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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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karten wurden auf dem Tisch ausgebreitet. Der Crociato ließ hier/s nicht nehmen,
auf seinen jungfräulichen Säbel gestützt nud mit theatralischer Pantomimik die
Wundermähr zu verkünden. Die Romanzen vom Cid klingen nicht außerordentlicher
als die damaligen Dichtungen Famas in den italienischen Städten. Das östrei¬
chische Heer in einer Niesenschlacht am Gardasee aufgerieben, die eine Hälfte in
die Fluth gesprengt, die andere in wilder Flucht zerstreut, erschlagen oder über¬
gegangen, der greise Marschall mit zerspaltenem Haupt auf der Walstatt hinge¬
streckt. Auf den Thürmen Mantua's die Trikolore, ganz Oberitalien frei! Ich
entfernte mich während des allgemeinen Jubels und bemerkte nur noch, daß Sig-
nor T. seine Gäste der Reihe umarmte und Beatrice auf die Stirn küßte. Im
Nachhausegehen begegnete ich schon bacchantischen Fackelzügen. Lolo-t, eviv-r la
owrto <ki ki-rllexk^! -- eviv-i, I.l lideitn! scholl es ans tausend Kehlen, dann
rauschten Musik und Gesang in das Jauchzen des Volkes! -- --

Zahllose Florentiner verwachten diese Nacht in seligen Träumen^ mich dagegen
überkam auf meinem Lager ein Traum seltsamer Art. Ich ging nach Signor T's
Wohnung und stieg mit pochendem Herzen die breite, kühle Treppe hinan, denn ein
Gesang, unheimlich süß wie der Klang gläserner Harmonikaglocken, nöthigte meinen
zögernden Schritt unwiderstehlich weiter. Schauer rieselte mir dnrch's Herz bei
jedem Ton, aber ich dachte, du hast Beatrice noch nicht singen gehört, und trat
in's Gemach. Am offenen Fenster saß sie, der Sonnenschein vergoldete das üppige
blonde Haar, welches, aufgelöst niederfallend, mit laugen Fluthen den untern
Theil der Gestalt verhüllte. Ihr Antlitz war schöner als gewöhnlich, aber Mit¬
leid und unbeschreibliche Trauer malte sich in ihren Zügen, ihre Arme waren mit
einer Perlenschnur aus den Rücken gebunden, helle Thränen quollen aus ihren
dunklen Angen und sie schien, indem sie sang, von einer unerklärlichen Angst ge¬
trieben. Geblendet blieb ich eine halbe Sekunde auf der Schwelle stehn. Da ge¬
wahrte ich in der Mitte des Gemachs eine Gruppe junger Männer rund um
einen Marmortisch sitzend, im magnetischen Schlummer, mit halbgeschlossenen Augen
und verklärten Gesichtern, alle sehnsüchtig der Sängerin zugewandt. Allmälig
verlor sich das selig verklärte Lächeln in ihren Zügen und wich bei einem nach
dem andern einer todtenähnlichen Blässe. Noch einen Schritt näher und ich er¬
kannte mit Schrecken einige meiner besten Freunde; ich suchte sie wach zu rufen
und konnte nicht. Endlich streckte ich mit krampfhafter Anstrengung meine Hand
aus, um dem nächsten aus die Schulter zu klopfen, da traf mich ein stechender
Blick ans dem Dunkel, fühlbar wie ein Bicnenstachel; der Blick des Signor T.,
der im Schatten des Gemachs sich ruhig in seinem Lehnstuhl schaukelte und mich
so höhnisch anstarrte, daß ich mit einem gebrochenen Schrei ans dem Schlaf
fuhr.--

Am Morgen flatterten festliche Trikoloren ans den Fenstern und von den Giebeln
des schönen Florenz, die Balkone waren mit Feiertagsteppichen und blumenge-


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karten wurden auf dem Tisch ausgebreitet. Der Crociato ließ hier/s nicht nehmen,
auf seinen jungfräulichen Säbel gestützt nud mit theatralischer Pantomimik die
Wundermähr zu verkünden. Die Romanzen vom Cid klingen nicht außerordentlicher
als die damaligen Dichtungen Famas in den italienischen Städten. Das östrei¬
chische Heer in einer Niesenschlacht am Gardasee aufgerieben, die eine Hälfte in
die Fluth gesprengt, die andere in wilder Flucht zerstreut, erschlagen oder über¬
gegangen, der greise Marschall mit zerspaltenem Haupt auf der Walstatt hinge¬
streckt. Auf den Thürmen Mantua's die Trikolore, ganz Oberitalien frei! Ich
entfernte mich während des allgemeinen Jubels und bemerkte nur noch, daß Sig-
nor T. seine Gäste der Reihe umarmte und Beatrice auf die Stirn küßte. Im
Nachhausegehen begegnete ich schon bacchantischen Fackelzügen. Lolo-t, eviv-r la
owrto <ki ki-rllexk^! — eviv-i, I.l lideitn! scholl es ans tausend Kehlen, dann
rauschten Musik und Gesang in das Jauchzen des Volkes! — —

