Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hinter uns." -- Ist der Biedermann Militär, so beruft er sich weder , auf das
Land, noch auf das Volk, sondern ans den Willen Sr. Majestät, und ist darin
wenigstens handgreiflicher und präciser, obgleich auch da noch immer die Frage
bleibt, ob sich der Wille Sr. Majestät nicht gleichfalls auf sehr bestimmte Jnfluen¬
zen zurückführen läßt, die selbst ein loyaler Unterthan einer Kritik zu unterziehen
das Recht hat. -- Trägt er den Johannesscheitel und die großen Pastorstiefeln, so
beruft er sich auf den unergründlichen Rathschluß Gottes, und wird ebenso auf¬
gebracht darüber sein, wenn man ihn auffordert, zu beweisen, daß das wirklich
der Rathschluß Gottes sei, als der radikale Biedermann, wenn er sein Volk, und
der Tory, wenn er sein Land specialisiren soll.

Somit wäre Alles in der schönsten Ordnung, wenn sich nur die Sophistik
nicht auch in das Lager der Heiligen eingeschlichen hätte! wenn das doctrinäre
Unkraut, das im preußischen Boden nicht gedeihen soll, nur nicht auch wild unter
dem conservativen speit, wild unter dem demokratischen Hafer aufwüchse. Haben
wir es doch Stunden lang mit anhören müssen, daß Herr v. Gerlach, oder Herr
Stahl ihre Räsonnements über Kirche und Staat vortrugen, Principien entwickel¬
ten und Schlüsse daraus zogen, so gut und so schlecht sie anch waren. Genug,
sie begnügten sich nicht damit, etwas zu wollen und diesen Willen auf den souve-
ränen Willen des Volks, des Landes, des Königs oder Gottes zu stütze", son¬
dern sie speculirten, sie spielten die Professoren. Und solche Näsouneurs gab es
auch auf der linken. Warum gibt man nur uns den Professortitel und nicht auch
den Schwarzen und den Rothen?

Der Grund ist ein doppelter, ein äußerer und ein innerer.

Der christlich - germanische Staat, der sogar in seinen Schimpfwörtern unpro-
ductiv ist, hat nämlich die Doctrinärs sowie die Bourgeoisie dem ruchlosen Volke
der Wälschen abgelernt. Die französischen Ultras zur Zeit der Restauration nann-
ten die Liberalen, welche aus dem Begriff des constitutionellen Staats die Wider¬
legung des gouvernementalen Absolutismus schöpften, Doctrinärs, und dieser Name
blieb ihnen, als sich nach der Julirevolution die oppositionelle Partei, den halb¬
republikanischen Tendenzen gegenüber in eine reactionäre verwandelte. Da nun
diese Partei gegen die Absolutisten wie gegen die Republikaner die Idee der con¬
stitutionellen Monarchie vertrat, wie sie sich besonders in Großbritannien ausge"
bildet hatte, so nannte man in Preußen die constitutionelle Partei gleichfalls
Doctrinärs, und that es um so lieber, als die ungeschulte souveräne Caprice eines
Schlosse!, Held u. s. w. einerseits, Manteuffel, Kleist-Retzow u. s. w andererseits,
durch die Gelehrsamkeit eines Dahlmann, Gervinus u. s. w. gedrückt und belei--
tige wurde. Im Lande der Kröpfe pflegt die Jugend einem Durchreisenden, der
sich keines derartigen Halsschmuckes erfreut, mit dem spottenden Geschrei nachzu¬
laufen: Langhals! Langhals! So riefen die, ungelehrten Patrioten von Links
und von Rechts, wo sie irgend einen Vortrag hörten, der nach Bildung schmeckte:


31*

hinter uns." — Ist der Biedermann Militär, so beruft er sich weder , auf das
Land, noch auf das Volk, sondern ans den Willen Sr. Majestät, und ist darin
wenigstens handgreiflicher und präciser, obgleich auch da noch immer die Frage
bleibt, ob sich der Wille Sr. Majestät nicht gleichfalls auf sehr bestimmte Jnfluen¬
zen zurückführen läßt, die selbst ein loyaler Unterthan einer Kritik zu unterziehen
das Recht hat. — Trägt er den Johannesscheitel und die großen Pastorstiefeln, so
beruft er sich auf den unergründlichen Rathschluß Gottes, und wird ebenso auf¬
gebracht darüber sein, wenn man ihn auffordert, zu beweisen, daß das wirklich
der Rathschluß Gottes sei, als der radikale Biedermann, wenn er sein Volk, und
der Tory, wenn er sein Land specialisiren soll.

