des Großen
(Tragischen) und des Wahren (Komischen) zu versinnlichen; Marie Tudor soll nach
seinen eigenen Worten groß und wahr sein: groß als Königin, wahr als Weib.
Durch diese Vermischung entsteht ein Geplauder, das durch seine Naivität in der
That belustigt. -- Sie fordert von Fabiani das Versprechen, er solle es ihr offen
gestehen, sobald er untreu wird. "Freilich gibt es Augenblicke, wo ich dich lieber
todt sehen möchte, als glücklich mit einer Andern; aber es gibt auch Augenblicke,
wo ich dich lieber glücklich sehen möchte. Mein Gott, ich weiß nicht, warum die
Leute mich in den Ruf einer bösen Frau bringen wollen!" -- Nachher thut es
Gilbert doch wieder leid; der Tod Fabiani's würde seiner Jane Kummer machen,
lieber will er selbst sterben. "Also auf diese Weise, ruft die Königin, willst du
dich rächen? Gott was sind diese Leute aus dem Volke dumm! Was! ein
Weib betrügt dich, und du spielst deu Großmüthigen? Meinetwegen, ich bin
nicht großmüthig! Ich will mich rächen, und du sollst mir helfen! Aber dieser
Mensch ist verrückt! er ist verrückt! er ist verrückt! Mein Gott, wozu muß ich
ihn brauchen! Es ist wirklich zum Verzweifeln, in ernsthaften Dingen mit solchen
Leuten zu thun zu haben." So plaudert sie fort; nachher läßt sie Fabiani kom¬
men, und macht ihn in Gegenwart des ganzen Hofes herunter: "Du bist nichts
als ein gemeiner Italiener, dein Vater war Dorfzimmermann, du bist mir ein
schöner Marquis!" u. s. w., "wahr" wie eine Poissarde. Zum Ueberfluß wird
auch noch der Henker citirt, und ihm in ähnlichem Geplauder, wieder in Gegen¬
wart des Hofes, die nöthige Anweisung gegeben. Dann regt sich wieder die alte
Liebe; sie will Fabiani retten. Jane bittet für Gilbert. " "Ah! du willst dei¬
nen Liebhaber retten! Ich will meinen retten! Was geht mich dein Liebhaber an!
Ich glaube wahrhaftig, alle Mädchen von England werden kommen, und über ihre
Liebhaber von mir Rechenschaft verlangen." -- Das die Königin. -- Gilbert
ist der in den neufranzösischen Romanen hänfig vorkommende Liebhaber, der liebt
pu-ma nemo. "Ich liebe sie doch! Ich würde den Saum ihres Kleides küssen,
und sie um Verzeihung bitten (!!), wenn sie mich noch wollte. Sie könnte in
der Gosse liegen, mit den Wesen, die darin gewöhnlich zu finden sind, ich würde
sie ausnehmen und an mein Herz drücken! . . Ich würde die Ewigkeit darum
geben, wenn sie mir noch einmal zulächelte! . . Glaubst du, dn würdest das


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Favoriten, zugesprochen hat; um Jane's etwaigen Ansprüchen vorzubeugen, entehrt
er sie. Gilbert muß einmal Zeuge davon sein; er gerät!) in Verzweiflung. „O wer
verschafft mir Rache um den Preis meines Lebens!" — Null ruft eine Stimme
aus dem Hintergründe. Es ist der Maschinist, der schon lange nach einem solchen
Menschen suchte. Der Königin wird verrathen, daß ihr Mignon sie betrügt;
dafür kann sie ihn nicht hinrichten lassen, so schnell sie sonst mit derartigen Expe¬
rimenten fertig ist; also muß Gilbert aussagen, er sei von Fabiani gedungen, die
Königin zu ermorden. — Die Königin selbst ist ein origineller Charakter, de>r
Victor Hugo eigens geschaffen hat, um sein Ideal von der Verbindung des Großen
(Tragischen) und des Wahren (Komischen) zu versinnlichen; Marie Tudor soll nach
seinen eigenen Worten groß und wahr sein: groß als Königin, wahr als Weib.
Durch diese Vermischung entsteht ein Geplauder, das durch seine Naivität in der
That belustigt. — Sie fordert von Fabiani das Versprechen, er solle es ihr offen
gestehen, sobald er untreu wird. „Freilich gibt es Augenblicke, wo ich dich lieber
todt sehen möchte, als glücklich mit einer Andern; aber es gibt auch Augenblicke,
wo ich dich lieber glücklich sehen möchte. Mein Gott, ich weiß nicht, warum die
Leute mich in den Ruf einer bösen Frau bringen wollen!" — Nachher thut es
Gilbert doch wieder leid; der Tod Fabiani's würde seiner Jane Kummer machen,
lieber will er selbst sterben. „Also auf diese Weise, ruft die Königin, willst du
dich rächen? Gott was sind diese Leute aus dem Volke dumm! Was! ein
Weib betrügt dich, und du spielst deu Großmüthigen? Meinetwegen, ich bin
nicht großmüthig! Ich will mich rächen, und du sollst mir helfen! Aber dieser
Mensch ist verrückt! er ist verrückt! er ist verrückt! Mein Gott, wozu muß ich
ihn brauchen! Es ist wirklich zum Verzweifeln, in ernsthaften Dingen mit solchen
Leuten zu thun zu haben." So plaudert sie fort; nachher läßt sie Fabiani kom¬
men, und macht ihn in Gegenwart des ganzen Hofes herunter: „Du bist nichts
als ein gemeiner Italiener, dein Vater war Dorfzimmermann, du bist mir ein
schöner Marquis!" u. s. w., „wahr" wie eine Poissarde. Zum Ueberfluß wird
auch noch der Henker citirt, und ihm in ähnlichem Geplauder, wieder in Gegen¬
wart des Hofes, die nöthige Anweisung gegeben. Dann regt sich wieder die alte
Liebe; sie will Fabiani retten. Jane bittet für Gilbert. „ „Ah! du willst dei¬
nen Liebhaber retten! Ich will meinen retten! Was geht mich dein Liebhaber an!
Ich glaube wahrhaftig, alle Mädchen von England werden kommen, und über ihre
Liebhaber von mir Rechenschaft verlangen." — Das die Königin. — Gilbert
ist der in den neufranzösischen Romanen hänfig vorkommende Liebhaber, der liebt
pu-ma nemo. „Ich liebe sie doch! Ich würde den Saum ihres Kleides küssen,
und sie um Verzeihung bitten (!!), wenn sie mich noch wollte. Sie könnte in
der Gosse liegen, mit den Wesen, die darin gewöhnlich zu finden sind, ich würde
sie ausnehmen und an mein Herz drücken! . . Ich würde die Ewigkeit darum
geben, wenn sie mir noch einmal zulächelte! . . Glaubst du, dn würdest das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/297>, abgerufen am 27.06.2024.