Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der dicken Milch das Lachen unter¬
drücken konnte, war etwas unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn
es war kein Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung herbeizuführen.

Der Balkon führte in das Selamlik (BegrüßungSzimmer), welches wiederum
mit den andern Gemächern des Hanfes in Verbindung stand. Allein dort hinzu¬
gehen, wäre gegen alle Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig,
als vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu steige", was
aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich war.

Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser! löse mir die
Räthsel: es fleht geschrieben, der Geist sei gewaltiger als der Körper, -- und
doch hat dieser mehr Gewalt über jenen, als jener über diesen. Wen" der Geist
sich zum Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen -- wenn
aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat, so muß die unsterbliche
Seele ihm folgen!

Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl ihnen, Laternen
zu bereiten, um zu leuchte", und Knittel, zur Abwehr der Hunde.

In wenigen Minuten erschienen acht dickbetnrbante Türken und stiegen mit
meinem russischen Freunde den Balkon hinab, auf die angrenzenden, terrassenförmig
gebauten Häuser-.

Ein riesiger Türke, in blutrothen Gewände, führte den Zug, in der Hand,
tragend; der zweite Laternenträger ging hinterher, während die übrigen Be¬
gleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in die Mitte nahmen, um
ihn vor deu wolfähnlichen, von allen Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen.

Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, üm zu erforschen, ob der richtige An¬
haltpunkt gefunden sei.

"Wessen Dach ist dieses?" fragte der erste Laternenträger.

"Abdullah's, des Kaufmanns!" erwiederte der zweite.

"Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben."

Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus.

"Wessen Dach ist dieses?"

"Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!"

Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe.

Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und seine Verwand¬
ten kehrten nach Achalzich zurück, und ich blieb mit Giorgi allein bei Omar-
Effendi.

Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den obstreichen Gärten des Dor¬
fes, welche, wie das ganze Land, künstlich durch Kanäle bewässert waren.
Auf den dunklen Nasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll
hohe Tischscheibe gestellt, und rund herum saßen wir mit untergeschlagenen Beinen.
Ein paar der angeseheneren Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in


nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der dicken Milch das Lachen unter¬
drücken konnte, war etwas unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn
es war kein Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung herbeizuführen.

Der Balkon führte in das Selamlik (BegrüßungSzimmer), welches wiederum
mit den andern Gemächern des Hanfes in Verbindung stand. Allein dort hinzu¬
gehen, wäre gegen alle Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig,
als vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu steige», was
aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich war.

Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser! löse mir die
Räthsel: es fleht geschrieben, der Geist sei gewaltiger als der Körper, — und
doch hat dieser mehr Gewalt über jenen, als jener über diesen. Wen» der Geist
sich zum Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen — wenn
aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat, so muß die unsterbliche
Seele ihm folgen!

Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl ihnen, Laternen
zu bereiten, um zu leuchte», und Knittel, zur Abwehr der Hunde.

In wenigen Minuten erschienen acht dickbetnrbante Türken und stiegen mit
meinem russischen Freunde den Balkon hinab, auf die angrenzenden, terrassenförmig
gebauten Häuser-.

Ein riesiger Türke, in blutrothen Gewände, führte den Zug, in der Hand,
tragend; der zweite Laternenträger ging hinterher, während die übrigen Be¬
gleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in die Mitte nahmen, um
ihn vor deu wolfähnlichen, von allen Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen.

Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, üm zu erforschen, ob der richtige An¬
haltpunkt gefunden sei.

„Wessen Dach ist dieses?" fragte der erste Laternenträger.

„Abdullah's, des Kaufmanns!" erwiederte der zweite.

„Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben."

Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus.

„Wessen Dach ist dieses?"

„Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!"

Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe.

Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und seine Verwand¬
ten kehrten nach Achalzich zurück, und ich blieb mit Giorgi allein bei Omar-
Effendi.

Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den obstreichen Gärten des Dor¬
fes, welche, wie das ganze Land, künstlich durch Kanäle bewässert waren.
Auf den dunklen Nasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll
hohe Tischscheibe gestellt, und rund herum saßen wir mit untergeschlagenen Beinen.
Ein paar der angeseheneren Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93086"/>
          <p xml:id="ID_852" prev="#ID_851"> nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der dicken Milch das Lachen unter¬<lb/>
drücken konnte, war etwas unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn<lb/>
es war kein Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung herbeizuführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_853"> Der Balkon führte in das Selamlik (BegrüßungSzimmer), welches wiederum<lb/>
mit den andern Gemächern des Hanfes in Verbindung stand. Allein dort hinzu¬<lb/>
gehen, wäre gegen alle Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig,<lb/>
als vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu steige», was<lb/>
aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_854"> Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser! löse mir die<lb/>
Räthsel: es fleht geschrieben, der Geist sei gewaltiger als der Körper, &#x2014; und<lb/>
doch hat dieser mehr Gewalt über jenen, als jener über diesen. Wen» der Geist<lb/>
sich zum Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen &#x2014; wenn<lb/>
aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat, so muß die unsterbliche<lb/>
Seele ihm folgen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_855"> Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl ihnen, Laternen<lb/>
zu bereiten, um zu leuchte», und Knittel, zur Abwehr der Hunde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_856"> In wenigen Minuten erschienen acht dickbetnrbante Türken und stiegen mit<lb/>
meinem russischen Freunde den Balkon hinab, auf die angrenzenden, terrassenförmig<lb/>
gebauten Häuser-.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_857"> Ein riesiger Türke, in blutrothen Gewände, führte den Zug, in der Hand,<lb/>
tragend; der zweite Laternenträger ging hinterher, während die übrigen Be¬<lb/>
gleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in die Mitte nahmen, um<lb/>
ihn vor deu wolfähnlichen, von allen Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_858"> Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, üm zu erforschen, ob der richtige An¬<lb/>
haltpunkt gefunden sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_859"> &#x201E;Wessen Dach ist dieses?" fragte der erste Laternenträger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860"> &#x201E;Abdullah's, des Kaufmanns!" erwiederte der zweite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_861"> &#x201E;Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_862"> Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_863"> &#x201E;Wessen Dach ist dieses?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_864"> &#x201E;Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865"> Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und seine Verwand¬<lb/>
ten kehrten nach Achalzich zurück, und ich blieb mit Giorgi allein bei Omar-<lb/>
Effendi.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_867" next="#ID_868"> Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den obstreichen Gärten des Dor¬<lb/>
fes, welche, wie das ganze Land, künstlich durch Kanäle bewässert waren.<lb/>
Auf den dunklen Nasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll<lb/>
hohe Tischscheibe gestellt, und rund herum saßen wir mit untergeschlagenen Beinen.<lb/>
Ein paar der angeseheneren Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] nur mit Mühe durch fortwährenden Genuß der dicken Milch das Lachen unter¬ drücken konnte, war etwas unwohl geworden. Er klagte mir seine Noth, denn es war kein Ausweg zu finden, ohne eine allgemeine Störung herbeizuführen. Der Balkon führte in das Selamlik (BegrüßungSzimmer), welches wiederum mit den andern Gemächern des Hanfes in Verbindung stand. Allein dort hinzu¬ gehen, wäre gegen alle Sitte des Landes gewesen; es blieb sonach nichts übrig, als vom Balkon herab auf die Dächer der angrenzenden Häuser zu steige», was aber wegen der vielen Hunde sehr gefährlich war. Ich wendete mich an Omar-Effendi und sagte: O Weiser! löse mir die Räthsel: es fleht geschrieben, der Geist sei gewaltiger als der Körper, — und doch hat dieser mehr Gewalt über jenen, als jener über diesen. Wen» der Geist sich zum Himmel emporschwingt, so kann er den Körper nicht mitnehmen — wenn aber der Körper seine gewöhnlichsten Bedürfnisse hat, so muß die unsterbliche Seele ihm folgen! Omar-Effendi lächelte, winkte einigen Leuten und befahl ihnen, Laternen zu bereiten, um zu leuchte», und Knittel, zur Abwehr der Hunde. In wenigen Minuten erschienen acht dickbetnrbante Türken und stiegen mit meinem russischen Freunde den Balkon hinab, auf die angrenzenden, terrassenförmig gebauten Häuser-. Ein riesiger Türke, in blutrothen Gewände, führte den Zug, in der Hand, tragend; der zweite Laternenträger ging hinterher, während die übrigen Be¬ gleiter, mit furchtbaren Knitteln bewaffnet, den Russen in die Mitte nahmen, um ihn vor deu wolfähnlichen, von allen Seiten heranstürzenden Hunden zu schützen. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, üm zu erforschen, ob der richtige An¬ haltpunkt gefunden sei. „Wessen Dach ist dieses?" fragte der erste Laternenträger. „Abdullah's, des Kaufmanns!" erwiederte der zweite. „Das ist gefährlich; hier können wir nicht bleiben." Und sie stiegen weiter hinab auf ein ganz niedriges Haus. „Wessen Dach ist dieses?" „Das Dach der Wittwe Ibrahim's, des Schneiders!" Und sie ließen sich nieder auf dem Dache der Wittwe. Am folgenden Tage reiste der Offizier weiter, Jussuf und seine Verwand¬ ten kehrten nach Achalzich zurück, und ich blieb mit Giorgi allein bei Omar- Effendi. Unsere Mahlzeiten hielten wir gewöhnlich in den obstreichen Gärten des Dor¬ fes, welche, wie das ganze Land, künstlich durch Kanäle bewässert waren. Auf den dunklen Nasen wurde ein Teppich gelegt, darüber eine kaum sechs Zoll hohe Tischscheibe gestellt, und rund herum saßen wir mit untergeschlagenen Beinen. Ein paar der angeseheneren Einwohner des Dorfes befanden sich gewöhnlich in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/263>, abgerufen am 27.06.2024.