Somit wäre Alles in der schönsten Ordnung, wenn sich nur die Sophistik
nicht auch in das Lager der Heiligen eingeschlichen hätte! wenn das doctrinäre
Unkraut, das im preußischen Boden nicht gedeihen soll, nur nicht auch wild unter
dem conservativen speit, wild unter dem demokratischen Hafer aufwüchse. Haben
wir es doch Stunden lang mit anhören müssen, daß Herr v. Gerlach, oder Herr
Stahl ihre Räsonnements über Kirche und Staat vortrugen, Principien entwickel¬
ten und Schlüsse daraus zogen, so gut und so schlecht sie anch waren. Genug,
sie begnügten sich nicht damit, etwas zu wollen und diesen Willen auf den souve-
ränen Willen des Volks, des Landes, des Königs oder Gottes zu stütze», son¬
dern sie speculirten, sie spielten die Professoren. Und solche Näsouneurs gab es
auch auf der linken. Warum gibt man nur uns den Professortitel und nicht auch
den Schwarzen und den Rothen?

Der Grund ist ein doppelter, ein äußerer und ein innerer.

Der christlich - germanische Staat, der sogar in seinen Schimpfwörtern unpro-
ductiv ist, hat nämlich die Doctrinärs sowie die Bourgeoisie dem ruchlosen Volke
der Wälschen abgelernt. Die französischen Ultras zur Zeit der Restauration nann-
ten die Liberalen, welche aus dem Begriff des constitutionellen Staats die Wider¬
legung des gouvernementalen Absolutismus schöpften, Doctrinärs, und dieser Name
blieb ihnen, als sich nach der Julirevolution die oppositionelle Partei, den halb¬
republikanischen Tendenzen gegenüber in eine reactionäre verwandelte. Da nun
diese Partei gegen die Absolutisten wie gegen die Republikaner die Idee der con¬
stitutionellen Monarchie vertrat, wie sie sich besonders in Großbritannien ausge»
bildet hatte, so nannte man in Preußen die constitutionelle Partei gleichfalls
Doctrinärs, und that es um so lieber, als die ungeschulte souveräne Caprice eines
Schlosse!, Held u. s. w. einerseits, Manteuffel, Kleist-Retzow u. s. w andererseits,
durch die Gelehrsamkeit eines Dahlmann, Gervinus u. s. w. gedrückt und belei--
tige wurde. Im Lande der Kröpfe pflegt die Jugend einem Durchreisenden, der
sich keines derartigen Halsschmuckes erfreut, mit dem spottenden Geschrei nachzu¬
laufen: Langhals! Langhals! So riefen die, ungelehrten Patrioten von Links
und von Rechts, wo sie irgend einen Vortrag hörten, der nach Bildung schmeckte:


