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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Schwärmereien. Es war natürlich, daß er wenig Luft hatte, sie eine Heroine
werden zu lassen; allein auch andere Persönliche Gründe bewogen ihn, während
des politischen Erdbebens ein Wanderleben zu führen. Der freundschaftliche Fuß,
auf dem er durch seine frühere Stellung als Arzt zu den angesehensten Patrioten
Venedig's und zu den östreichischen Notabilitäten daselbst gestanden, zwang ihn
neutral zu bleiben, wenn er die peinlichsten Conflicte vermeiden wollte; außerdem
besaß er wenig oder gar keinen Sinn für's politische Treiben, und so tiefe Theil¬
nahme ihm das Schicksal der Italiener einflößte, glaubte er doch nicht an den
Erfolg ihrer Waffen und wünschte, ihre Erlösung ans friedlichem Wege gesichert
zu sehen. So habe er nun, vergeblich Nuhe suchend, bald in Neapel, bald in
Rom und Bologna sein Zelt aufgeschlagen; Beatrice's Heimweh treibe ihn, der
geliebten Benetia so nah als möglich zu ziehen und, schloß er, sich mit der Hand
über die Stirn fahrend, er fürchte nächstens sogar, wenn die Stellung der feind¬
lichen Armeen es erlaube, nach Oberitalien zurückkehren zu müssen.

Am nächsten Tage wiederholte ich, auf des Dvttore Einladung, meinen Besuch
und war so glücklich, Beatrice kennen zu lernen. Die Dienerin wies mich in ein
anderes Gemach, als gestern, und wie ich eintrat, überraschte mich der Luxus in
der kleinen, niedlichen Wohnung des Dottore. Eine große, mit prachtvollen
Skulpturen geschmückte Bronzelampe warf ein mildes Licht auf die bunt¬
farbigen Marmordielen; die breite" Fenstersimse bedeckte ein Paar der kost¬
barsten rothen Teppiche mit langen tricoloren Fransen. Als mir die Thür ge¬
öffnet ward, bemerkte ich, daß ein schwarzlockiger junger Mann einige Briefe in
die Brusttasche schob, aus deuen er vorzulesen schien, und T. erhob sich aus sei¬
nem, im Schatten stehenden Lehnsessel. Mit größerer Wärme, als ich je an ihm
gewahr worden, rief er: Ah, sig'or Jsidor A.! Er stellte mich als einen Ju¬
gendfreund und einen von jeher begeisterten Fürsprecher italienischer Freiheit vor.
Bei diesen Worten sah mich Beatrice, die an dem Armsessel des Dottore gelehnt
stand, mit einem Blick von so vertrauender Innigkeit an, daß er einen Barba¬
rossa im Nu verwälschen konnte. Mateo hatte nicht gelogen. Keine Spur von
regelmäßiger Schönheit in ihrem Antlitz, aber auch kein Zug von dem klei¬
nen, weich schwellenden Kinn und der halbhohen, aber harmonisch geformten
Stirn bis auf das zarte, weißmarmorne Ohr, der nicht Seele und An¬
muth athmete; das dunkle Auge, welches mit dem sanstblonden Seidenhaar reizend
kontrastirte, durfte ein wenig größer sein, aber den Strahl seines Blicks konnte
man nicht lang ohne Rührung ertragen; der Mund ließ, auch wenn er geschlossen
blieb, den Zauber ahnen, der in ihrer Stimme leben mußte. Und dieses wun¬
derbare halb Kindes halb Heroinenhaupt denkt Euch gewiegt auf einer zier¬
lich schlanken Gestalt, deren Trauertracht die weißblüthenartige Blässe ihres Teiuts
hervorhob und deren Bewegungen Musik waren! Ich habe die liebliche Er¬
scheinung nie wieder gesehen, aber so oft ich ihres Schicksals gedenke, kehrt mir


Schwärmereien. Es war natürlich, daß er wenig Luft hatte, sie eine Heroine
werden zu lassen; allein auch andere Persönliche Gründe bewogen ihn, während
des politischen Erdbebens ein Wanderleben zu führen. Der freundschaftliche Fuß,
auf dem er durch seine frühere Stellung als Arzt zu den angesehensten Patrioten
Venedig's und zu den östreichischen Notabilitäten daselbst gestanden, zwang ihn
neutral zu bleiben, wenn er die peinlichsten Conflicte vermeiden wollte; außerdem
besaß er wenig oder gar keinen Sinn für's politische Treiben, und so tiefe Theil¬
nahme ihm das Schicksal der Italiener einflößte, glaubte er doch nicht an den
Erfolg ihrer Waffen und wünschte, ihre Erlösung ans friedlichem Wege gesichert
zu sehen. So habe er nun, vergeblich Nuhe suchend, bald in Neapel, bald in
Rom und Bologna sein Zelt aufgeschlagen; Beatrice's Heimweh treibe ihn, der
geliebten Benetia so nah als möglich zu ziehen und, schloß er, sich mit der Hand
über die Stirn fahrend, er fürchte nächstens sogar, wenn die Stellung der feind¬
lichen Armeen es erlaube, nach Oberitalien zurückkehren zu müssen.

