Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.die Welt zu einem Jammerthal gemacht. Nicht die Endlichkeit ist Schuld daran, Bei Victor Hugo dagegen werden die beiden Seiten mit dem rohesten äu¬ *) Er spricht sich öfters mit großem Pathos darüber aus. Einmal als ein alter Herr,
dessen Tochter er an den König verkuppelt hat, und den er in seinem Elend auf die infamste Weise verhöhnt, ihm flucht, hält er folgenden Monolog- Naudit! -- ^Il I" v-Uure et le" Iinmmes in'ont Kür die Welt zu einem Jammerthal gemacht. Nicht die Endlichkeit ist Schuld daran, Bei Victor Hugo dagegen werden die beiden Seiten mit dem rohesten äu¬ *) Er spricht sich öfters mit großem Pathos darüber aus. Einmal als ein alter Herr,
dessen Tochter er an den König verkuppelt hat, und den er in seinem Elend auf die infamste Weise verhöhnt, ihm flucht, hält er folgenden Monolog- Naudit! — ^Il I» v-Uure et le« Iinmmes in'ont Kür <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0292" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93115"/> <p xml:id="ID_1008" prev="#ID_1007"> die Welt zu einem Jammerthal gemacht. Nicht die Endlichkeit ist Schuld daran,<lb/> sondern das schlechte Bild des Unendlichen. Schiller hat in den meisten seiner<lb/> lyrischen Gedichte diesen Gang verfolgt, wie man sich ein Ideal setzt, es auf der<lb/> Erde nicht findet, und dann hingeht und resignirt. In seinen Göttern Griechen¬<lb/> lands lästert ein verkehrtes Ideal das andere: der einseitige Sensualismus den<lb/> einseitigen Spiritualismus. Auch in seinen Dramen macht sich diese Abstraktion<lb/> geltend. Ich könnte sie überall nachweisen, ich will hier aber nur an Wallenstein<lb/> erinnern. Der objektive Dichter würde die Idealität dieser großen geschichtlichen<lb/> Persönlichkeit nirgend anders suchen, als in seiner concreten historischen Erscheinung<lb/> selbst; das subjektive Ideal aber verlangt neben dem endlichen Heidenthum noch<lb/> eine rein menschliche Seite. Der ehrgeizige Rebell wird purificirt dnrch eine Spur<lb/> von Humanität, durch die Liebe zu einem reinen Wesen, zu Max. Diese Tren¬<lb/> nung ist sehr schlecht und unpoetisch, darüber ist jetzt die Kritik wohl im Reinen.<lb/> Die Kritik würde aber 'unvollständig sein, wenn sie nicht hinzusetzte, daß diese<lb/> ideale Seite sehr zart und wahrhaft poetisch in die weltliche Erscheinung verwebt<lb/> ist. Der ideale und der weltliche Wallenstein sind nicht zwei vollständig von ein¬<lb/> ander getrennte Wesen. An sich würden wir zwar den alten Feldherrn für poe¬<lb/> tischer halten, wenn er diesen dilettantischen Humanismus gelassen hätte, da er<lb/> aber einmal da ist, so müssen wir gestehen, daß wir seine Motivirung vortrefflich<lb/> finden. Der Feldherr steht den jungen Mann vor seinen Augen aufwachsen; er<lb/> selber nimmt an der Aktion keinen persönlichen Antheil, es freut ihn also, in dem<lb/> jungen Helden ein Spiegelbild seiner eigenen Jugend wiederzufinden. Er ist in<lb/> seinen Augen ein Gott, er will es auch bleiben; er verheimlicht ihm also das<lb/> rein weltliche Treiben seines Ehrgeizes, das er vor dem in der Welt bewander¬<lb/> ten Ottavio offen enthüllt. U. s. w. Das ist Alles sehr schön und menschlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1009" next="#ID_1010"> Bei Victor Hugo dagegen werden die beiden Seiten mit dem rohesten äu¬<lb/> ßerlichsten Empirismus an einander geklebt, ohne alle Vermittelung. Ein Beispiel.