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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Kunstdenkmale, in deren Anschaun ich so oft Ruh und Seligkeit gesunden, verfehlte
diesmal meine Sehnsucht zu wecken; ich wollte spornstreichs weiter. Da rief mein
alter Cicerone, Mateo, die Rechte feierlich auf's Herz legend: Signor kennen
meine Ergebenheit und werden meinen Rath nicht in den Wind schlagen. Sie
werden heute uicht abreisen, Signor, Sie dürfen, Sie können nicht. Es sind
schwere Zeiten, Signor, der Freiheitsmorgeu Jtalias sührt kein Gold im Munde
für uns arme Ciceronen, die Mylords gehen, die Tedeschi laufen fort, wir
Urenkel des großen Cicero, können unsere Wissenschaft den Steinen predigen, welche
dafür kein Brot geben. Aber das ist es nicht, was mich bestimmt, denn -- hier
richtete er sich hoch auf, rollte pathetisch die Augen und hob die Rechte heroisch
in die Höhe -- wir rufen trotzdem den ganzen Tag: colpa la liberta! -- Ich
weiß, Du bist ein wackerer Patriot, Mateo, ich weiß. Was gibt's nun? --Sig¬
nor wollen mir also glauben, daß nicht der Eigennutz aus mir spricht, sondern
rein die Sorge für Ihrer Excellenz Belehrung und Unterhaltung. -- Nach dieser
langen Vorrede fuhr er mit gedämpfter Stimme und geheimnißvoller Miene fort:
Signor kennen alle Wunderwerke des Pinsels und des Meißels, welche unser
schönes Firenze schmücken, den Palast Pitti und die Steinschöpfungen des Mei¬
sters Angelo, aber das höchste Wunder von Firenze kennen Sie noch nicht!.. Ist
der Ruhm Beatrice's Ihnen schon zu Ohren gekommen? -- Nein, Mateo. Wo
hängt sie und wer hat sie gemalt? -- Sie hängt an keiner Palast- oder Kirchen¬
mauer und sie ist uicht gemalt, sondern geboren von Engeln im Himmel, aufge¬
hängt mit Blumendüften und unterrichtet von Nachtigallen. Ein Wunder ist's,
wie ein solches Geschöpf lebendig auf Erden wandeln kann, ohne daß die Erde
längst in ein Paradies verwandelt ist! --- Hier führte der enthusiastische Graukopf
seine Fingerspitzen an den Mund und warf mit andachtsvollen Blicken Kußhänd¬
chen zum Himmel.

Signora Beatrice weilte erst seit zwei Monaten in Florenz, wurde aber von
Vielen angebetet, welche nie das Glück gehabt, ihr Antlitz oder ihr Bildniß mit
Augen zu sehe". In der schattigen Aruostraße pflegten Nachts dichte Menschen¬
gruppen festgebannt zu stehen und dem Gesang einer nicht sehr starken, aber un¬
sagbar süßen Stimme zu lauschen, die ans einem Fenster im zweiten Stock hernic-
derqnoll. Feierliche Stille herrschte dann unter den Horchern, zufällig Vorüber¬
gehende wurden flüsternd ersucht, leise aufzutreten, und sie bemühten sich, die Aus¬
brüche ihres Enthusiasmus zurückzuhalten, weil ein Bravoruf oder ein Klatschen
die Sängerin auf lange Zeit zum Schweigen brachte. In jenem melodischen Zimmer
in der Aruostraße versammelte sich die Blüthe der einheimischen und der Frcm-
denwelt zu traulichen Zirkeln, das Haus stand vorzugsweise Künstler" und Patrioten
offen. Signor T " ^ Beatricens Gemahl, ein gelehrter und wohlhabender Dottore
aus Venedig, machte auf angenehmste Weise die Honneurs. Er war ein edler Italie¬
ner, obwohl das Gerücht ging, er stamme ursprünglich aus eiuer der nördlichen Pro-


