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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Wien eiir, der bei einer ähnlichen Veranlassung die feierliche Erklärung abgab: Meine
Herren, ich verbitte mir alle Logik! Das ist eine preußische Erfindung, die in
unserm schönen Oestreich keinen Boden hat. -- Guter Kappelbaumer, wie wenig
kanntest dn Preußen, mein Vaterland!

Herr von Manteuffel hat vollkommen Recht, die Doctrinärs zu hassen, d. h.
diejenigen Leute, welche ihre Ansichten durch VerstandeSgründe uwtivireu. Herr
von Manteuffel ist kein Doctrinär. Er hat in dem letzten Jahre mehrfach Gele¬
genheit gehabt, den Ncdcstuhl zu besteigen, theils in den Kammern, theils in
Wahlversammlungen. Er ist der einzige Minister, welcher redet, der geistreiche
Mann des Ministeriums. Er hat Anfluge von Poesie, er spricht zuweilen in Bil¬
dern, vom Vogel Phönix u. s, w. Aber ein Doctrinär ist er nicht, er würde
keine Gründe für seine Ansichten anführen, und wenn Gründe so wohlfeil wären,
als Brombeeren. Gründe haben keinen Boden im ueupreußischen Staat. Ich habe
seine'Reden mit großer Aufmerksamkeit studirt und bin in der Lage, sie in einem
allgemeinen Schema zu fvvmuliren, welches mit geringen Varianten auf alle Fälle
Anwendung findet. "Meine Herren! ich bin ein ehrlicher Manu, glauben Sie
es mir. Man hat mich viel zu sehr gelobt und viel zu sehr getadelt. Ich will
darauf nicht eingehen. Man hat mehrere Gründe gegen meinen Antrag vorge¬
bracht. Ich werde darauf nicht antworten. Ich bin ein ehrlicher Mann, wahr¬
haftigen Gott. Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie' meinen Antrag an.
Ihr Patriotismus möge Sie leiten. Ich meine es gut. Gleichwie der Phö¬
nix u. s. w."

In dieser Abneigung gegen Gründe hat der preußische Minister allerdings
eine wesentliche Wahlverwandtschaft mit seinen neuen Alliirten, deu Demokraten.
In der ehemaligen sächsischen Kammer hätte er einen würdigen Platz behauptet.
"Ich kenne die Gründe des Ministeriums nicht, aber ich mißbillige sie." Das ist
ein Mann nach dem Herzen Manreuffel's, kein Doctrinär. Ameyer tritt auf.
"Meine Herren! Der König von Preußen darf nicht deutscher Kaiser werden. Ich
brauche keine Gründe dagegen anzuführen, das Volk will es nicht. Das genügt.
Das Volk steht hinter uns." Baeyer, von der äußersten Linken. "Donnerwet¬
ter! Der Tyrann von Preußen sollte deutscher Kaiser werdeu?! Ich werde mich
nicht so weit herabwürdige", Gründe gegen diese freiheitsmörderischen Mordbnbereien
anzuführen. Das souveräne Volk wendet sich mit Verachtung von solchem kriechen¬
den Hochmuth ab. Das Volk wird seine Feinde zermalmen!" Und so fort, je
nach dem Grad des politischen Thermometers. Das hat doch Hand und Fuß, das
ist populär, das versteht jeder Biedermann.

Nehmen wir einen preußischen Biedermann, etwa Herrn von Kleist-Nctzow.
"Meine Herren! Von einem suspensiven Veto darf nicht die Rede sei". Sophi¬
stereien sind überflüssig. Das Land will es nicht (Land ist der aristokratische
Ausdruck für das demokratische V oll); das Land steht in unermeßlicher Mehrzahl


Wien eiir, der bei einer ähnlichen Veranlassung die feierliche Erklärung abgab: Meine
Herren, ich verbitte mir alle Logik! Das ist eine preußische Erfindung, die in
unserm schönen Oestreich keinen Boden hat. — Guter Kappelbaumer, wie wenig
kanntest dn Preußen, mein Vaterland!

Herr von Manteuffel hat vollkommen Recht, die Doctrinärs zu hassen, d. h.
diejenigen Leute, welche ihre Ansichten durch VerstandeSgründe uwtivireu. Herr
von Manteuffel ist kein Doctrinär. Er hat in dem letzten Jahre mehrfach Gele¬
genheit gehabt, den Ncdcstuhl zu besteigen, theils in den Kammern, theils in
Wahlversammlungen. Er ist der einzige Minister, welcher redet, der geistreiche
Mann des Ministeriums. Er hat Anfluge von Poesie, er spricht zuweilen in Bil¬
dern, vom Vogel Phönix u. s, w. Aber ein Doctrinär ist er nicht, er würde
keine Gründe für seine Ansichten anführen, und wenn Gründe so wohlfeil wären,
als Brombeeren. Gründe haben keinen Boden im ueupreußischen Staat. Ich habe
seine'Reden mit großer Aufmerksamkeit studirt und bin in der Lage, sie in einem
allgemeinen Schema zu fvvmuliren, welches mit geringen Varianten auf alle Fälle
Anwendung findet. „Meine Herren! ich bin ein ehrlicher Manu, glauben Sie
es mir. Man hat mich viel zu sehr gelobt und viel zu sehr getadelt. Ich will
darauf nicht eingehen. Man hat mehrere Gründe gegen meinen Antrag vorge¬
bracht. Ich werde darauf nicht antworten. Ich bin ein ehrlicher Mann, wahr¬
haftigen Gott. Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie' meinen Antrag an.
Ihr Patriotismus möge Sie leiten. Ich meine es gut. Gleichwie der Phö¬
nix u. s. w."

In dieser Abneigung gegen Gründe hat der preußische Minister allerdings
eine wesentliche Wahlverwandtschaft mit seinen neuen Alliirten, deu Demokraten.
In der ehemaligen sächsischen Kammer hätte er einen würdigen Platz behauptet.
„Ich kenne die Gründe des Ministeriums nicht, aber ich mißbillige sie." Das ist
ein Mann nach dem Herzen Manreuffel's, kein Doctrinär. Ameyer tritt auf.
„Meine Herren! Der König von Preußen darf nicht deutscher Kaiser werden. Ich
brauche keine Gründe dagegen anzuführen, das Volk will es nicht. Das genügt.
Das Volk steht hinter uns." Baeyer, von der äußersten Linken. „Donnerwet¬
ter! Der Tyrann von Preußen sollte deutscher Kaiser werdeu?! Ich werde mich
nicht so weit herabwürdige«, Gründe gegen diese freiheitsmörderischen Mordbnbereien
anzuführen. Das souveräne Volk wendet sich mit Verachtung von solchem kriechen¬
den Hochmuth ab. Das Volk wird seine Feinde zermalmen!" Und so fort, je
nach dem Grad des politischen Thermometers. Das hat doch Hand und Fuß, das
ist populär, das versteht jeder Biedermann.

Nehmen wir einen preußischen Biedermann, etwa Herrn von Kleist-Nctzow.
„Meine Herren! Von einem suspensiven Veto darf nicht die Rede sei». Sophi¬
stereien sind überflüssig. Das Land will es nicht (Land ist der aristokratische
Ausdruck für das demokratische V oll); das Land steht in unermeßlicher Mehrzahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/250>, abgerufen am 30.06.2024.