<lb/> Triboulet, der Hofnarr des Königs Franz, ist ein Zwerg, bucklig, von der ab¬<lb/> schreckendsten Häßlichkeit; daneben ein abgefeimter Schurke, boshaft wie ein Affe,<lb/> mit einem wahren Koboldsgelüst, überall Unheil anzustiften. Er hat aber außer<lb/> dem negativen Gefühl, daß dieser Zustand uicht der richtige sei, und dem ebenso<lb/> natürlichen Haß gegen die Menschen, die schöner und glücklicher sind, als er,*)</p><lb/> <note xml:id="FID_25" place="foot"> *) Er spricht sich öfters mit großem Pathos darüber aus. Einmal als ein alter Herr,<lb/> dessen Tochter er an den König verkuppelt hat, und den er in seinem Elend auf die infamste<lb/> Weise verhöhnt, ihm flucht, hält er folgenden Monolog-<lb/><quote> Naudit! — ^Il I» v-Uure et le« Iinmmes in'ont Kür<lb/> Lien mvelümtz bien einet et bien lilelie en etlet!<lb/> 0 rsxe! siro boull'on! o r»ze! vus «Morne ....<lb/> vouloir, ynuvoil'z ne äevoir et ne ksire<lb/> Huo rire! Huck exeö« ä'opprobre et ac misere!</quote></note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0292]
die Welt zu einem Jammerthal gemacht. Nicht die Endlichkeit ist Schuld daran,
sondern das schlechte Bild des Unendlichen. Schiller hat in den meisten seiner
lyrischen Gedichte diesen Gang verfolgt, wie man sich ein Ideal setzt, es auf der
Erde nicht findet, und dann hingeht und resignirt. In seinen Göttern Griechen¬
lands lästert ein verkehrtes Ideal das andere: der einseitige Sensualismus den
einseitigen Spiritualismus. Auch in seinen Dramen macht sich diese Abstraktion
geltend. Ich könnte sie überall nachweisen, ich will hier aber nur an Wallenstein
erinnern. Der objektive Dichter würde die Idealität dieser großen geschichtlichen
Persönlichkeit nirgend anders suchen, als in seiner concreten historischen Erscheinung
selbst; das subjektive Ideal aber verlangt neben dem endlichen Heidenthum noch
eine rein menschliche Seite. Der ehrgeizige Rebell wird purificirt dnrch eine Spur
von Humanität, durch die Liebe zu einem reinen Wesen, zu Max. Diese Tren¬
nung ist sehr schlecht und unpoetisch, darüber ist jetzt die Kritik wohl im Reinen.
Die Kritik würde aber 'unvollständig sein, wenn sie nicht hinzusetzte, daß diese
ideale Seite sehr zart und wahrhaft poetisch in die weltliche Erscheinung verwebt
ist. Der ideale und der weltliche Wallenstein sind nicht zwei vollständig von ein¬
ander getrennte Wesen. An sich würden wir zwar den alten Feldherrn für poe¬
tischer halten, wenn er diesen dilettantischen Humanismus gelassen hätte, da er
aber einmal da ist, so müssen wir gestehen, daß wir seine Motivirung vortrefflich
finden. Der Feldherr steht den jungen Mann vor seinen Augen aufwachsen; er
selber nimmt an der Aktion keinen persönlichen Antheil, es freut ihn also, in dem
jungen Helden ein Spiegelbild seiner eigenen Jugend wiederzufinden. Er ist in
seinen Augen ein Gott, er will es auch bleiben; er verheimlicht ihm also das
rein weltliche Treiben seines Ehrgeizes, das er vor dem in der Welt bewander¬
ten Ottavio offen enthüllt. U. s. w. Das ist Alles sehr schön und menschlich.
Bei Victor Hugo dagegen werden die beiden Seiten mit dem rohesten äu¬
ßerlichsten Empirismus an einander geklebt, ohne alle Vermittelung. Ein Beispiel.
Triboulet, der Hofnarr des Königs Franz, ist ein Zwerg, bucklig, von der ab¬
schreckendsten Häßlichkeit; daneben ein abgefeimter Schurke, boshaft wie ein Affe,
mit einem wahren Koboldsgelüst, überall Unheil anzustiften. Er hat aber außer
dem negativen Gefühl, daß dieser Zustand uicht der richtige sei, und dem ebenso
natürlichen Haß gegen die Menschen, die schöner und glücklicher sind, als er,*)
*) Er spricht sich öfters mit großem Pathos darüber aus. Einmal als ein alter Herr,
dessen Tochter er an den König verkuppelt hat, und den er in seinem Elend auf die infamste
Weise verhöhnt, ihm flucht, hält er folgenden Monolog-
Naudit! — ^Il I» v-Uure et le« Iinmmes in'ont Kür
Lien mvelümtz bien einet et bien lilelie en etlet!
0 rsxe! siro boull'on! o r»ze! vus «Morne ....
vouloir, ynuvoil'z ne äevoir et ne ksire
Huo rire! Huck exeö« ä'opprobre et ac misere!
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