Kunstdenkmale, in deren Anschaun ich so oft Ruh und Seligkeit gesunden, verfehlte
diesmal meine Sehnsucht zu wecken; ich wollte spornstreichs weiter. Da rief mein
alter Cicerone, Mateo, die Rechte feierlich auf's Herz legend: Signor kennen
meine Ergebenheit und werden meinen Rath nicht in den Wind schlagen. Sie
werden heute uicht abreisen, Signor, Sie dürfen, Sie können nicht. Es sind
schwere Zeiten, Signor, der Freiheitsmorgeu Jtalias sührt kein Gold im Munde
für uns arme Ciceronen, die Mylords gehen, die Tedeschi laufen fort, wir
Urenkel des großen Cicero, können unsere Wissenschaft den Steinen predigen, welche
dafür kein Brot geben. Aber das ist es nicht, was mich bestimmt, denn — hier
richtete er sich hoch auf, rollte pathetisch die Augen und hob die Rechte heroisch
in die Höhe — wir rufen trotzdem den ganzen Tag: colpa la liberta! — Ich
weiß, Du bist ein wackerer Patriot, Mateo, ich weiß. Was gibt's nun? —Sig¬
nor wollen mir also glauben, daß nicht der Eigennutz aus mir spricht, sondern
rein die Sorge für Ihrer Excellenz Belehrung und Unterhaltung. — Nach dieser
langen Vorrede fuhr er mit gedämpfter Stimme und geheimnißvoller Miene fort:
Signor kennen alle Wunderwerke des Pinsels und des Meißels, welche unser
schönes Firenze schmücken, den Palast Pitti und die Steinschöpfungen des Mei¬
sters Angelo, aber das höchste Wunder von Firenze kennen Sie noch nicht!.. Ist
der Ruhm Beatrice's Ihnen schon zu Ohren gekommen? — Nein, Mateo. Wo
hängt sie und wer hat sie gemalt? — Sie hängt an keiner Palast- oder Kirchen¬
mauer und sie ist uicht gemalt, sondern geboren von Engeln im Himmel, aufge¬
hängt mit Blumendüften und unterrichtet von Nachtigallen. Ein Wunder ist's,
wie ein solches Geschöpf lebendig auf Erden wandeln kann, ohne daß die Erde
längst in ein Paradies verwandelt ist! —- Hier führte der enthusiastische Graukopf
seine Fingerspitzen an den Mund und warf mit andachtsvollen Blicken Kußhänd¬
chen zum Himmel.

Signora Beatrice weilte erst seit zwei Monaten in Florenz, wurde aber von
Vielen angebetet, welche nie das Glück gehabt, ihr Antlitz oder ihr Bildniß mit
Augen zu sehe«. In der schattigen Aruostraße pflegten Nachts dichte Menschen¬
gruppen festgebannt zu stehen und dem Gesang einer nicht sehr starken, aber un¬
sagbar süßen Stimme zu lauschen, die ans einem Fenster im zweiten Stock hernic-
derqnoll. Feierliche Stille herrschte dann unter den Horchern, zufällig Vorüber¬
gehende wurden flüsternd ersucht, leise aufzutreten, und sie bemühten sich, die Aus¬
brüche ihres Enthusiasmus zurückzuhalten, weil ein Bravoruf oder ein Klatschen
die Sängerin auf lange Zeit zum Schweigen brachte. In jenem melodischen Zimmer
in der Aruostraße versammelte sich die Blüthe der einheimischen und der Frcm-
denwelt zu traulichen Zirkeln, das Haus stand vorzugsweise Künstler» und Patrioten
offen. Signor T " ^ Beatricens Gemahl, ein gelehrter und wohlhabender Dottore
aus Venedig, machte auf angenehmste Weise die Honneurs. Er war ein edler Italie¬
ner, obwohl das Gerücht ging, er stamme ursprünglich aus eiuer der nördlichen Pro-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/22>, abgerufen am 20.06.2024.