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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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unserer Gesellschaft, während andere in großer Zahl sich freiwillig zu unserer Be-'
dienung anboten.

Ich mußte meinem Wirthe alle Lieder und Sprüche der Weisheit sagen, die
ich von Mirza-Schaffy gelernt hatte, und der Weise von Adigivn sang mir
dafür die seinigen vor. Ich fand darin eben so viel Anmaßung und Selbstgefühl,
aber bei Weitem nicht die Frische und Originalität, wie in den Gesängen Mirza-
Schaffy's. Wir schrieben gemeinschaftlich Briefe an Mirza-Schaffy; mein
Wirth, um seine Freude über meinen Besuch auszudrücken, und ich, um ihm nach
langer Trennung wieder einen Bericht von meinen Erlebnissen zu geben. Wir
rühmten gegenseitig unsere Handschrift, denn aus das Schönschreiben wird im
Orient ein ungemein großer Werth gelegt; ja, es wird als ein wesentlicher Be¬
standtheil der Weisheit betrachtet. Darumkommt es hier nicht selten vor, daß
ein Schriftgelehrter den andern auffordert, ihm einen Beweis seiner Schreibekunst
zu geben, und ihn verhöhnt, wenn die Probe schlecht ausfällt.

Die Artigkeiten, welche Omar-Effendi mir über meinen Brief sagte,--
den ich ihm zeigte, wie er mir den seinigen, -- schrieb ich alle auf Rechnung
Mirza-Schaffy's.

"Du thust wohl -- entgegnete er -- Deinen Lehrer zu preisen; aber die
Weisheit läßt sich nicht ganz so verschenken, wie ein anderes Ding; nur halb kann
sie gegeben, halb muß sie gewonnen werden. Es läßt sich kein Baum pflanzen
auf Steinen, und keine Weisheit im Kopfe eines Thoren. Was sagt Hafis:


"Nie wirst Du den Juwel Deiner Wünsche erlangen
Durch eigene Mühe --
Und doch nie, o Hafis! wird er zu Dir gelangen
Ohne eigene Mühe!"

Ich zitirte ihm zur Entgegnung die Stelle aus der Bibel, wo es heißt:
"Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird noch genommen,
was er hat."

Er nickte einverständlich mit dem Kopfe, und ich fuhr fort: "Es geht mit den
Sprüchen der Weisheit im Kopfe eines Thoren, wie mit dem Gelde in der Hand
eines Bettlers, davon Saadi geredet: "In der Hand eines Bettlers bleibt das
Geld so beständig, wie die Geduld im Kopfe eines Verliebten, und das Wasser
im Siebe!"

"Aber eben so schwer -- rief Omar-Effendi -- wie es ist, die Weisheit
in die Köpfe der Thoren zu bringen, eben so schwer ist es auch, die Thorheit
ganz zu vertreiben aus den Köpfen der Weisen!"

"Weil auf dem fruchtbarsten Acker -- entgegnete ich -- anch das Unkraut
am besten gedeiht. Es genügt, wenn der guten Früchte mehr sind als des Un¬
krauts, und dazu bedarf es schon großer Pflege und großen Kampfes. Ein Glei¬
ches gilt von den Anlagen und Eigenschaften der Mensche". Was ist die Nein-


unserer Gesellschaft, während andere in großer Zahl sich freiwillig zu unserer Be-'
dienung anboten.

Ich mußte meinem Wirthe alle Lieder und Sprüche der Weisheit sagen, die
ich von Mirza-Schaffy gelernt hatte, und der Weise von Adigivn sang mir
dafür die seinigen vor. Ich fand darin eben so viel Anmaßung und Selbstgefühl,
aber bei Weitem nicht die Frische und Originalität, wie in den Gesängen Mirza-
Schaffy's. Wir schrieben gemeinschaftlich Briefe an Mirza-Schaffy; mein
Wirth, um seine Freude über meinen Besuch auszudrücken, und ich, um ihm nach
langer Trennung wieder einen Bericht von meinen Erlebnissen zu geben. Wir
rühmten gegenseitig unsere Handschrift, denn aus das Schönschreiben wird im
Orient ein ungemein großer Werth gelegt; ja, es wird als ein wesentlicher Be¬
standtheil der Weisheit betrachtet. Darumkommt es hier nicht selten vor, daß
ein Schriftgelehrter den andern auffordert, ihm einen Beweis seiner Schreibekunst
zu geben, und ihn verhöhnt, wenn die Probe schlecht ausfällt.

Die Artigkeiten, welche Omar-Effendi mir über meinen Brief sagte,—
den ich ihm zeigte, wie er mir den seinigen, — schrieb ich alle auf Rechnung
Mirza-Schaffy's.

