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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Doctrinär! Doctrinär! In Preußen ist kein Boden für die Doctrinärs! Das
Volk mag sie nicht, das Land will sie nicht, der König liebt sie nicht, Gott lei¬
det sie nicht.

Ist dieser Grund, uur von einer bestimmten Partei den Spitznamen der Doc¬
trinärs zu gebrauche", ein äußerer und zufälliger, so fehlt es doch nicht an
Gründe", die mehr i" das Wesen der Sache eingehen. Die Doctrinärs der bei-
beiden extremen Seiten verlangen nämlich nicht, daß man ihren Räsonne-
ments mit dem Verstände folgt, daß man sie wägt, sie geben vielmehr ihre Argu¬
mente wie eine geschlagene Münze aus, deren Gepräge man auf den ersten Blick
für richtig erkennen muß. Sie fordern nicht Erkenntniß, sondern Glauben. Sie
haben eine bestimmte Zahl von Dogmen und Vorstellungen, die sie durcheinander
schütteln und zu einer pikanten, in der Regel etwas humoristischen Composition
verarbeiten. "Wer nicht an Christum glaubt, der kann uns nicht verstehen! der
darf uus nicht verstehen! denn unsere Mystik ist nur den Eingeweihten klar!
Wenn die Profanen uns folgen, so thun sie es aus Furcht, und so soll eS auch
sein. Wir freuen uns des Geistes, den wir vor der Canaille voraus haben, für
die Canaille haben wir unser herrliches Heer." So sprechen die schwarzweißen
Doctrinärs. Das imponirt und schmeichelt in einem gewissen Sinn, denn es läßt
die relative Berechtigung des Gegners gelten, so wie der Gott der Kirchenväter
Lucifer sanctionirt, indem er ihm eine höllische Ewigkeit zu Theil werden läßt.
Die rothen Doctrinärs räsonniren nicht viel anders. "Wer nicht den Glauben
und die Begeisterung der Freiheit hat, der kann uns nicht verstehen; wer nicht
überzeugt ist, daß mit dem 24. Februar 1848 eine neue Weltgeschichte beginnt,
der muß die Freiheit hassen, und wer diesen Haß offen ausspricht, den achten
wir, obgleich wir ihn hängen. Die "Trimmers" aber, die uns nicht einmal die Ehre
ihres Hasses angedeihen lassen -- was wir zu diesen sagen sollen, wissen wir gar
nicht, sie haben keinen Boden im Volke." So sind die beiden Herren vollkom¬
men geeignet einander Complimente zu machen, sie erklären, daß sie einander nicht
verstehen können, nicht verstehen dürfen, und verstehen einander vollkommen, wie
zwei confuse Genies, die einen Wechsel-Monolog in einem doppelten Kauderwelsch
halten. Auf beiden Seiten Inspiration und Offenbarung.

Wir erfreue" uns solcher Inspirationen und Offenbarungen keineswegs. Was
wir haben, die Logik, vindiciren wir uns nicht als etwas Apartes, wir sind viel¬
mehr der Ansicht, daß es mir Eine Logik in der Welt gibt. Wer unsern De¬
duktionen nicht folgt, in dem sehen wir keinen Teufel, sondern höchstens, wenn
wir ungeduldig werden, einen Dummkopf. Die einen Herren haben nach ihrer Ver¬
sicherung das Volk, die Anderen das Land hinter sich, und außerdem das herr¬
liche Heer. Wir wissen nicht, was wir hinter uns haben, es ist uns auch ziem¬
lich einerlei; allein, als freie Männer, stellen wir uns den trunkner Propheten
gegenüber, die uns unaufhörlich zurufen: Wenn das Volk (oder das Land) außer


Doctrinär! Doctrinär! In Preußen ist kein Boden für die Doctrinärs! Das
Volk mag sie nicht, das Land will sie nicht, der König liebt sie nicht, Gott lei¬
det sie nicht.

Ist dieser Grund, uur von einer bestimmten Partei den Spitznamen der Doc¬
trinärs zu gebrauche», ein äußerer und zufälliger, so fehlt es doch nicht an
Gründe», die mehr i» das Wesen der Sache eingehen. Die Doctrinärs der bei-
beiden extremen Seiten verlangen nämlich nicht, daß man ihren Räsonne-
ments mit dem Verstände folgt, daß man sie wägt, sie geben vielmehr ihre Argu¬
mente wie eine geschlagene Münze aus, deren Gepräge man auf den ersten Blick
für richtig erkennen muß. Sie fordern nicht Erkenntniß, sondern Glauben. Sie
haben eine bestimmte Zahl von Dogmen und Vorstellungen, die sie durcheinander
schütteln und zu einer pikanten, in der Regel etwas humoristischen Composition
verarbeiten. „Wer nicht an Christum glaubt, der kann uns nicht verstehen! der
darf uus nicht verstehen! denn unsere Mystik ist nur den Eingeweihten klar!
Wenn die Profanen uns folgen, so thun sie es aus Furcht, und so soll eS auch
sein. Wir freuen uns des Geistes, den wir vor der Canaille voraus haben, für
die Canaille haben wir unser herrliches Heer." So sprechen die schwarzweißen
Doctrinärs. Das imponirt und schmeichelt in einem gewissen Sinn, denn es läßt
die relative Berechtigung des Gegners gelten, so wie der Gott der Kirchenväter
Lucifer sanctionirt, indem er ihm eine höllische Ewigkeit zu Theil werden läßt.
Die rothen Doctrinärs räsonniren nicht viel anders. „Wer nicht den Glauben
und die Begeisterung der Freiheit hat, der kann uns nicht verstehen; wer nicht
überzeugt ist, daß mit dem 24. Februar 1848 eine neue Weltgeschichte beginnt,
der muß die Freiheit hassen, und wer diesen Haß offen ausspricht, den achten
wir, obgleich wir ihn hängen. Die „Trimmers" aber, die uns nicht einmal die Ehre
ihres Hasses angedeihen lassen — was wir zu diesen sagen sollen, wissen wir gar
nicht, sie haben keinen Boden im Volke." So sind die beiden Herren vollkom¬
men geeignet einander Complimente zu machen, sie erklären, daß sie einander nicht
verstehen können, nicht verstehen dürfen, und verstehen einander vollkommen, wie
zwei confuse Genies, die einen Wechsel-Monolog in einem doppelten Kauderwelsch
halten. Auf beiden Seiten Inspiration und Offenbarung.