Am nächsten Tage wiederholte ich, auf des Dvttore Einladung, meinen Besuch
und war so glücklich, Beatrice kennen zu lernen. Die Dienerin wies mich in ein
anderes Gemach, als gestern, und wie ich eintrat, überraschte mich der Luxus in
der kleinen, niedlichen Wohnung des Dottore. Eine große, mit prachtvollen
Skulpturen geschmückte Bronzelampe warf ein mildes Licht auf die bunt¬
farbigen Marmordielen; die breite» Fenstersimse bedeckte ein Paar der kost¬
barsten rothen Teppiche mit langen tricoloren Fransen. Als mir die Thür ge¬
öffnet ward, bemerkte ich, daß ein schwarzlockiger junger Mann einige Briefe in
die Brusttasche schob, aus deuen er vorzulesen schien, und T. erhob sich aus sei¬
nem, im Schatten stehenden Lehnsessel. Mit größerer Wärme, als ich je an ihm
gewahr worden, rief er: Ah, sig'or Jsidor A.! Er stellte mich als einen Ju¬
gendfreund und einen von jeher begeisterten Fürsprecher italienischer Freiheit vor.
Bei diesen Worten sah mich Beatrice, die an dem Armsessel des Dottore gelehnt
stand, mit einem Blick von so vertrauender Innigkeit an, daß er einen Barba¬
rossa im Nu verwälschen konnte. Mateo hatte nicht gelogen. Keine Spur von
regelmäßiger Schönheit in ihrem Antlitz, aber auch kein Zug von dem klei¬
nen, weich schwellenden Kinn und der halbhohen, aber harmonisch geformten
Stirn bis auf das zarte, weißmarmorne Ohr, der nicht Seele und An¬
muth athmete; das dunkle Auge, welches mit dem sanstblonden Seidenhaar reizend
kontrastirte, durfte ein wenig größer sein, aber den Strahl seines Blicks konnte
man nicht lang ohne Rührung ertragen; der Mund ließ, auch wenn er geschlossen
blieb, den Zauber ahnen, der in ihrer Stimme leben mußte. Und dieses wun¬
derbare halb Kindes halb Heroinenhaupt denkt Euch gewiegt auf einer zier¬
lich schlanken Gestalt, deren Trauertracht die weißblüthenartige Blässe ihres Teiuts
hervorhob und deren Bewegungen Musik waren! Ich habe die liebliche Er¬
scheinung nie wieder gesehen, aber so oft ich ihres Schicksals gedenke, kehrt mir


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[0024] Schwärmereien. Es war natürlich, daß er wenig Luft hatte, sie eine Heroine werden zu lassen; allein auch andere Persönliche Gründe bewogen ihn, während des politischen Erdbebens ein Wanderleben zu führen. Der freundschaftliche Fuß, auf dem er durch seine frühere Stellung als Arzt zu den angesehensten Patrioten Venedig's und zu den östreichischen Notabilitäten daselbst gestanden, zwang ihn neutral zu bleiben, wenn er die peinlichsten Conflicte vermeiden wollte; außerdem besaß er wenig oder gar keinen Sinn für's politische Treiben, und so tiefe Theil¬ nahme ihm das Schicksal der Italiener einflößte, glaubte er doch nicht an den Erfolg ihrer Waffen und wünschte, ihre Erlösung ans friedlichem Wege gesichert zu sehen. So habe er nun, vergeblich Nuhe suchend, bald in Neapel, bald in Rom und Bologna sein Zelt aufgeschlagen; Beatrice's Heimweh treibe ihn, der geliebten Benetia so nah als möglich zu ziehen und, schloß er, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, er fürchte nächstens sogar, wenn die Stellung der feind¬ lichen Armeen es erlaube, nach Oberitalien zurückkehren zu müssen. Am nächsten Tage wiederholte ich, auf des Dvttore Einladung, meinen Besuch und war so glücklich, Beatrice kennen zu lernen. Die Dienerin wies mich in ein anderes Gemach, als gestern, und wie ich eintrat, überraschte mich der Luxus in der kleinen, niedlichen Wohnung des Dottore. Eine große, mit prachtvollen Skulpturen geschmückte Bronzelampe warf ein mildes Licht auf die bunt¬ farbigen Marmordielen; die breite» Fenstersimse bedeckte ein Paar der kost¬ barsten rothen Teppiche mit langen tricoloren Fransen. Als mir die Thür ge¬ öffnet ward, bemerkte ich, daß ein schwarzlockiger junger Mann einige Briefe in die Brusttasche schob, aus deuen er vorzulesen schien, und T. erhob sich aus sei¬ nem, im Schatten stehenden Lehnsessel. Mit größerer Wärme, als ich je an ihm gewahr worden, rief er: Ah, sig'or Jsidor A.! Er stellte mich als einen Ju¬ gendfreund und einen von jeher begeisterten Fürsprecher italienischer Freiheit vor. Bei diesen Worten sah mich Beatrice, die an dem Armsessel des Dottore gelehnt stand, mit einem Blick von so vertrauender Innigkeit an, daß er einen Barba¬ rossa im Nu verwälschen konnte. Mateo hatte nicht gelogen. Keine Spur von regelmäßiger Schönheit in ihrem Antlitz, aber auch kein Zug von dem klei¬ nen, weich schwellenden Kinn und der halbhohen, aber harmonisch geformten Stirn bis auf das zarte, weißmarmorne Ohr, der nicht Seele und An¬ muth athmete; das dunkle Auge, welches mit dem sanstblonden Seidenhaar reizend kontrastirte, durfte ein wenig größer sein, aber den Strahl seines Blicks konnte man nicht lang ohne Rührung ertragen; der Mund ließ, auch wenn er geschlossen blieb, den Zauber ahnen, der in ihrer Stimme leben mußte. Und dieses wun¬ derbare halb Kindes halb Heroinenhaupt denkt Euch gewiegt auf einer zier¬ lich schlanken Gestalt, deren Trauertracht die weißblüthenartige Blässe ihres Teiuts hervorhob und deren Bewegungen Musik waren! Ich habe die liebliche Er¬ scheinung nie wieder gesehen, aber so oft ich ihres Schicksals gedenke, kehrt mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/24>, abgerufen am 20.06.2024.