„Du thust wohl — entgegnete er — Deinen Lehrer zu preisen; aber die
Weisheit läßt sich nicht ganz so verschenken, wie ein anderes Ding; nur halb kann
sie gegeben, halb muß sie gewonnen werden. Es läßt sich kein Baum pflanzen
auf Steinen, und keine Weisheit im Kopfe eines Thoren. Was sagt Hafis:


„Nie wirst Du den Juwel Deiner Wünsche erlangen
Durch eigene Mühe —
Und doch nie, o Hafis! wird er zu Dir gelangen
Ohne eigene Mühe!"

Ich zitirte ihm zur Entgegnung die Stelle aus der Bibel, wo es heißt:
„Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird noch genommen,
was er hat."

Er nickte einverständlich mit dem Kopfe, und ich fuhr fort: „Es geht mit den
Sprüchen der Weisheit im Kopfe eines Thoren, wie mit dem Gelde in der Hand
eines Bettlers, davon Saadi geredet: „In der Hand eines Bettlers bleibt das
Geld so beständig, wie die Geduld im Kopfe eines Verliebten, und das Wasser
im Siebe!"

„Aber eben so schwer — rief Omar-Effendi — wie es ist, die Weisheit
in die Köpfe der Thoren zu bringen, eben so schwer ist es auch, die Thorheit
ganz zu vertreiben aus den Köpfen der Weisen!"

„Weil auf dem fruchtbarsten Acker — entgegnete ich — anch das Unkraut
am besten gedeiht. Es genügt, wenn der guten Früchte mehr sind als des Un¬
krauts, und dazu bedarf es schon großer Pflege und großen Kampfes. Ein Glei¬
ches gilt von den Anlagen und Eigenschaften der Mensche». Was ist die Nein-


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[0264] unserer Gesellschaft, während andere in großer Zahl sich freiwillig zu unserer Be-' dienung anboten. Ich mußte meinem Wirthe alle Lieder und Sprüche der Weisheit sagen, die ich von Mirza-Schaffy gelernt hatte, und der Weise von Adigivn sang mir dafür die seinigen vor. Ich fand darin eben so viel Anmaßung und Selbstgefühl, aber bei Weitem nicht die Frische und Originalität, wie in den Gesängen Mirza- Schaffy's. Wir schrieben gemeinschaftlich Briefe an Mirza-Schaffy; mein Wirth, um seine Freude über meinen Besuch auszudrücken, und ich, um ihm nach langer Trennung wieder einen Bericht von meinen Erlebnissen zu geben. Wir rühmten gegenseitig unsere Handschrift, denn aus das Schönschreiben wird im Orient ein ungemein großer Werth gelegt; ja, es wird als ein wesentlicher Be¬ standtheil der Weisheit betrachtet. Darumkommt es hier nicht selten vor, daß ein Schriftgelehrter den andern auffordert, ihm einen Beweis seiner Schreibekunst zu geben, und ihn verhöhnt, wenn die Probe schlecht ausfällt. Die Artigkeiten, welche Omar-Effendi mir über meinen Brief sagte,— den ich ihm zeigte, wie er mir den seinigen, — schrieb ich alle auf Rechnung Mirza-Schaffy's. „Du thust wohl — entgegnete er — Deinen Lehrer zu preisen; aber die Weisheit läßt sich nicht ganz so verschenken, wie ein anderes Ding; nur halb kann sie gegeben, halb muß sie gewonnen werden. Es läßt sich kein Baum pflanzen auf Steinen, und keine Weisheit im Kopfe eines Thoren. Was sagt Hafis: „Nie wirst Du den Juwel Deiner Wünsche erlangen Durch eigene Mühe — Und doch nie, o Hafis! wird er zu Dir gelangen Ohne eigene Mühe!" Ich zitirte ihm zur Entgegnung die Stelle aus der Bibel, wo es heißt: „Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat." Er nickte einverständlich mit dem Kopfe, und ich fuhr fort: „Es geht mit den Sprüchen der Weisheit im Kopfe eines Thoren, wie mit dem Gelde in der Hand eines Bettlers, davon Saadi geredet: „In der Hand eines Bettlers bleibt das Geld so beständig, wie die Geduld im Kopfe eines Verliebten, und das Wasser im Siebe!" „Aber eben so schwer — rief Omar-Effendi — wie es ist, die Weisheit in die Köpfe der Thoren zu bringen, eben so schwer ist es auch, die Thorheit ganz zu vertreiben aus den Köpfen der Weisen!" „Weil auf dem fruchtbarsten Acker — entgegnete ich — anch das Unkraut am besten gedeiht. Es genügt, wenn der guten Früchte mehr sind als des Un¬ krauts, und dazu bedarf es schon großer Pflege und großen Kampfes. Ein Glei¬ ches gilt von den Anlagen und Eigenschaften der Mensche». Was ist die Nein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/264>, abgerufen am 27.06.2024.