Wir erfreue» uns solcher Inspirationen und Offenbarungen keineswegs. Was
wir haben, die Logik, vindiciren wir uns nicht als etwas Apartes, wir sind viel¬
mehr der Ansicht, daß es mir Eine Logik in der Welt gibt. Wer unsern De¬
duktionen nicht folgt, in dem sehen wir keinen Teufel, sondern höchstens, wenn
wir ungeduldig werden, einen Dummkopf. Die einen Herren haben nach ihrer Ver¬
sicherung das Volk, die Anderen das Land hinter sich, und außerdem das herr¬
liche Heer. Wir wissen nicht, was wir hinter uns haben, es ist uns auch ziem¬
lich einerlei; allein, als freie Männer, stellen wir uns den trunkner Propheten
gegenüber, die uns unaufhörlich zurufen: Wenn das Volk (oder das Land) außer


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[0252] Doctrinär! Doctrinär! In Preußen ist kein Boden für die Doctrinärs! Das Volk mag sie nicht, das Land will sie nicht, der König liebt sie nicht, Gott lei¬ det sie nicht. Ist dieser Grund, uur von einer bestimmten Partei den Spitznamen der Doc¬ trinärs zu gebrauche», ein äußerer und zufälliger, so fehlt es doch nicht an Gründe», die mehr i» das Wesen der Sache eingehen. Die Doctrinärs der bei- beiden extremen Seiten verlangen nämlich nicht, daß man ihren Räsonne- ments mit dem Verstände folgt, daß man sie wägt, sie geben vielmehr ihre Argu¬ mente wie eine geschlagene Münze aus, deren Gepräge man auf den ersten Blick für richtig erkennen muß. Sie fordern nicht Erkenntniß, sondern Glauben. Sie haben eine bestimmte Zahl von Dogmen und Vorstellungen, die sie durcheinander schütteln und zu einer pikanten, in der Regel etwas humoristischen Composition verarbeiten. „Wer nicht an Christum glaubt, der kann uns nicht verstehen! der darf uus nicht verstehen! denn unsere Mystik ist nur den Eingeweihten klar! Wenn die Profanen uns folgen, so thun sie es aus Furcht, und so soll eS auch sein. Wir freuen uns des Geistes, den wir vor der Canaille voraus haben, für die Canaille haben wir unser herrliches Heer." So sprechen die schwarzweißen Doctrinärs. Das imponirt und schmeichelt in einem gewissen Sinn, denn es läßt die relative Berechtigung des Gegners gelten, so wie der Gott der Kirchenväter Lucifer sanctionirt, indem er ihm eine höllische Ewigkeit zu Theil werden läßt. Die rothen Doctrinärs räsonniren nicht viel anders. „Wer nicht den Glauben und die Begeisterung der Freiheit hat, der kann uns nicht verstehen; wer nicht überzeugt ist, daß mit dem 24. Februar 1848 eine neue Weltgeschichte beginnt, der muß die Freiheit hassen, und wer diesen Haß offen ausspricht, den achten wir, obgleich wir ihn hängen. Die „Trimmers" aber, die uns nicht einmal die Ehre ihres Hasses angedeihen lassen — was wir zu diesen sagen sollen, wissen wir gar nicht, sie haben keinen Boden im Volke." So sind die beiden Herren vollkom¬ men geeignet einander Complimente zu machen, sie erklären, daß sie einander nicht verstehen können, nicht verstehen dürfen, und verstehen einander vollkommen, wie zwei confuse Genies, die einen Wechsel-Monolog in einem doppelten Kauderwelsch halten. Auf beiden Seiten Inspiration und Offenbarung. Wir erfreue» uns solcher Inspirationen und Offenbarungen keineswegs. Was wir haben, die Logik, vindiciren wir uns nicht als etwas Apartes, wir sind viel¬ mehr der Ansicht, daß es mir Eine Logik in der Welt gibt. Wer unsern De¬ duktionen nicht folgt, in dem sehen wir keinen Teufel, sondern höchstens, wenn wir ungeduldig werden, einen Dummkopf. Die einen Herren haben nach ihrer Ver¬ sicherung das Volk, die Anderen das Land hinter sich, und außerdem das herr¬ liche Heer. Wir wissen nicht, was wir hinter uns haben, es ist uns auch ziem¬ lich einerlei; allein, als freie Männer, stellen wir uns den trunkner Propheten gegenüber, die uns unaufhörlich zurufen: Wenn das Volk (oder das Land) außer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/252>, abgerufen am 27.06.2024.