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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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viuzen Oestreichs; allein wäre dies auch wahr, die Liebe einer Beatrice hätte ja
den verstocktesten Barbaren in kurzer Frist in einen Menschen und Italiener ver¬
wandeln müssen! T""*"? fragte ich mich. Der Name erinnerte mich an eine
alte flüchtige Bekanntschaft. War der Dottore derselbe, den ich in ihm vermuthete,
so hatte er im Jahre 183* mit mir zugleich die Präger Hochschule besucht. Später
hatte ich vernommen, daß er nach Venedig ging, um durch die milde Laguneuluft
sein Brustleiden zu heilen, daß er dort blieb, heirathete und seinen Namen in's
Italienische übersetzte. T klang ungefähr wie eine solche Uebertragung.
Meine Neugierde war doppelt rege geworden und Mateo konnte aus ein Dutzend
Paole rechnen, denn ich beschloß nun, einige Tage zu bleiben.

Es ward mir nicht schwer, bei Signor T's. eingeführt zu werden. Ich er¬
kannte in dem Dottore augenblicklich meinen Mann; er hatte eine jener Physiog¬
nomien, über welche ein Jahrzehend weggleitet, ohne die leiseste Aenderung dar¬
auf hervorzubringen; uoch immer dieselbe kühle Vornehmheit und Gehcimnißthuerei
in den regelmäßigen Zügen des blassen pockennarbigen Gesichts wie einst; ein
schwacher röthlicher Backenbart war die einzige Neuerung an ihm, denn die Glatze,
welche ihn jetzt angemessen kleidete, hatte ihm vor zehn Jahren schon ein altkluges
Ansehen gegeben. Er schien sich nicht gleich ans meine Person besinnen zu können,
empfing mich jedoch überaus freundlich, nöthigte mich in den Lehnstuhl und ließ
türkische Pfeifen bringen. Allmälig zeigte er ein sehr treues Gedächtniß für die
kleinsten Präger Begebenheiten ans dem Jahre 183*; am liebsten aber sprach der
Dottore von seinem Adoptiv-Vaterlande und der behaglichen Existenz, die ihm da
geworden. Einige Jahre glücklicher Praxis in den ersten Häusern Venedigs hatten
ihn in Stand gesetzt, fortan seiner Muse und den Wissenschaften zu leben. Bea¬
trice war arm und stammte aus einer altehrbareu, aber so herabgekommenen Familie,
daß ihre Eltern selbst die erbliche Loge in der "Fenice" (Phönixtheater) auszugeben
gezwungen waren; und wer Venedig kennt, weiß, welche Entbehrungen der Vene-
tianer sich auferlegt, nur um in der Fenice, dem einzigen und geliebten National-
institut aus der Dvgeuzeit, mit ein paar großväterlichen Juwelen zu praUgen.
Der Dottore verschaffte thuen die Loge zurück, er erzog sich ihr einziges Kind
Beatrice und führte sie an den Altar, ehe ihr Herz ein anderes Gefühl als die
Dankbarkeit kennen lernte. Beatrixens Eltern waren vor dem Ausbruch der sizi-
lischen Revolution gestorben, und die Venetianerin hatte nnn keinen andern Be¬
schützer als ihren Abälard. Er hielt es für nothwendig, unmittelbar vor
der veneticinischcn Erhebung, die er voraussah, die Lagunenstadt zu verlassen, um
die zartbesaitete Beatrice vor deu stürmischen Aufregungen, deren Schauplatz ihre
Heimath werden mußte, zu bewahren; sie sollte das zweifelhafte Schicksal ihrer
Vaterstadt aus einer friedlichen Ferne mit ansehen, wo er Hiobsbotschaften ihr
leichter verhehlen und ihr Herz in hoffnungsvolle Träume wiegen konnte; denn
sie war ein rechtes "kleines Freiheitswesen" und aufgelegt zu deu gefährlichsten


