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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Rettung eines Wiener Legionärs.



Mit dieser Überschrift geben wir folgendes Fragment aus einem zweibändigen
Werke von or. F. W. Ebeling, welches binnen Kurzem unter die Presse kommen
und eben so interessante, als wichtige Aufschlüsse über die und zu der Geschichte
der Jahre 1848 und 49 bringen wird:

Unter den Kämpfern der Wiener Oktoberrevolution, welche erst am 31. dessel¬
ben Monats daraus bedacht waren, ihr Leben in Sicherheit zu bringen, befand
sich auch der Legionär l)r. mock. Tindel. Noch donnerten die Kanonen Jella-
chich's an das Burgthor, als Tindel, das Unnütze jedes längern Kampfes ein¬
sehend, sich eiligst nach seiner Wohnung zu begab; allein wenige Schritte von
derselben entfernt, zeigte ihm das Aussehen eines Haufens Bewaffneter, daß er
schwerlich unangefochten in diese gelangen würde. Halb verzweifelnd begab er sich
schnell zurück und stürzte in das erste, beste Haus hinein, in der Absicht, ans
Glück oder Unglück eine mitleidige Seele anzutreffen, welche ihn verbergen und
seiner Sicherheit Vorschub leisten könnte. Eine Etage hoch angekommen, tritt er
in ein offenstehendes Entree, öffnet die nächste Thür, und befindet sich im Boudoir
einer Dame, die sich sogleich vom Sopha erhebt und ihm entgegentritt. Tindel
wirft sich ihr zu Füßen und ruft: "Nelken Sie mich, gnädige Frau! In meine
Wohnung zu gelangen-ist unmöglich, und auf der Straße kann ich nicht bleiben." --
"Mein Herr,'" erwiedert die Dame festen Tones, "Sie sind Legionär! Wissen Sie,
daß Ihre Anwesenheit bei mir von der höchsten Gefahr für Sie sein könnte? Ich
bin die Baronin Jellachich." -- Jellachich, der Baums von Kroatien, hatte
bekanntlich einen Bruder in der östreichischen Armee, der unseres Wissens als
Oberst in der italienischen Heeresabtheilung stand, vor dem 6. Oktober nach Wien
versetzt worden war, am (i. die Stadt mit Auersp erg's Truppen verlassen, seine
Frau und Nichte aber wohlbeschützt noch zurückgelassen hatte.

Die Baronin bemerkte jedoch kaum den Eindruck, den ihre Worte ans Tin¬
del natürlicher Weise hervorrufen mußten, als sie auch schnell hinzusetzte: "Doch
-- stehen Sie auf -- und begeben Sie sich in dieses Zimmer hier. Ich bin nicht
gesonnen, Ihnen Gefahr zu bringen -- Sie gefallen mir -- und wahrscheinlich
sind Sie auf einige Tage am Besten bei mir aufgehoben."

Es lag in dem Wesen und der Haltung der Schwägerin des Barus Etwas,
was Tindel unbedingtes Vertrauen einflößte. Er blieb, erhielt andere Kleidung,
und überließ sich Plänen für seine nächste Zukunft. --. Am 31. Oktober Nach¬
mittags zog Jellachich mit seinen Truppen in Wien ein und am folgenden Tage
besuchte er seine Schwägerin. Um die Mittagsstunde wird Tindel zu Tisch ge-,


Rettung eines Wiener Legionärs.



Mit dieser Überschrift geben wir folgendes Fragment aus einem zweibändigen
Werke von or. F. W. Ebeling, welches binnen Kurzem unter die Presse kommen
und eben so interessante, als wichtige Aufschlüsse über die und zu der Geschichte
der Jahre 1848 und 49 bringen wird:

Unter den Kämpfern der Wiener Oktoberrevolution, welche erst am 31. dessel¬
ben Monats daraus bedacht waren, ihr Leben in Sicherheit zu bringen, befand
sich auch der Legionär l)r. mock. Tindel. Noch donnerten die Kanonen Jella-
chich's an das Burgthor, als Tindel, das Unnütze jedes längern Kampfes ein¬
sehend, sich eiligst nach seiner Wohnung zu begab; allein wenige Schritte von
derselben entfernt, zeigte ihm das Aussehen eines Haufens Bewaffneter, daß er
schwerlich unangefochten in diese gelangen würde. Halb verzweifelnd begab er sich
schnell zurück und stürzte in das erste, beste Haus hinein, in der Absicht, ans
Glück oder Unglück eine mitleidige Seele anzutreffen, welche ihn verbergen und
seiner Sicherheit Vorschub leisten könnte. Eine Etage hoch angekommen, tritt er
in ein offenstehendes Entree, öffnet die nächste Thür, und befindet sich im Boudoir
einer Dame, die sich sogleich vom Sopha erhebt und ihm entgegentritt. Tindel
wirft sich ihr zu Füßen und ruft: „Nelken Sie mich, gnädige Frau! In meine
Wohnung zu gelangen-ist unmöglich, und auf der Straße kann ich nicht bleiben." —
„Mein Herr,'" erwiedert die Dame festen Tones, „Sie sind Legionär! Wissen Sie,
daß Ihre Anwesenheit bei mir von der höchsten Gefahr für Sie sein könnte? Ich
bin die Baronin Jellachich." — Jellachich, der Baums von Kroatien, hatte
bekanntlich einen Bruder in der östreichischen Armee, der unseres Wissens als
Oberst in der italienischen Heeresabtheilung stand, vor dem 6. Oktober nach Wien
versetzt worden war, am (i. die Stadt mit Auersp erg's Truppen verlassen, seine
Frau und Nichte aber wohlbeschützt noch zurückgelassen hatte.

