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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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können, wo man das Meer im Aufgang und im Abend sieht und die goldenen
Schlösser in den Wolken so nahe hat und der blaue Himmel Kühlung fächelt ge-
.gen die Sonnenhitze! Und drittens, die herrlichen kleinen Wälder aus Pinien
und Lorbeerbäumen! Das sind ja lauter grüne Harfen, die aus der stummen Erde
wachsen, um ihr Stimme zu geben; die Blätter, Zweige und Kronen flüstern
fortwährend und wenn gar der helle Wind darein fährt und ans den lebendigen
Saiten spielt, klingt es wie auf dem Meer oder in der Kirche. Nicht wahr, in
Ihrer Heimath gibt es anch solche Wälder? Signor T. hat es mir oft gesagt.
-- O, noch schönere, erwiderte ich und ließ mich hinreißen, die Pracht und Ma¬
jestät des deutschen Waldes ihr auszumalen. -- Und fürchtet Ihr nicht, Ihr herz¬
losen Tedeschi, rief sie, daß Euch die Heiligen wieder nehmen, was Ihr habt,
weil Ihr damit nicht zufrieden seid, sondern herkommt, um armen Christen die
Städte anzuzünden und die Gärten zu verwüsten? -- Sie hob das reizende kleine
Haupt so vorwurfsvoll und ihre Stimme zitterte von einem so kindlichen Anflug
heroischen Zornes, daß ich im Augenblick keine Antwort sand. -- Engel des Him¬
mels, flüsterte der Marchese, ihre Hand küssend; klänge das Schwert Italiens im¬
mer so rein und siegreich wie Deine Worte! -- Hab ich Euch nicht gesagt, Ihr
vergeßlichen Kinder, rief der Dottore, daß unsere Feinde nicht die Tedeschi, son¬
dern die Oestreicher sind? -- Ja, aber die Oestreicher sind mit den Tedeschi
Geschwisterkind, darum schweigen diese zu alle" Unthaten unserer Feinde und klat¬
schen ihnen Beifall, erwiederte der junge Nobile. Wissen wir nicht, daß die Oest¬
reicher den unersättlichen Durst nach italienischem Blut und Gold vou den Im¬
peratoren und Landsknechten der Tedeschi erbten? Wo ist gerade jetzt die Berserker-
wuth gegen die Freiheit Italiens heftiger entbrannt als unter den freiwilligen
Gladiatoren ans der deutscheu Vicuna? Wer hat uus von jeher als Banditen
und Verräther in Europa aufgeschrien als jene Tedeschi, deren trunkener Ueber¬
muth und plumpe Uebermacht uus seit Jahrhunderten zwang, zum Stachel der
List zu greifen? O Italia, Italia! rief er, ein Sonnet Filicaja's citirend; wärst
Du in Deiner Nacktheit minder schön oder gewaltiger, daß Du nicht jedem frem¬
den Wollüstling zur Beute fielest! Der junge Redner erglühte und seine Ge¬
berde ward immer ergreifender, während er bald Dante, bald Alfieri anrief, um
mit Beschwörungsformeln und Prophezeihungen die fremden Eroberer zu ban¬
nen. Beatrice's Blick, der wehmuthstrahlend auf sein Antlitz geheftet war, schien
den Marchese bis zum Wahnsinn zu entzünden, während Signor T. ruhig lächelnd
die ihm längst bekannten Ergüsse anhörte. Die Scene wurde mir peinlich, und
ich war im Begriff, ein versöhnendes Wort zu sprechen, als neue Gäste sich an¬
meldeten. Unter den Eintretenden war ein löwenmähniger Crociato mit, einem
riesigen Türkensäbel an der Seite. Die Gesellschaft war in solchem Freudenrausch,
daß sie mich kaum bemerkte. Triumph! Sieg! Freudige Botschaft! Einen Becher
Orvieto! riefen sie durch einander. Rosenfarbene Flugschriften, Briefe, Land-


können, wo man das Meer im Aufgang und im Abend sieht und die goldenen
Schlösser in den Wolken so nahe hat und der blaue Himmel Kühlung fächelt ge-
.gen die Sonnenhitze! Und drittens, die herrlichen kleinen Wälder aus Pinien
und Lorbeerbäumen! Das sind ja lauter grüne Harfen, die aus der stummen Erde
wachsen, um ihr Stimme zu geben; die Blätter, Zweige und Kronen flüstern
fortwährend und wenn gar der helle Wind darein fährt und ans den lebendigen
Saiten spielt, klingt es wie auf dem Meer oder in der Kirche. Nicht wahr, in
Ihrer Heimath gibt es anch solche Wälder? Signor T. hat es mir oft gesagt.
