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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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auch noch den positiven Wunsch, neben seiner häßlichen Wirklichkeit gleichsam ein
reines Traumleben zu führen. Er hat eine schöne Tochter, die er in einem vor
der Welt verborgenen Heiligthum verwahrt.

Die erste Frage, die sich jedem Unbefangenen bei einem solchen Verhältniß
aufdrängt, ist die: wie kommt dieses Geschöpf zu einer solche" Tochter? Der Dich¬
ter verfehlt nicht, darauf zu antworten: iuitrekois ^'si tronvv une domino . . .


"Isns ce monde, "in rien n' s^-ueille leg senes,
Ne vn^ant "eul, inserme, et psuivre, et äetests,
N'itiina pour ins, inisvre se all5tormite!

Aber da hört doch alles auf! Sie hat ihn geliebt wegen seiner Häßlichkeit!
die christliche Seele! Mit einem solchen Wunder kann die gesammte Apokalypse,
der Koran und die Indische Mythologie nicht wetteifern!

Wenn ähnliche Wunder, d.h. Combinationen außerhalb alles natürlichen Zu¬
sammenhangs angenommen werden, so hat die dramatische Entwickelung kein In¬
teresse mehr, denn diese kann uns nur so lange spannen, als wir uns innerhalb
der Gesetze des Naturlaufs bewegen. -- Die moralische Idee ist nun, daß Tri-
boulet an dem gestraft wird, was ihm das Liebste ist. Seine Tochter wird durch
seinen König entehrt. -- Aber der Dichter verfehlt doch seinen angeblichen Zweck.
Der Hanswurst wird weder durch sein sentimentales Leben "bei Seite" geadelt,
noch durch diese tragische Erschütterung, wie das auch gar nicht möglich ist, er



*) Er sagt zu ihr- -- .te veux loi I)"n" ce lseul coin <Je moinle on kund "on inconnu,
N'etre zittui- loi Pi'un ovre, un pere venere,
<jue>Pie el>"8v 6g "aine, ä'suzusle et "1e "aere . . .
Kinde 6e toute Iialeine iinpuie, meine en röve,
?our e^i'um mallieuieiix v"e, i>, se" tieure" "je trvve
Lu jiuisse lesnirer le nsitum abi-ne,
Leite rose ac giilee et 6s oil'giriile!
Diese parfümirte Sprache des. idealen Triboulct im Gegensatz zu den Cynismen des
realen gibt zugleich ein sehr gutes Bild für die Unnatur der (Komposition. Wo wird ein
Hanswurst, der sich den ganzen Tag in schmutzigen Bildern bewegt "den heimlichen Duft einer
Rose der Grazie und der Jungfräulichkeit einathmen" wollen? -- Er überbietet sich später,
nachdem ihm der Duft der Jungfräulichkeit geraubt ist, noch einmal in Bildern: ^oui' hui ins revville" an 801'dir no lvui'S vult"!
^>"e p"r cjni mon "me !^ I" veiiu lemonte!
Volke ac ti^une dezilove "ur ma bunte!
^nge oubliv elle? wol xzr I" pitie as Ölen!
Zlchnlich sagt das Monstrum Quasimodo, das sonst nur stammeln kann, in einem Ausbruch
des Gefühls zu Esmeralda: Du bist ein Sonnenstrahl, ein Thautropfen, ein Bogelgesang! --
Parfüm und Gestank vermischt, gibt keine gute Atmosphäre.

auch noch den positiven Wunsch, neben seiner häßlichen Wirklichkeit gleichsam ein
reines Traumleben zu führen. Er hat eine schöne Tochter, die er in einem vor
der Welt verborgenen Heiligthum verwahrt.

Die erste Frage, die sich jedem Unbefangenen bei einem solchen Verhältniß
aufdrängt, ist die: wie kommt dieses Geschöpf zu einer solche» Tochter? Der Dich¬
ter verfehlt nicht, darauf zu antworten: iuitrekois ^'si tronvv une domino . . .


«Isns ce monde, «in rien n' s^-ueille leg senes,
Ne vn^ant »eul, inserme, et psuivre, et äetests,
N'itiina pour ins, inisvre se all5tormite!

Aber da hört doch alles auf! Sie hat ihn geliebt wegen seiner Häßlichkeit!
die christliche Seele! Mit einem solchen Wunder kann die gesammte Apokalypse,
der Koran und die Indische Mythologie nicht wetteifern!