31*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93074"/>
          <p xml:id="ID_801" prev="#ID_800"> hinter uns." &#x2014; Ist der Biedermann Militär, so beruft er sich weder , auf das<lb/>
Land, noch auf das Volk, sondern ans den Willen Sr. Majestät, und ist darin<lb/>
wenigstens handgreiflicher und präciser, obgleich auch da noch immer die Frage<lb/>
bleibt, ob sich der Wille Sr. Majestät nicht gleichfalls auf sehr bestimmte Jnfluen¬<lb/>
zen zurückführen läßt, die selbst ein loyaler Unterthan einer Kritik zu unterziehen<lb/>
das Recht hat. &#x2014; Trägt er den Johannesscheitel und die großen Pastorstiefeln, so<lb/>
beruft er sich auf den unergründlichen Rathschluß Gottes, und wird ebenso auf¬<lb/>
gebracht darüber sein, wenn man ihn auffordert, zu beweisen, daß das wirklich<lb/>
der Rathschluß Gottes sei, als der radikale Biedermann, wenn er sein Volk, und<lb/>
der Tory, wenn er sein Land specialisiren soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_802"> Somit wäre Alles in der schönsten Ordnung, wenn sich nur die Sophistik<lb/>
nicht auch in das Lager der Heiligen eingeschlichen hätte! wenn das doctrinäre<lb/>
Unkraut, das im preußischen Boden nicht gedeihen soll, nur nicht auch wild unter<lb/>
dem conservativen speit, wild unter dem demokratischen Hafer aufwüchse. Haben<lb/>
wir es doch Stunden lang mit anhören müssen, daß Herr v. Gerlach, oder Herr<lb/>
Stahl ihre Räsonnements über Kirche und Staat vortrugen, Principien entwickel¬<lb/>
ten und Schlüsse daraus zogen, so gut und so schlecht sie anch waren. Genug,<lb/>
sie begnügten sich nicht damit, etwas zu wollen und diesen Willen auf den souve-<lb/>
ränen Willen des Volks, des Landes, des Königs oder Gottes zu stütze», son¬<lb/>
dern sie speculirten, sie spielten die Professoren. Und solche Näsouneurs gab es<lb/>
auch auf der linken. Warum gibt man nur uns den Professortitel und nicht auch<lb/>
den Schwarzen und den Rothen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> Der Grund ist ein doppelter, ein äußerer und ein innerer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804" next="#ID_805"> Der christlich - germanische Staat, der sogar in seinen Schimpfwörtern unpro-<lb/>
ductiv ist, hat nämlich die Doctrinärs sowie die Bourgeoisie dem ruchlosen Volke<lb/>
der Wälschen abgelernt. Die französischen Ultras zur Zeit der Restauration nann-<lb/>
ten die Liberalen, welche aus dem Begriff des constitutionellen Staats die Wider¬<lb/>
legung des gouvernementalen Absolutismus schöpften, Doctrinärs, und dieser Name<lb/>
blieb ihnen, als sich nach der Julirevolution die oppositionelle Partei, den halb¬<lb/>
republikanischen Tendenzen gegenüber in eine reactionäre verwandelte. Da nun<lb/>
diese Partei gegen die Absolutisten wie gegen die Republikaner die Idee der con¬<lb/>
stitutionellen Monarchie vertrat, wie sie sich besonders in Großbritannien ausge»<lb/>
bildet hatte, so nannte man in Preußen die constitutionelle Partei gleichfalls<lb/>
Doctrinärs, und that es um so lieber, als die ungeschulte souveräne Caprice eines<lb/>
Schlosse!, Held u. s. w. einerseits, Manteuffel, Kleist-Retzow u. s. w andererseits,<lb/>
durch die Gelehrsamkeit eines Dahlmann, Gervinus u. s. w. gedrückt und belei--<lb/>
tige wurde. Im Lande der Kröpfe pflegt die Jugend einem Durchreisenden, der<lb/>
sich keines derartigen Halsschmuckes erfreut, mit dem spottenden Geschrei nachzu¬<lb/>
laufen: Langhals! Langhals! So riefen die, ungelehrten Patrioten von Links<lb/>
und von Rechts, wo sie irgend einen Vortrag hörten, der nach Bildung schmeckte:</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 31*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0251] hinter uns." — Ist der Biedermann Militär, so beruft er sich weder , auf das Land, noch auf das Volk, sondern ans den Willen Sr. Majestät, und ist darin wenigstens handgreiflicher und präciser, obgleich auch da noch immer die Frage bleibt, ob sich der Wille Sr. Majestät nicht gleichfalls auf sehr bestimmte Jnfluen¬ zen zurückführen läßt, die selbst ein loyaler Unterthan einer Kritik zu unterziehen das Recht hat. — Trägt er den Johannesscheitel und die großen Pastorstiefeln, so beruft er sich auf den unergründlichen Rathschluß Gottes, und wird ebenso auf¬ gebracht darüber sein, wenn man ihn auffordert, zu beweisen, daß das wirklich der Rathschluß Gottes sei, als der radikale Biedermann, wenn er sein Volk, und der Tory, wenn er sein Land specialisiren soll. Somit wäre Alles in der schönsten Ordnung, wenn sich nur die Sophistik nicht auch in das Lager der Heiligen eingeschlichen hätte! wenn das doctrinäre Unkraut, das im preußischen Boden nicht gedeihen soll, nur nicht auch wild unter dem conservativen speit, wild unter dem demokratischen Hafer aufwüchse. Haben wir es doch Stunden lang mit anhören müssen, daß Herr v. Gerlach, oder Herr Stahl ihre Räsonnements über Kirche und Staat vortrugen, Principien entwickel¬ ten und Schlüsse daraus zogen, so gut und so schlecht sie anch waren. Genug, sie begnügten sich nicht damit, etwas zu wollen und diesen Willen auf den souve- ränen Willen des Volks, des Landes, des Königs oder Gottes zu stütze», son¬ dern sie speculirten, sie spielten die Professoren. Und solche Näsouneurs gab es auch auf der linken. Warum gibt man nur uns den Professortitel und nicht auch den Schwarzen und den Rothen? Der Grund ist ein doppelter, ein äußerer und ein innerer. Der christlich - germanische Staat, der sogar in seinen Schimpfwörtern unpro- ductiv ist, hat nämlich die Doctrinärs sowie die Bourgeoisie dem ruchlosen Volke der Wälschen abgelernt. Die französischen Ultras zur Zeit der Restauration nann- ten die Liberalen, welche aus dem Begriff des constitutionellen Staats die Wider¬ legung des gouvernementalen Absolutismus schöpften, Doctrinärs, und dieser Name blieb ihnen, als sich nach der Julirevolution die oppositionelle Partei, den halb¬ republikanischen Tendenzen gegenüber in eine reactionäre verwandelte. Da nun diese Partei gegen die Absolutisten wie gegen die Republikaner die Idee der con¬ stitutionellen Monarchie vertrat, wie sie sich besonders in Großbritannien ausge» bildet hatte, so nannte man in Preußen die constitutionelle Partei gleichfalls Doctrinärs, und that es um so lieber, als die ungeschulte souveräne Caprice eines Schlosse!, Held u. s. w. einerseits, Manteuffel, Kleist-Retzow u. s. w andererseits, durch die Gelehrsamkeit eines Dahlmann, Gervinus u. s. w. gedrückt und belei-- tige wurde. Im Lande der Kröpfe pflegt die Jugend einem Durchreisenden, der sich keines derartigen Halsschmuckes erfreut, mit dem spottenden Geschrei nachzu¬ laufen: Langhals! Langhals! So riefen die, ungelehrten Patrioten von Links und von Rechts, wo sie irgend einen Vortrag hörten, der nach Bildung schmeckte: 31*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/251
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/251>, abgerufen am 27.06.2024.