viuzen Oestreichs; allein wäre dies auch wahr, die Liebe einer Beatrice hätte ja
den verstocktesten Barbaren in kurzer Frist in einen Menschen und Italiener ver¬
wandeln müssen! T""*"? fragte ich mich. Der Name erinnerte mich an eine
alte flüchtige Bekanntschaft. War der Dottore derselbe, den ich in ihm vermuthete,
so hatte er im Jahre 183* mit mir zugleich die Präger Hochschule besucht. Später
hatte ich vernommen, daß er nach Venedig ging, um durch die milde Laguneuluft
sein Brustleiden zu heilen, daß er dort blieb, heirathete und seinen Namen in's
Italienische übersetzte. T klang ungefähr wie eine solche Uebertragung.
Meine Neugierde war doppelt rege geworden und Mateo konnte aus ein Dutzend
Paole rechnen, denn ich beschloß nun, einige Tage zu bleiben.

Es ward mir nicht schwer, bei Signor T's. eingeführt zu werden. Ich er¬
kannte in dem Dottore augenblicklich meinen Mann; er hatte eine jener Physiog¬
nomien, über welche ein Jahrzehend weggleitet, ohne die leiseste Aenderung dar¬
auf hervorzubringen; uoch immer dieselbe kühle Vornehmheit und Gehcimnißthuerei
in den regelmäßigen Zügen des blassen pockennarbigen Gesichts wie einst; ein
schwacher röthlicher Backenbart war die einzige Neuerung an ihm, denn die Glatze,
welche ihn jetzt angemessen kleidete, hatte ihm vor zehn Jahren schon ein altkluges
Ansehen gegeben. Er schien sich nicht gleich ans meine Person besinnen zu können,
empfing mich jedoch überaus freundlich, nöthigte mich in den Lehnstuhl und ließ
türkische Pfeifen bringen. Allmälig zeigte er ein sehr treues Gedächtniß für die
kleinsten Präger Begebenheiten ans dem Jahre 183*; am liebsten aber sprach der
Dottore von seinem Adoptiv-Vaterlande und der behaglichen Existenz, die ihm da
geworden. Einige Jahre glücklicher Praxis in den ersten Häusern Venedigs hatten
ihn in Stand gesetzt, fortan seiner Muse und den Wissenschaften zu leben. Bea¬
trice war arm und stammte aus einer altehrbareu, aber so herabgekommenen Familie,
daß ihre Eltern selbst die erbliche Loge in der „Fenice" (Phönixtheater) auszugeben
gezwungen waren; und wer Venedig kennt, weiß, welche Entbehrungen der Vene-
tianer sich auferlegt, nur um in der Fenice, dem einzigen und geliebten National-
institut aus der Dvgeuzeit, mit ein paar großväterlichen Juwelen zu praUgen.
Der Dottore verschaffte thuen die Loge zurück, er erzog sich ihr einziges Kind
Beatrice und führte sie an den Altar, ehe ihr Herz ein anderes Gefühl als die
Dankbarkeit kennen lernte. Beatrixens Eltern waren vor dem Ausbruch der sizi-
lischen Revolution gestorben, und die Venetianerin hatte nnn keinen andern Be¬
schützer als ihren Abälard. Er hielt es für nothwendig, unmittelbar vor
der veneticinischcn Erhebung, die er voraussah, die Lagunenstadt zu verlassen, um
die zartbesaitete Beatrice vor deu stürmischen Aufregungen, deren Schauplatz ihre
Heimath werden mußte, zu bewahren; sie sollte das zweifelhafte Schicksal ihrer
Vaterstadt aus einer friedlichen Ferne mit ansehen, wo er Hiobsbotschaften ihr
leichter verhehlen und ihr Herz in hoffnungsvolle Träume wiegen konnte; denn
sie war ein rechtes „kleines Freiheitswesen" und aufgelegt zu deu gefährlichsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/23>, abgerufen am 20.06.2024.