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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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in der bestimmten Hoffnung, bei der begeisterten Redseligkeit, welche die Partei
seit ihren neuesten Erfolgen entfaltet, sehr bald durch eine bestimmte Frage wieder
darauf zurückgeführt zu werden. -- Zunächst einen Blick auf die gegenwärtige
Lage Preußens.

Der Form nach ist die Verfassung, in welcher die künftige Entwickelung Preu¬
ßens ihren Boden finden soll, durch deu Eid des Königs festgestellt; freilich ein
uicht wenig bemerkenswerthes Ereignis), wenn man sich an die noch nicht vor
vollen drei Jahren ertheilte Versicherung in Beziehung ans das beschriebene Blatt,
welches sich niemals zwischen Gott und das Volk stellen sollte, ins Gedächtniß
ruft. Aber es walten doch so manche Umstände dabei ob, welche der Bedeutung
dieses feierlichen Acts Abbruch zu thun geeignet sind. Der königliche Erlaß in
Beziehung auf die Majorate, und der Vorbehalt, unter welchem eine dem König
sehr nahe stehende Partei sich zu dem Eide verstanden hat; die Nichttheilnahme
der Demokraten, die täglich mehr hervortretende Gleichgiltigkeit des Volks gegen
das constitutionelle Wesen überhaupt, das alles ist um so bedenklicher, da unsere
Partei wahrhaftig keine Ursache hat, sich für diese Verfassung in besondere Be¬
geisterung zu versetzen. Jener Vorbehalt des Herrn von Gerlach und seiner po¬
litischen Freunde verdient alle Aufmerksamkeit; uicht als ob ich glaubte, Herr von
Gerlach werde persönlich einmal das Ruder des Staats tu die Hand nehmen,
dazu ist er zu vorlaut, zu doctrinär, zu geistreich, mit einem Wort, zu wenig ge¬
eignet, die königliche Persönlichkeit zu ergänzen. Aber die Partei könnte doch in
Kurzem an die Spitze der Verwaltung berufen werden, und da darf man über
den Vorwürfen, mit welchen man den Führer der Rechten wegen seiner casuisti-
fchen Umdeutung eines heiligen Wortes überhäuft hat, nicht vergessen, daß in fei¬
ner Auffassung neben vielem Falschen auch etwas Wahres liegt. Zuerst das
Falsche. Herr von Gerlach gibt sich das Ansehen, als halte er die Verfassung
eben für ein Gesetz wie die andern Gesetze auch, zu dessen gewissenhafter Beobach¬
tung man sich wohl verpflichten könne, so weit es nicht anderen, ebenfalls beste¬
henden Rechten entgegenträte, und so lange es nicht abgeschafft sei, was wenn mait-
sehr scrupulös zu Werke gehen wolle, auf dem in dem Gesetz selbst vorgeschriebenen
Weg, aber auch wohl unter Umständen durch eine rettende That geschehen könne.
-- Diese Ausfassung ist eben so falsch als unsittlich. Die Verfassung ist, trotz
der wunderlichen Art, wie sie entstanden ist, in ihrem letzten Schlnßact ein Ver¬
trag zwischen der Krone und der Nation, der alle früher bestehenden Gesetze, so
weit sie ihm widersprechen , aufhebt; und wer sie außerhalb des gesetzlich vorge¬
sehenen Weges aufzuheben oder auch'nur zu verletzen versuchte, nachdem er durch
jenen Act sie anerkennt, macht sich des Meineids schuldig. -- Aber leider kann
ich in einem andern Punkt Herrn von Gerlach nicht ganz Unrecht geben. Er er¬
klärt nämlich die Verfassung für ein Gewebe von Widersprüchen, nicht nur in
Beziehung ans die einzelnen Bestimmungen, sondern auf die leitenden Principien.


in der bestimmten Hoffnung, bei der begeisterten Redseligkeit, welche die Partei
seit ihren neuesten Erfolgen entfaltet, sehr bald durch eine bestimmte Frage wieder
darauf zurückgeführt zu werden. — Zunächst einen Blick auf die gegenwärtige
Lage Preußens.

Der Form nach ist die Verfassung, in welcher die künftige Entwickelung Preu¬
ßens ihren Boden finden soll, durch deu Eid des Königs festgestellt; freilich ein
uicht wenig bemerkenswerthes Ereignis), wenn man sich an die noch nicht vor
vollen drei Jahren ertheilte Versicherung in Beziehung ans das beschriebene Blatt,
welches sich niemals zwischen Gott und das Volk stellen sollte, ins Gedächtniß
ruft. Aber es walten doch so manche Umstände dabei ob, welche der Bedeutung
dieses feierlichen Acts Abbruch zu thun geeignet sind. Der königliche Erlaß in
Beziehung auf die Majorate, und der Vorbehalt, unter welchem eine dem König
sehr nahe stehende Partei sich zu dem Eide verstanden hat; die Nichttheilnahme
der Demokraten, die täglich mehr hervortretende Gleichgiltigkeit des Volks gegen
das constitutionelle Wesen überhaupt, das alles ist um so bedenklicher, da unsere
Partei wahrhaftig keine Ursache hat, sich für diese Verfassung in besondere Be¬
geisterung zu versetzen. Jener Vorbehalt des Herrn von Gerlach und seiner po¬
litischen Freunde verdient alle Aufmerksamkeit; uicht als ob ich glaubte, Herr von
Gerlach werde persönlich einmal das Ruder des Staats tu die Hand nehmen,
dazu ist er zu vorlaut, zu doctrinär, zu geistreich, mit einem Wort, zu wenig ge¬
eignet, die königliche Persönlichkeit zu ergänzen. Aber die Partei könnte doch in
Kurzem an die Spitze der Verwaltung berufen werden, und da darf man über
den Vorwürfen, mit welchen man den Führer der Rechten wegen seiner casuisti-
fchen Umdeutung eines heiligen Wortes überhäuft hat, nicht vergessen, daß in fei¬
ner Auffassung neben vielem Falschen auch etwas Wahres liegt. Zuerst das
Falsche. Herr von Gerlach gibt sich das Ansehen, als halte er die Verfassung
eben für ein Gesetz wie die andern Gesetze auch, zu dessen gewissenhafter Beobach¬
tung man sich wohl verpflichten könne, so weit es nicht anderen, ebenfalls beste¬
henden Rechten entgegenträte, und so lange es nicht abgeschafft sei, was wenn mait-
sehr scrupulös zu Werke gehen wolle, auf dem in dem Gesetz selbst vorgeschriebenen
Weg, aber auch wohl unter Umständen durch eine rettende That geschehen könne.
— Diese Ausfassung ist eben so falsch als unsittlich. Die Verfassung ist, trotz
der wunderlichen Art, wie sie entstanden ist, in ihrem letzten Schlnßact ein Ver¬
trag zwischen der Krone und der Nation, der alle früher bestehenden Gesetze, so
weit sie ihm widersprechen , aufhebt; und wer sie außerhalb des gesetzlich vorge¬
sehenen Weges aufzuheben oder auch'nur zu verletzen versuchte, nachdem er durch
jenen Act sie anerkennt, macht sich des Meineids schuldig. — Aber leider kann
ich in einem andern Punkt Herrn von Gerlach nicht ganz Unrecht geben. Er er¬
klärt nämlich die Verfassung für ein Gewebe von Widersprüchen, nicht nur in
Beziehung ans die einzelnen Bestimmungen, sondern auf die leitenden Principien.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/255>, abgerufen am 27.06.2024.