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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Die Grundlehre des politischen Idealismus war die Theorie vom Ootrat
8vel"I: ein Staat könne sich nur dann auf einer soliden, vernünftigen Basis con-
stituiren, wenn er auf einem Vertrage beruhe. Dagegen suchte Haller nachzu¬
weisen, daß kein Staat auf einem Vertrage basire, sondern sämmtliche auf der
Gewalt des Schwertes, möge dieses Schwert von einem König und seiner Ge¬
folgschaft, oder von einer Corporation -- wie in Rom und Venedig -- geführt
sein; und daß diese Entstehung und Fortdauer des Staats dnrch den christlichen
Spruch: Gehorche der Obrigkeit die Gewalt über dich hat, sanctionirt sei. Die
Mäßigung dieser absoluten Gewalt gehe uicht ans der Vernunft, nicht ans einem
Vertrage hervor, sondern aus der Religion, welche die wilden Sitten zähmte.
Das Ideal -- deun die Bekämpfung des politischen Idealismus führte auf sehr
natürlichem Wege zu einem, nur umgekehrten politischen Ideal -- das Ideal des
Gegners der Revolution war also eine Reihe kriegerischer Monarchien, die alle ihren
Träger in der Person des Fürsten und seiner Gefolgschaft (Adel und Militär)
haben, und die wieder alle ihren gemeinschaftlichen Boden in der allgemei¬
nen Kirche finden. -- Daß die Konsequenz des conservativen Prinzips zuletzt zu
einer katholischen, wenn anch vielleicht in manchen Beziehungen reformirten Kirche
führt, werden sich die Herren Leo, v. Gerlach u. s. w. wohl selber nicht verschwei¬
gen, wenn sie anch den Zeitpunkt, in dem diese Wiedervereinigung der Kirche
stattfinden soll, vielleicht noch uicht für so nahe halten.

Aus dieser Doctrin erklärt sich auch das Verhalten der aristokratisch-absoluti¬
stisch-hochkirchlichen Partei in Preußen bei der deutscheu Frage. Bekanntlich war
in unserer Revolution neben der Idee des politischen Liberalismus noch eine zweite
als wesentliches Ingredienz eingetreten, die Idee der nothwendigen Einheit zwi¬
schen Staat und Nation. Die Verbindung derselben mit dem constitutionellen
Prinzip, auch wie sie sich noch in der freilich sehr abgeblaßten Nachbildung des
Dreikönigsbündnisses darstellte, mußte zu dem Wunsch führen, die kleinen deutschen
Monarchien wenigstens allmälig in einen constitutionellen Gesammtstaat aufgehen
und von demselben absorbiren zu lassen. Die erste, mehr idealistische Formel die¬
ses Wunsches war: friedliche Eroberung der Einzelstaaten, namentlich Oestreichs
und Preußens durch den neuen deutschen Staat; die zweite, realistische: friedliche
Eroberung der Einzelstaaten mit Ausschluß Oestreichs durch das in constitutionel-
len Sinn regenerirte Preußen.

Beide Formen müssen der Partei des organischen Naturwuchses zuwider sein.
Wir müssen das fest im Auge halten, um uns alle Illusionen darüber zu vertrei¬
ben, als ob auf dem Reichstage zu Erfurt, wo nach der Niederlage unserer Par¬
tei durch die Januar-Proposttiouen jene Fraction die herrschende ist, irgend etwas
für die Verwirklichung des Bundesstaates geschehen könne. Weil dies die Frage
ist, welche das Interesse des Tages ausschließlich in Anspruch nimmt, lasse ich die
übrigen Seilen des arti-idealistischen Idealismus hier vorläufig bei Seite liegen,


Die Grundlehre des politischen Idealismus war die Theorie vom Ootrat
8vel»I: ein Staat könne sich nur dann auf einer soliden, vernünftigen Basis con-
stituiren, wenn er auf einem Vertrage beruhe. Dagegen suchte Haller nachzu¬
weisen, daß kein Staat auf einem Vertrage basire, sondern sämmtliche auf der
Gewalt des Schwertes, möge dieses Schwert von einem König und seiner Ge¬
folgschaft, oder von einer Corporation — wie in Rom und Venedig — geführt
sein; und daß diese Entstehung und Fortdauer des Staats dnrch den christlichen
Spruch: Gehorche der Obrigkeit die Gewalt über dich hat, sanctionirt sei. Die
Mäßigung dieser absoluten Gewalt gehe uicht ans der Vernunft, nicht ans einem
Vertrage hervor, sondern aus der Religion, welche die wilden Sitten zähmte.
Das Ideal — deun die Bekämpfung des politischen Idealismus führte auf sehr
natürlichem Wege zu einem, nur umgekehrten politischen Ideal — das Ideal des
Gegners der Revolution war also eine Reihe kriegerischer Monarchien, die alle ihren
Träger in der Person des Fürsten und seiner Gefolgschaft (Adel und Militär)
haben, und die wieder alle ihren gemeinschaftlichen Boden in der allgemei¬
nen Kirche finden. — Daß die Konsequenz des conservativen Prinzips zuletzt zu
einer katholischen, wenn anch vielleicht in manchen Beziehungen reformirten Kirche
führt, werden sich die Herren Leo, v. Gerlach u. s. w. wohl selber nicht verschwei¬
gen, wenn sie anch den Zeitpunkt, in dem diese Wiedervereinigung der Kirche
stattfinden soll, vielleicht noch uicht für so nahe halten.

