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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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der erste Eindruck, den ihr Anblick auf mich machte, mit verdoppelter Gewalt zu¬
rück und ich staune fast, wie es mir möglich ward, an jenem Abend die Miene küh¬
ler Höflichkeit gegen Beatrice und den Dottore zu behaupten. T.war mir bisher nur"
ein Gegenstand der Neugierde gewesen; wenn ich ihn jetzt ansah, fiel mir ein un¬
angenehmer Zug nach dem andern aus seinem frühern Leben ein, und mit arg¬
wöhnischen Groll fragte ich mich: Wie kam der froschblntige Weitling, der
berechnende Glücksjäger in den Besitz eines Wesens, das er unmöglich würdigen
kann, das ihm weder Reichthum in's Haus brachte noch Ehrenstellen verschaffte?
Wenn er sie aber liebt, wie vermag er, ohne vor Eisersucht zu sterben, Beatrice
den anbetenden Blicken der italienischen Jngend fortwährend auszusetzen? Ich er¬
sah aus dem Gespräch wie früher aus dem Bericht Mateo's, daß sein Haus in
Neapel, Rom nud Florenz sämmtlichen Patrioten und Künstler" von Rang und
Namen ein Wallfahrtsort war; und daß unter den Pilgern Niemand ungerührt
bleiben konnte, war so klar wie der Mondschein, der aus der duftigen Abendluft
in das matt erleuchtete Zimmer siel. Ein solcher Pilger stand am Fenster und
während ich ein Gespräch mit Beatrice anknüpfte, hing sein Aug' und jede seiner
Mienen mit unverstellter Gluth an ihren Lippen, und wenn er zuweilen ein Wort
dazwischen warf, galt es ihr nud ihr allem. Es war ein uoch bartloser junger
Mann von feiner Haltung und ausdrucksvollen Zügen, den eine Wunde, die ihn
den Arm in der Binde zu tragen zwang, doppelt interessant machte. Er wurde
mir als Marchese M. vorgestellt und gehörte, nach seinen Aeußerungen, zu den
Exaltados. Daß er, trotz seiner Jugend, bereits eine politische Rolle spielte und
nebenbei Verse machte, konnte ihm in Beairice's Augen gewiß nicht schaden.

Ich sehe, Ihr haltet meine Schilderung Beatrice's für eine jeuer Uebertrei¬
bungen, die mau Märchenerzählern mit einem Lächeln zu verzeihen pflegt; und
doch ist das Bild, welches ich von ihr zu entwerfen suchte, so farblos und beschei¬
den! Ihr würdet mir glaube", hättet Ihr sie eine Viertelstunde plaudern gehört.
Mein Mann sagte mir, Sie haben die ganze Welt gesehen, Signor? begann sie
mit jener kindlichen Unwissenheit, die den Töchter" des Südens oft so wohl steht.
-- Das nicht, Signora, aber ein gutes Stück davou. -- O ich hätte nie gedacht,
daß die Welt so schön ist, denn was ich früher, ehe wir Venedig verließen, von
Improvisatoren und Büchern lernte, schien mir eine Fabel. Venedig ist schöner
als die Welt, allein wir haben Vieles nicht, was ich gerne hinverpflanzen möchte.
Wir haben erstens, -- sagte sie an den niedlichen Fingern zählend -- keine leben¬
digen Rosse, die so stolze Echos in den Straßen wecken und so muthig schön aus¬
bäumen, wenn junge Helden darauf in Gefahr und Ruhm hineinreiten, --
hier warf sie in aller Unschuld einen freudigen Blick auf den Marchese -- zwei¬
tens keine Berge. Heilige Jungfrau, wie habe ich die Menschen glücklich geprie¬
sen, die am Fuß der Appeninen wohnen und jeden Augenblick da hinaufsteigen


Grenzboten, l. i8so. z

der erste Eindruck, den ihr Anblick auf mich machte, mit verdoppelter Gewalt zu¬
rück und ich staune fast, wie es mir möglich ward, an jenem Abend die Miene küh¬
ler Höflichkeit gegen Beatrice und den Dottore zu behaupten. T.war mir bisher nur"
ein Gegenstand der Neugierde gewesen; wenn ich ihn jetzt ansah, fiel mir ein un¬
angenehmer Zug nach dem andern aus seinem frühern Leben ein, und mit arg¬
wöhnischen Groll fragte ich mich: Wie kam der froschblntige Weitling, der
berechnende Glücksjäger in den Besitz eines Wesens, das er unmöglich würdigen
kann, das ihm weder Reichthum in's Haus brachte noch Ehrenstellen verschaffte?
Wenn er sie aber liebt, wie vermag er, ohne vor Eisersucht zu sterben, Beatrice
den anbetenden Blicken der italienischen Jngend fortwährend auszusetzen? Ich er¬
sah aus dem Gespräch wie früher aus dem Bericht Mateo's, daß sein Haus in
Neapel, Rom nud Florenz sämmtlichen Patrioten und Künstler» von Rang und
Namen ein Wallfahrtsort war; und daß unter den Pilgern Niemand ungerührt
bleiben konnte, war so klar wie der Mondschein, der aus der duftigen Abendluft
in das matt erleuchtete Zimmer siel. Ein solcher Pilger stand am Fenster und
während ich ein Gespräch mit Beatrice anknüpfte, hing sein Aug' und jede seiner
Mienen mit unverstellter Gluth an ihren Lippen, und wenn er zuweilen ein Wort
dazwischen warf, galt es ihr nud ihr allem. Es war ein uoch bartloser junger
Mann von feiner Haltung und ausdrucksvollen Zügen, den eine Wunde, die ihn
den Arm in der Binde zu tragen zwang, doppelt interessant machte. Er wurde
mir als Marchese M. vorgestellt und gehörte, nach seinen Aeußerungen, zu den
Exaltados. Daß er, trotz seiner Jugend, bereits eine politische Rolle spielte und
nebenbei Verse machte, konnte ihm in Beairice's Augen gewiß nicht schaden.

Ich sehe, Ihr haltet meine Schilderung Beatrice's für eine jeuer Uebertrei¬
bungen, die mau Märchenerzählern mit einem Lächeln zu verzeihen pflegt; und
doch ist das Bild, welches ich von ihr zu entwerfen suchte, so farblos und beschei¬
den! Ihr würdet mir glaube», hättet Ihr sie eine Viertelstunde plaudern gehört.
Mein Mann sagte mir, Sie haben die ganze Welt gesehen, Signor? begann sie
mit jener kindlichen Unwissenheit, die den Töchter» des Südens oft so wohl steht.
— Das nicht, Signora, aber ein gutes Stück davou. — O ich hätte nie gedacht,
daß die Welt so schön ist, denn was ich früher, ehe wir Venedig verließen, von
Improvisatoren und Büchern lernte, schien mir eine Fabel. Venedig ist schöner
als die Welt, allein wir haben Vieles nicht, was ich gerne hinverpflanzen möchte.
Wir haben erstens, — sagte sie an den niedlichen Fingern zählend — keine leben¬
digen Rosse, die so stolze Echos in den Straßen wecken und so muthig schön aus¬
bäumen, wenn junge Helden darauf in Gefahr und Ruhm hineinreiten, —
hier warf sie in aller Unschuld einen freudigen Blick auf den Marchese — zwei¬
tens keine Berge. Heilige Jungfrau, wie habe ich die Menschen glücklich geprie¬
sen, die am Fuß der Appeninen wohnen und jeden Augenblick da hinaufsteigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/25>, abgerufen am 20.06.2024.