— O, noch schönere, erwiderte ich und ließ mich hinreißen, die Pracht und Ma¬
jestät des deutschen Waldes ihr auszumalen. — Und fürchtet Ihr nicht, Ihr herz¬
losen Tedeschi, rief sie, daß Euch die Heiligen wieder nehmen, was Ihr habt,
weil Ihr damit nicht zufrieden seid, sondern herkommt, um armen Christen die
Städte anzuzünden und die Gärten zu verwüsten? — Sie hob das reizende kleine
Haupt so vorwurfsvoll und ihre Stimme zitterte von einem so kindlichen Anflug
heroischen Zornes, daß ich im Augenblick keine Antwort sand. — Engel des Him¬
mels, flüsterte der Marchese, ihre Hand küssend; klänge das Schwert Italiens im¬
mer so rein und siegreich wie Deine Worte! — Hab ich Euch nicht gesagt, Ihr
vergeßlichen Kinder, rief der Dottore, daß unsere Feinde nicht die Tedeschi, son¬
dern die Oestreicher sind? — Ja, aber die Oestreicher sind mit den Tedeschi
Geschwisterkind, darum schweigen diese zu alle» Unthaten unserer Feinde und klat¬
schen ihnen Beifall, erwiederte der junge Nobile. Wissen wir nicht, daß die Oest¬
reicher den unersättlichen Durst nach italienischem Blut und Gold vou den Im¬
peratoren und Landsknechten der Tedeschi erbten? Wo ist gerade jetzt die Berserker-
wuth gegen die Freiheit Italiens heftiger entbrannt als unter den freiwilligen
Gladiatoren ans der deutscheu Vicuna? Wer hat uus von jeher als Banditen
und Verräther in Europa aufgeschrien als jene Tedeschi, deren trunkener Ueber¬
muth und plumpe Uebermacht uus seit Jahrhunderten zwang, zum Stachel der
List zu greifen? O Italia, Italia! rief er, ein Sonnet Filicaja's citirend; wärst
Du in Deiner Nacktheit minder schön oder gewaltiger, daß Du nicht jedem frem¬
den Wollüstling zur Beute fielest! Der junge Redner erglühte und seine Ge¬
berde ward immer ergreifender, während er bald Dante, bald Alfieri anrief, um
mit Beschwörungsformeln und Prophezeihungen die fremden Eroberer zu ban¬
nen. Beatrice's Blick, der wehmuthstrahlend auf sein Antlitz geheftet war, schien
den Marchese bis zum Wahnsinn zu entzünden, während Signor T. ruhig lächelnd
die ihm längst bekannten Ergüsse anhörte. Die Scene wurde mir peinlich, und
ich war im Begriff, ein versöhnendes Wort zu sprechen, als neue Gäste sich an¬
meldeten. Unter den Eintretenden war ein löwenmähniger Crociato mit, einem
riesigen Türkensäbel an der Seite. Die Gesellschaft war in solchem Freudenrausch,
daß sie mich kaum bemerkte. Triumph! Sieg! Freudige Botschaft! Einen Becher
Orvieto! riefen sie durch einander. Rosenfarbene Flugschriften, Briefe, Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/26>, abgerufen am 20.06.2024.