Aus dieser Doctrin erklärt sich auch das Verhalten der aristokratisch-absoluti¬
stisch-hochkirchlichen Partei in Preußen bei der deutscheu Frage. Bekanntlich war
in unserer Revolution neben der Idee des politischen Liberalismus noch eine zweite
als wesentliches Ingredienz eingetreten, die Idee der nothwendigen Einheit zwi¬
schen Staat und Nation. Die Verbindung derselben mit dem constitutionellen
Prinzip, auch wie sie sich noch in der freilich sehr abgeblaßten Nachbildung des
Dreikönigsbündnisses darstellte, mußte zu dem Wunsch führen, die kleinen deutschen
Monarchien wenigstens allmälig in einen constitutionellen Gesammtstaat aufgehen
und von demselben absorbiren zu lassen. Die erste, mehr idealistische Formel die¬
ses Wunsches war: friedliche Eroberung der Einzelstaaten, namentlich Oestreichs
und Preußens durch den neuen deutschen Staat; die zweite, realistische: friedliche
Eroberung der Einzelstaaten mit Ausschluß Oestreichs durch das in constitutionel-
len Sinn regenerirte Preußen.

Beide Formen müssen der Partei des organischen Naturwuchses zuwider sein.
Wir müssen das fest im Auge halten, um uns alle Illusionen darüber zu vertrei¬
ben, als ob auf dem Reichstage zu Erfurt, wo nach der Niederlage unserer Par¬
tei durch die Januar-Proposttiouen jene Fraction die herrschende ist, irgend etwas
für die Verwirklichung des Bundesstaates geschehen könne. Weil dies die Frage
ist, welche das Interesse des Tages ausschließlich in Anspruch nimmt, lasse ich die
übrigen Seilen des arti-idealistischen Idealismus hier vorläufig bei Seite liegen,


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[0254] Die Grundlehre des politischen Idealismus war die Theorie vom Ootrat 8vel»I: ein Staat könne sich nur dann auf einer soliden, vernünftigen Basis con- stituiren, wenn er auf einem Vertrage beruhe. Dagegen suchte Haller nachzu¬ weisen, daß kein Staat auf einem Vertrage basire, sondern sämmtliche auf der Gewalt des Schwertes, möge dieses Schwert von einem König und seiner Ge¬ folgschaft, oder von einer Corporation — wie in Rom und Venedig — geführt sein; und daß diese Entstehung und Fortdauer des Staats dnrch den christlichen Spruch: Gehorche der Obrigkeit die Gewalt über dich hat, sanctionirt sei. Die Mäßigung dieser absoluten Gewalt gehe uicht ans der Vernunft, nicht ans einem Vertrage hervor, sondern aus der Religion, welche die wilden Sitten zähmte. Das Ideal — deun die Bekämpfung des politischen Idealismus führte auf sehr natürlichem Wege zu einem, nur umgekehrten politischen Ideal — das Ideal des Gegners der Revolution war also eine Reihe kriegerischer Monarchien, die alle ihren Träger in der Person des Fürsten und seiner Gefolgschaft (Adel und Militär) haben, und die wieder alle ihren gemeinschaftlichen Boden in der allgemei¬ nen Kirche finden. — Daß die Konsequenz des conservativen Prinzips zuletzt zu einer katholischen, wenn anch vielleicht in manchen Beziehungen reformirten Kirche führt, werden sich die Herren Leo, v. Gerlach u. s. w. wohl selber nicht verschwei¬ gen, wenn sie anch den Zeitpunkt, in dem diese Wiedervereinigung der Kirche stattfinden soll, vielleicht noch uicht für so nahe halten. Aus dieser Doctrin erklärt sich auch das Verhalten der aristokratisch-absoluti¬ stisch-hochkirchlichen Partei in Preußen bei der deutscheu Frage. Bekanntlich war in unserer Revolution neben der Idee des politischen Liberalismus noch eine zweite als wesentliches Ingredienz eingetreten, die Idee der nothwendigen Einheit zwi¬ schen Staat und Nation. Die Verbindung derselben mit dem constitutionellen Prinzip, auch wie sie sich noch in der freilich sehr abgeblaßten Nachbildung des Dreikönigsbündnisses darstellte, mußte zu dem Wunsch führen, die kleinen deutschen Monarchien wenigstens allmälig in einen constitutionellen Gesammtstaat aufgehen und von demselben absorbiren zu lassen. Die erste, mehr idealistische Formel die¬ ses Wunsches war: friedliche Eroberung der Einzelstaaten, namentlich Oestreichs und Preußens durch den neuen deutschen Staat; die zweite, realistische: friedliche Eroberung der Einzelstaaten mit Ausschluß Oestreichs durch das in constitutionel- len Sinn regenerirte Preußen. Beide Formen müssen der Partei des organischen Naturwuchses zuwider sein. Wir müssen das fest im Auge halten, um uns alle Illusionen darüber zu vertrei¬ ben, als ob auf dem Reichstage zu Erfurt, wo nach der Niederlage unserer Par¬ tei durch die Januar-Proposttiouen jene Fraction die herrschende ist, irgend etwas für die Verwirklichung des Bundesstaates geschehen könne. Weil dies die Frage ist, welche das Interesse des Tages ausschließlich in Anspruch nimmt, lasse ich die übrigen Seilen des arti-idealistischen Idealismus hier vorläufig bei Seite liegen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/254>, abgerufen am 27.06.2024.