Die Baronin bemerkte jedoch kaum den Eindruck, den ihre Worte ans Tin¬
del natürlicher Weise hervorrufen mußten, als sie auch schnell hinzusetzte: „Doch
— stehen Sie auf — und begeben Sie sich in dieses Zimmer hier. Ich bin nicht
gesonnen, Ihnen Gefahr zu bringen — Sie gefallen mir — und wahrscheinlich
sind Sie auf einige Tage am Besten bei mir aufgehoben."

Es lag in dem Wesen und der Haltung der Schwägerin des Barus Etwas,
was Tindel unbedingtes Vertrauen einflößte. Er blieb, erhielt andere Kleidung,
und überließ sich Plänen für seine nächste Zukunft. —. Am 31. Oktober Nach¬
mittags zog Jellachich mit seinen Truppen in Wien ein und am folgenden Tage
besuchte er seine Schwägerin. Um die Mittagsstunde wird Tindel zu Tisch ge-,


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[0277] Rettung eines Wiener Legionärs. Mit dieser Überschrift geben wir folgendes Fragment aus einem zweibändigen Werke von or. F. W. Ebeling, welches binnen Kurzem unter die Presse kommen und eben so interessante, als wichtige Aufschlüsse über die und zu der Geschichte der Jahre 1848 und 49 bringen wird: Unter den Kämpfern der Wiener Oktoberrevolution, welche erst am 31. dessel¬ ben Monats daraus bedacht waren, ihr Leben in Sicherheit zu bringen, befand sich auch der Legionär l)r. mock. Tindel. Noch donnerten die Kanonen Jella- chich's an das Burgthor, als Tindel, das Unnütze jedes längern Kampfes ein¬ sehend, sich eiligst nach seiner Wohnung zu begab; allein wenige Schritte von derselben entfernt, zeigte ihm das Aussehen eines Haufens Bewaffneter, daß er schwerlich unangefochten in diese gelangen würde. Halb verzweifelnd begab er sich schnell zurück und stürzte in das erste, beste Haus hinein, in der Absicht, ans Glück oder Unglück eine mitleidige Seele anzutreffen, welche ihn verbergen und seiner Sicherheit Vorschub leisten könnte. Eine Etage hoch angekommen, tritt er in ein offenstehendes Entree, öffnet die nächste Thür, und befindet sich im Boudoir einer Dame, die sich sogleich vom Sopha erhebt und ihm entgegentritt. Tindel wirft sich ihr zu Füßen und ruft: „Nelken Sie mich, gnädige Frau! In meine Wohnung zu gelangen-ist unmöglich, und auf der Straße kann ich nicht bleiben." — „Mein Herr,'" erwiedert die Dame festen Tones, „Sie sind Legionär! Wissen Sie, daß Ihre Anwesenheit bei mir von der höchsten Gefahr für Sie sein könnte? Ich bin die Baronin Jellachich." — Jellachich, der Baums von Kroatien, hatte bekanntlich einen Bruder in der östreichischen Armee, der unseres Wissens als Oberst in der italienischen Heeresabtheilung stand, vor dem 6. Oktober nach Wien versetzt worden war, am (i. die Stadt mit Auersp erg's Truppen verlassen, seine Frau und Nichte aber wohlbeschützt noch zurückgelassen hatte. Die Baronin bemerkte jedoch kaum den Eindruck, den ihre Worte ans Tin¬ del natürlicher Weise hervorrufen mußten, als sie auch schnell hinzusetzte: „Doch — stehen Sie auf — und begeben Sie sich in dieses Zimmer hier. Ich bin nicht gesonnen, Ihnen Gefahr zu bringen — Sie gefallen mir — und wahrscheinlich sind Sie auf einige Tage am Besten bei mir aufgehoben." Es lag in dem Wesen und der Haltung der Schwägerin des Barus Etwas, was Tindel unbedingtes Vertrauen einflößte. Er blieb, erhielt andere Kleidung, und überließ sich Plänen für seine nächste Zukunft. —. Am 31. Oktober Nach¬ mittags zog Jellachich mit seinen Truppen in Wien ein und am folgenden Tage besuchte er seine Schwägerin. Um die Mittagsstunde wird Tindel zu Tisch ge-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/277>, abgerufen am 27.06.2024.