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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Ueberzeugung, daß aus neuen Wahlen keine conservative Majorität hervorgehen
würde, oktroyirte die Regierung ein neues Wahlgesetz. Die demokratische Partei
enthielt sich darauf der Wahlen, nicht wegen dieser Verletzung einer von ihr
gar nicht anerkannten Verfassung, sondern auf Grund eines angeblichen Natur¬
oder NevolntionsrechtS, daß Kammern nur aus demokratischen Urwähler hervor¬
gehen könnten. Die liberale Partei entschloß sich nach ernsten Bedenken zur
Theilnahme an den Wahlen, weniger deshalb, weil sie die Noth der augen¬
blicklichen Lage über die Idee des Rechts stellte, als weil sie es für die
Pflicht des Patrioten hielt, in allen gegebenen Formen für das Recht und das In¬
teresse des Volkes thätig zu sein.

Die neuen Kammern, denen nun die Revision der Verfassung übertragen
wurde, waren also lediglich der Ausdruck der conservativen Partei. Die aristokra¬
tisch-absolutistische Fraction hielt der liberal-conservativen die Wage, und in der
Mitte standen die Männer der unbedingten Ruhe und Ordnung, welche, um die
Demokratie zu vermeiden, um jeden Preis mit der Regierung zu gehn entschlossen
waren. Die Negierung wußte sich ein liberales Relief, zu geben, indem sie in
manchen Fällen den Absolutisten, wo sie es zu arg trieben, widersprach. Die
Revision erfolgte in streng monarchischen Sinn, und wenn man den Liberalen
einen Vorwurf machen, kann, so ist es nur der, daß sie in manchen Punkten zu
viel nachgegeben haben. Ich erinnere nur an den einen Artikel, in welchem die
Nichtbeeidigung des Militärs aus die Verfassung in die Verfassung aufgenommen
wurde. Im Allgemeine" halte ich von politischen Eiden nichts, ich bin überzeugt,
daß bei einem disciplinirten Heer -- der Dresdner Aufstand mag dafür sprechen
-- die Frage nach dem Verfassungsmäßigen eines bestimmten Befehls der Ausfüh¬
rung desselben kein Hinderniß in den Weg legen wird, eben so wenig wie bei
einer verwilderten Armee in der NichtVereidigung ein wesentliches Moment des Ge¬
horsams gefunden werden dürfte; aber es handelte sich in Preußen, wo die be¬
waffnete Macht -- man denke an den Streit über den Stein'schen Antrag, an die
Armeebefehle von Wrangel und Brandenburg, wie an den spätern königlichen Er¬
laß, -- ihre politische Gesinnung geradezu als ein wesentliches Moment der staat¬
lichen Entwickelung hingestellt hatte, um einen Act der Versöhnung. Wenn von
der Verpflichtung sämmtlicher Staatsdiener, den Eid auf die Verfassung zu leisten,
die bewaffnete Macht ausgeschlossen wurde, so hieß das unter den obwaltenden
Umständen nichts anderes, als ihr eine Stellung außerhalb der Verfassung vindi-
ciren. Daß eine solche Stellung nicht ohne praktische Folgen bleiben kaun, lehrt
die einfache Betrachtung, daß bei dem Tode des durch seinen Eid an die Verfas¬
sung gebundenen Königs der neue Regent, der geborne Chef der Armee, wenn
er etwa das Gelüst haben sollte, die Verfassung nicht anzuerkennen, für sein
Attentat das Militär nicht nur factisch, sondern auch rechtlich zur Disposition
hätte. --


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Ueberzeugung, daß aus neuen Wahlen keine conservative Majorität hervorgehen
würde, oktroyirte die Regierung ein neues Wahlgesetz. Die demokratische Partei
enthielt sich darauf der Wahlen, nicht wegen dieser Verletzung einer von ihr
gar nicht anerkannten Verfassung, sondern auf Grund eines angeblichen Natur¬
oder NevolntionsrechtS, daß Kammern nur aus demokratischen Urwähler hervor¬
gehen könnten. Die liberale Partei entschloß sich nach ernsten Bedenken zur
Theilnahme an den Wahlen, weniger deshalb, weil sie die Noth der augen¬
blicklichen Lage über die Idee des Rechts stellte, als weil sie es für die
Pflicht des Patrioten hielt, in allen gegebenen Formen für das Recht und das In¬
teresse des Volkes thätig zu sein.