Wenn ähnliche Wunder, d.h. Combinationen außerhalb alles natürlichen Zu¬
sammenhangs angenommen werden, so hat die dramatische Entwickelung kein In¬
teresse mehr, denn diese kann uns nur so lange spannen, als wir uns innerhalb
der Gesetze des Naturlaufs bewegen. — Die moralische Idee ist nun, daß Tri-
boulet an dem gestraft wird, was ihm das Liebste ist. Seine Tochter wird durch
seinen König entehrt. — Aber der Dichter verfehlt doch seinen angeblichen Zweck.
Der Hanswurst wird weder durch sein sentimentales Leben „bei Seite" geadelt,
noch durch diese tragische Erschütterung, wie das auch gar nicht möglich ist, er



*) Er sagt zu ihr- — .te veux loi I)»n» ce lseul coin <Je moinle on kund «on inconnu,
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Leite rose ac giilee et 6s oil'giriile!
Diese parfümirte Sprache des. idealen Triboulct im Gegensatz zu den Cynismen des
realen gibt zugleich ein sehr gutes Bild für die Unnatur der (Komposition. Wo wird ein
Hanswurst, der sich den ganzen Tag in schmutzigen Bildern bewegt „den heimlichen Duft einer
Rose der Grazie und der Jungfräulichkeit einathmen" wollen? — Er überbietet sich später,
nachdem ihm der Duft der Jungfräulichkeit geraubt ist, noch einmal in Bildern: ^oui' hui ins revville« an 801'dir no lvui'S vult»!
^>»e p»r cjni mon »me !^ I» veiiu lemonte!
Volke ac ti^une dezilove «ur ma bunte!
^nge oubliv elle? wol xzr I» pitie as Ölen!
Zlchnlich sagt das Monstrum Quasimodo, das sonst nur stammeln kann, in einem Ausbruch
des Gefühls zu Esmeralda: Du bist ein Sonnenstrahl, ein Thautropfen, ein Bogelgesang! —
Parfüm und Gestank vermischt, gibt keine gute Atmosphäre.
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[0293] auch noch den positiven Wunsch, neben seiner häßlichen Wirklichkeit gleichsam ein reines Traumleben zu führen. Er hat eine schöne Tochter, die er in einem vor der Welt verborgenen Heiligthum verwahrt. Die erste Frage, die sich jedem Unbefangenen bei einem solchen Verhältniß aufdrängt, ist die: wie kommt dieses Geschöpf zu einer solche» Tochter? Der Dich¬ ter verfehlt nicht, darauf zu antworten: iuitrekois ^'si tronvv une domino . . . «Isns ce monde, «in rien n' s^-ueille leg senes, Ne vn^ant »eul, inserme, et psuivre, et äetests, N'itiina pour ins, inisvre se all5tormite! Aber da hört doch alles auf! Sie hat ihn geliebt wegen seiner Häßlichkeit! die christliche Seele! Mit einem solchen Wunder kann die gesammte Apokalypse, der Koran und die Indische Mythologie nicht wetteifern! Wenn ähnliche Wunder, d.h. Combinationen außerhalb alles natürlichen Zu¬ sammenhangs angenommen werden, so hat die dramatische Entwickelung kein In¬ teresse mehr, denn diese kann uns nur so lange spannen, als wir uns innerhalb der Gesetze des Naturlaufs bewegen. — Die moralische Idee ist nun, daß Tri- boulet an dem gestraft wird, was ihm das Liebste ist. Seine Tochter wird durch seinen König entehrt. — Aber der Dichter verfehlt doch seinen angeblichen Zweck. Der Hanswurst wird weder durch sein sentimentales Leben „bei Seite" geadelt, noch durch diese tragische Erschütterung, wie das auch gar nicht möglich ist, er *) Er sagt zu ihr- — .te veux loi I)»n» ce lseul coin <Je moinle on kund «on inconnu, N'etre zittui- loi Pi'un ovre, un pere venere, <jue>Pie el>»8v 6g «aine, ä'suzusle et «1e «aere . . . Kinde 6e toute Iialeine iinpuie, meine en röve, ?our e^i'um mallieuieiix v«e, i>, se« tieure» «je trvve Lu jiuisse lesnirer le nsitum abi-ne, Leite rose ac giilee et 6s oil'giriile! Diese parfümirte Sprache des. idealen Triboulct im Gegensatz zu den Cynismen des realen gibt zugleich ein sehr gutes Bild für die Unnatur der (Komposition. Wo wird ein Hanswurst, der sich den ganzen Tag in schmutzigen Bildern bewegt „den heimlichen Duft einer Rose der Grazie und der Jungfräulichkeit einathmen" wollen? — Er überbietet sich später, nachdem ihm der Duft der Jungfräulichkeit geraubt ist, noch einmal in Bildern: ^oui' hui ins revville« an 801'dir no lvui'S vult»! ^>»e p»r cjni mon »me !^ I» veiiu lemonte! Volke ac ti^une dezilove «ur ma bunte! ^nge oubliv elle? wol xzr I» pitie as Ölen! Zlchnlich sagt das Monstrum Quasimodo, das sonst nur stammeln kann, in einem Ausbruch des Gefühls zu Esmeralda: Du bist ein Sonnenstrahl, ein Thautropfen, ein Bogelgesang! — Parfüm und Gestank vermischt, gibt keine gute Atmosphäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/293>, abgerufen am 27.06.2024.