Zahllose Florentiner verwachten diese Nacht in seligen Träumen^ mich dagegen
überkam auf meinem Lager ein Traum seltsamer Art. Ich ging nach Signor T's
Wohnung und stieg mit pochendem Herzen die breite, kühle Treppe hinan, denn ein
Gesang, unheimlich süß wie der Klang gläserner Harmonikaglocken, nöthigte meinen
zögernden Schritt unwiderstehlich weiter. Schauer rieselte mir dnrch's Herz bei
jedem Ton, aber ich dachte, du hast Beatrice noch nicht singen gehört, und trat
in's Gemach. Am offenen Fenster saß sie, der Sonnenschein vergoldete das üppige
blonde Haar, welches, aufgelöst niederfallend, mit laugen Fluthen den untern
Theil der Gestalt verhüllte. Ihr Antlitz war schöner als gewöhnlich, aber Mit¬
leid und unbeschreibliche Trauer malte sich in ihren Zügen, ihre Arme waren mit
einer Perlenschnur aus den Rücken gebunden, helle Thränen quollen aus ihren
dunklen Angen und sie schien, indem sie sang, von einer unerklärlichen Angst ge¬
trieben. Geblendet blieb ich eine halbe Sekunde auf der Schwelle stehn. Da ge¬
wahrte ich in der Mitte des Gemachs eine Gruppe junger Männer rund um
einen Marmortisch sitzend, im magnetischen Schlummer, mit halbgeschlossenen Augen
und verklärten Gesichtern, alle sehnsüchtig der Sängerin zugewandt. Allmälig
verlor sich das selig verklärte Lächeln in ihren Zügen und wich bei einem nach
dem andern einer todtenähnlichen Blässe. Noch einen Schritt näher und ich er¬
kannte mit Schrecken einige meiner besten Freunde; ich suchte sie wach zu rufen
und konnte nicht. Endlich streckte ich mit krampfhafter Anstrengung meine Hand
aus, um dem nächsten aus die Schulter zu klopfen, da traf mich ein stechender
Blick ans dem Dunkel, fühlbar wie ein Bicnenstachel; der Blick des Signor T.,
der im Schatten des Gemachs sich ruhig in seinem Lehnstuhl schaukelte und mich
so höhnisch anstarrte, daß ich mit einem gebrochenen Schrei ans dem Schlaf
fuhr.--

Am Morgen flatterten festliche Trikoloren ans den Fenstern und von den Giebeln
des schönen Florenz, die Balkone waren mit Feiertagsteppichen und blumenge-


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[0027] karten wurden auf dem Tisch ausgebreitet. Der Crociato ließ hier/s nicht nehmen, auf seinen jungfräulichen Säbel gestützt nud mit theatralischer Pantomimik die Wundermähr zu verkünden. Die Romanzen vom Cid klingen nicht außerordentlicher als die damaligen Dichtungen Famas in den italienischen Städten. Das östrei¬ chische Heer in einer Niesenschlacht am Gardasee aufgerieben, die eine Hälfte in die Fluth gesprengt, die andere in wilder Flucht zerstreut, erschlagen oder über¬ gegangen, der greise Marschall mit zerspaltenem Haupt auf der Walstatt hinge¬ streckt. Auf den Thürmen Mantua's die Trikolore, ganz Oberitalien frei! Ich entfernte mich während des allgemeinen Jubels und bemerkte nur noch, daß Sig- nor T. seine Gäste der Reihe umarmte und Beatrice auf die Stirn küßte. Im Nachhausegehen begegnete ich schon bacchantischen Fackelzügen. Lolo-t, eviv-r la owrto <ki ki-rllexk^! — eviv-i, I.l lideitn! scholl es ans tausend Kehlen, dann rauschten Musik und Gesang in das Jauchzen des Volkes! — — Zahllose Florentiner verwachten diese Nacht in seligen Träumen^ mich dagegen überkam auf meinem Lager ein Traum seltsamer Art. Ich ging nach Signor T's Wohnung und stieg mit pochendem Herzen die breite, kühle Treppe hinan, denn ein Gesang, unheimlich süß wie der Klang gläserner Harmonikaglocken, nöthigte meinen zögernden Schritt unwiderstehlich weiter. Schauer rieselte mir dnrch's Herz bei jedem Ton, aber ich dachte, du hast Beatrice noch nicht singen gehört, und trat in's Gemach. Am offenen Fenster saß sie, der Sonnenschein vergoldete das üppige blonde Haar, welches, aufgelöst niederfallend, mit laugen Fluthen den untern Theil der Gestalt verhüllte. Ihr Antlitz war schöner als gewöhnlich, aber Mit¬ leid und unbeschreibliche Trauer malte sich in ihren Zügen, ihre Arme waren mit einer Perlenschnur aus den Rücken gebunden, helle Thränen quollen aus ihren dunklen Angen und sie schien, indem sie sang, von einer unerklärlichen Angst ge¬ trieben. Geblendet blieb ich eine halbe Sekunde auf der Schwelle stehn. Da ge¬ wahrte ich in der Mitte des Gemachs eine Gruppe junger Männer rund um einen Marmortisch sitzend, im magnetischen Schlummer, mit halbgeschlossenen Augen und verklärten Gesichtern, alle sehnsüchtig der Sängerin zugewandt. Allmälig verlor sich das selig verklärte Lächeln in ihren Zügen und wich bei einem nach dem andern einer todtenähnlichen Blässe. Noch einen Schritt näher und ich er¬ kannte mit Schrecken einige meiner besten Freunde; ich suchte sie wach zu rufen und konnte nicht. Endlich streckte ich mit krampfhafter Anstrengung meine Hand aus, um dem nächsten aus die Schulter zu klopfen, da traf mich ein stechender Blick ans dem Dunkel, fühlbar wie ein Bicnenstachel; der Blick des Signor T., der im Schatten des Gemachs sich ruhig in seinem Lehnstuhl schaukelte und mich so höhnisch anstarrte, daß ich mit einem gebrochenen Schrei ans dem Schlaf fuhr.-- Am Morgen flatterten festliche Trikoloren ans den Fenstern und von den Giebeln des schönen Florenz, die Balkone waren mit Feiertagsteppichen und blumenge- 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/27>, abgerufen am 20.06.2024.