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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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lesen. Tagelang folgten einander vereinzelte militärische Hinrichtungen; kein Licht
des Abends zu sehen, als das der Wachtfeuer, kein Laut zu hören als Wer-da-
Ruf, Waffengcklirr und der Fußtritt von Schildwachen und Patrouillen; nach
einer Woche noch blieben die Glocken stumm und die Kirchen -- unerhört in ka¬
tholischen Landen -- geschlossen. Das Heer gähnte, und man preßte aus Mai¬
land Gaukler, Ballettänzerinnen und Sängerinnen, welche gezwungen wurde",
die Sieger zu erheitern; Logen und Galerien füllten die Offiziere, das Parterre
die gemeine Soldateska. Noch jetzt herrscht in den meisten der großen Städte
Oberitaliens solch ein gräberliches Schweigen; und so lange dies andauert, kann
man sich des Gedankens kaum erwehren, daß der hohe und stolze Lorbeer Radetz-
ky's, der in diesen Einsamkeiten aufsprießt, eine höchst unfruchtbare Pflanze blei¬
ben wird.

Wie es kam, daß vierzehn Tage nach dem Beginn der Schreckenszeit Signor
T. und Beatrice in der Unglücksstadt ankamen? Ich glaube, die Venetianerin wollte
trotz aller Hindernisse in ihre Heimath, T. gab ihr zum Scheine nach. Nun
hatte die Kriegswoge sie daher verschlagen. In dem gcwölbartigen Gemach eines
früheren Klosters saß Signor T. einem alten Oberst gegenüber, einem Landsmann
und weitläuftigen Verwandten, den er hier zufällig getroffen und fast mit Gewalt
in feine Wohnung geschleppt hatte. Es drängte ihn, nach Jahren der Verschlos¬
senheit vor einem menschlichen Wesen sein Herz auszuschütten. Zwei große Becher
dunklen Weins standen auf dem Tisch, der alte Oberst nippte nur ans Höflichkeit,
aber T. schenkte sich mit zitternder Hand immer frisch ein. -- Sie haben der guten
Sache, hub der alte Oberst an -- Um Gottes Willen, sprechen Sie leise und
deutsch, bat T. mit gedämpfter Stimme; meine Frau schlummert im anstoßenden
Zimmer. -- Sie haben der Regierung seit Jahren so gute Dienste geleistet, daß
Sie ans -- einen guten Posten und . . . Sprechen Sie's nur ans, unterbrach
ihn T.; und ans die Verachtung der Welt rechnen können. Sie verachten mich
anch, gestehen Sie es, ich seh's an ihrer gezwungenen Miene, Sie verabscheuen
mich und siud doch kein Italiener, o Gott! Er verbarg sein Gesicht in beide
Hände. -- Sie sind ein wunderlicher Mensch, Doctor, sagte der Andere. Wenn
Sie aus Ueberzeugung gehandelt haben, ans Anhänglichkeit an die östreichische
Sache... -- Ja, ja, ich bin gut östreichisch gesinnt! rief T. -- Nun, dann können
Sie die Meinung der Welt ertragen. Wenn Sie aber im Stande waren, aus
audern Motiven Jahre lang das -- das Metier zu treiben, warum kommt Ihnen
plötzlich diese Empfindlichkeit? -- Es war etwas ganz Anderes in der alten patri¬
archalischen Zeit. Viele meines Gleichen thaten, wie ich, und blieben ziemlich
respectirt; es war etwas Gewöhnliches. Mir lag nur daran, die Regierung zu
warnen, den friedlichen Theil der Gesellschaft vor Schaden zu behüten , die Schwär¬
mer zu entwaffnen, nicht zu verderben. Wenn ich dafür Gold nahm, so ließ ich
mir nicht meine Ehre, sondern meine Zeit und Mühe bezahlen. Und glauben


lesen. Tagelang folgten einander vereinzelte militärische Hinrichtungen; kein Licht
des Abends zu sehen, als das der Wachtfeuer, kein Laut zu hören als Wer-da-
Ruf, Waffengcklirr und der Fußtritt von Schildwachen und Patrouillen; nach
einer Woche noch blieben die Glocken stumm und die Kirchen — unerhört in ka¬
tholischen Landen — geschlossen. Das Heer gähnte, und man preßte aus Mai¬
land Gaukler, Ballettänzerinnen und Sängerinnen, welche gezwungen wurde»,
die Sieger zu erheitern; Logen und Galerien füllten die Offiziere, das Parterre
die gemeine Soldateska. Noch jetzt herrscht in den meisten der großen Städte
Oberitaliens solch ein gräberliches Schweigen; und so lange dies andauert, kann
man sich des Gedankens kaum erwehren, daß der hohe und stolze Lorbeer Radetz-
ky's, der in diesen Einsamkeiten aufsprießt, eine höchst unfruchtbare Pflanze blei¬
ben wird.

Wie es kam, daß vierzehn Tage nach dem Beginn der Schreckenszeit Signor
T. und Beatrice in der Unglücksstadt ankamen? Ich glaube, die Venetianerin wollte
trotz aller Hindernisse in ihre Heimath, T. gab ihr zum Scheine nach. Nun
hatte die Kriegswoge sie daher verschlagen. In dem gcwölbartigen Gemach eines
früheren Klosters saß Signor T. einem alten Oberst gegenüber, einem Landsmann
und weitläuftigen Verwandten, den er hier zufällig getroffen und fast mit Gewalt
in feine Wohnung geschleppt hatte. Es drängte ihn, nach Jahren der Verschlos¬
senheit vor einem menschlichen Wesen sein Herz auszuschütten. Zwei große Becher
dunklen Weins standen auf dem Tisch, der alte Oberst nippte nur ans Höflichkeit,
aber T. schenkte sich mit zitternder Hand immer frisch ein. — Sie haben der guten
Sache, hub der alte Oberst an — Um Gottes Willen, sprechen Sie leise und
deutsch, bat T. mit gedämpfter Stimme; meine Frau schlummert im anstoßenden
Zimmer. — Sie haben der Regierung seit Jahren so gute Dienste geleistet, daß
Sie ans — einen guten Posten und . . . Sprechen Sie's nur ans, unterbrach
ihn T.; und ans die Verachtung der Welt rechnen können. Sie verachten mich
anch, gestehen Sie es, ich seh's an ihrer gezwungenen Miene, Sie verabscheuen
mich und siud doch kein Italiener, o Gott! Er verbarg sein Gesicht in beide
Hände. — Sie sind ein wunderlicher Mensch, Doctor, sagte der Andere. Wenn
Sie aus Ueberzeugung gehandelt haben, ans Anhänglichkeit an die östreichische
Sache... — Ja, ja, ich bin gut östreichisch gesinnt! rief T. — Nun, dann können
Sie die Meinung der Welt ertragen. Wenn Sie aber im Stande waren, aus
audern Motiven Jahre lang das — das Metier zu treiben, warum kommt Ihnen
plötzlich diese Empfindlichkeit? — Es war etwas ganz Anderes in der alten patri¬
archalischen Zeit. Viele meines Gleichen thaten, wie ich, und blieben ziemlich
respectirt; es war etwas Gewöhnliches. Mir lag nur daran, die Regierung zu
warnen, den friedlichen Theil der Gesellschaft vor Schaden zu behüten , die Schwär¬
mer zu entwaffnen, nicht zu verderben. Wenn ich dafür Gold nahm, so ließ ich
mir nicht meine Ehre, sondern meine Zeit und Mühe bezahlen. Und glauben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/29>, abgerufen am 20.06.2024.