Die neuen Kammern, denen nun die Revision der Verfassung übertragen
wurde, waren also lediglich der Ausdruck der conservativen Partei. Die aristokra¬
tisch-absolutistische Fraction hielt der liberal-conservativen die Wage, und in der
Mitte standen die Männer der unbedingten Ruhe und Ordnung, welche, um die
Demokratie zu vermeiden, um jeden Preis mit der Regierung zu gehn entschlossen
waren. Die Negierung wußte sich ein liberales Relief, zu geben, indem sie in
manchen Fällen den Absolutisten, wo sie es zu arg trieben, widersprach. Die
Revision erfolgte in streng monarchischen Sinn, und wenn man den Liberalen
einen Vorwurf machen, kann, so ist es nur der, daß sie in manchen Punkten zu
viel nachgegeben haben. Ich erinnere nur an den einen Artikel, in welchem die
Nichtbeeidigung des Militärs aus die Verfassung in die Verfassung aufgenommen
wurde. Im Allgemeine» halte ich von politischen Eiden nichts, ich bin überzeugt,
daß bei einem disciplinirten Heer — der Dresdner Aufstand mag dafür sprechen
— die Frage nach dem Verfassungsmäßigen eines bestimmten Befehls der Ausfüh¬
rung desselben kein Hinderniß in den Weg legen wird, eben so wenig wie bei
einer verwilderten Armee in der NichtVereidigung ein wesentliches Moment des Ge¬
horsams gefunden werden dürfte; aber es handelte sich in Preußen, wo die be¬
waffnete Macht — man denke an den Streit über den Stein'schen Antrag, an die
Armeebefehle von Wrangel und Brandenburg, wie an den spätern königlichen Er¬
laß, — ihre politische Gesinnung geradezu als ein wesentliches Moment der staat¬
lichen Entwickelung hingestellt hatte, um einen Act der Versöhnung. Wenn von
der Verpflichtung sämmtlicher Staatsdiener, den Eid auf die Verfassung zu leisten,
die bewaffnete Macht ausgeschlossen wurde, so hieß das unter den obwaltenden
Umständen nichts anderes, als ihr eine Stellung außerhalb der Verfassung vindi-
ciren. Daß eine solche Stellung nicht ohne praktische Folgen bleiben kaun, lehrt
die einfache Betrachtung, daß bei dem Tode des durch seinen Eid an die Verfas¬
sung gebundenen Königs der neue Regent, der geborne Chef der Armee, wenn
er etwa das Gelüst haben sollte, die Verfassung nicht anzuerkennen, für sein
Attentat das Militär nicht nur factisch, sondern auch rechtlich zur Disposition
hätte. —


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[0211] Ueberzeugung, daß aus neuen Wahlen keine conservative Majorität hervorgehen würde, oktroyirte die Regierung ein neues Wahlgesetz. Die demokratische Partei enthielt sich darauf der Wahlen, nicht wegen dieser Verletzung einer von ihr gar nicht anerkannten Verfassung, sondern auf Grund eines angeblichen Natur¬ oder NevolntionsrechtS, daß Kammern nur aus demokratischen Urwähler hervor¬ gehen könnten. Die liberale Partei entschloß sich nach ernsten Bedenken zur Theilnahme an den Wahlen, weniger deshalb, weil sie die Noth der augen¬ blicklichen Lage über die Idee des Rechts stellte, als weil sie es für die Pflicht des Patrioten hielt, in allen gegebenen Formen für das Recht und das In¬ teresse des Volkes thätig zu sein. Die neuen Kammern, denen nun die Revision der Verfassung übertragen wurde, waren also lediglich der Ausdruck der conservativen Partei. Die aristokra¬ tisch-absolutistische Fraction hielt der liberal-conservativen die Wage, und in der Mitte standen die Männer der unbedingten Ruhe und Ordnung, welche, um die Demokratie zu vermeiden, um jeden Preis mit der Regierung zu gehn entschlossen waren. Die Negierung wußte sich ein liberales Relief, zu geben, indem sie in manchen Fällen den Absolutisten, wo sie es zu arg trieben, widersprach. Die Revision erfolgte in streng monarchischen Sinn, und wenn man den Liberalen einen Vorwurf machen, kann, so ist es nur der, daß sie in manchen Punkten zu viel nachgegeben haben. Ich erinnere nur an den einen Artikel, in welchem die Nichtbeeidigung des Militärs aus die Verfassung in die Verfassung aufgenommen wurde. Im Allgemeine» halte ich von politischen Eiden nichts, ich bin überzeugt, daß bei einem disciplinirten Heer — der Dresdner Aufstand mag dafür sprechen — die Frage nach dem Verfassungsmäßigen eines bestimmten Befehls der Ausfüh¬ rung desselben kein Hinderniß in den Weg legen wird, eben so wenig wie bei einer verwilderten Armee in der NichtVereidigung ein wesentliches Moment des Ge¬ horsams gefunden werden dürfte; aber es handelte sich in Preußen, wo die be¬ waffnete Macht — man denke an den Streit über den Stein'schen Antrag, an die Armeebefehle von Wrangel und Brandenburg, wie an den spätern königlichen Er¬ laß, — ihre politische Gesinnung geradezu als ein wesentliches Moment der staat¬ lichen Entwickelung hingestellt hatte, um einen Act der Versöhnung. Wenn von der Verpflichtung sämmtlicher Staatsdiener, den Eid auf die Verfassung zu leisten, die bewaffnete Macht ausgeschlossen wurde, so hieß das unter den obwaltenden Umständen nichts anderes, als ihr eine Stellung außerhalb der Verfassung vindi- ciren. Daß eine solche Stellung nicht ohne praktische Folgen bleiben kaun, lehrt die einfache Betrachtung, daß bei dem Tode des durch seinen Eid an die Verfas¬ sung gebundenen Königs der neue Regent, der geborne Chef der Armee, wenn er etwa das Gelüst haben sollte, die Verfassung nicht anzuerkennen, für sein Attentat das Militär nicht nur factisch, sondern auch rechtlich zur Disposition hätte. — 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/211>, abgerufen am 24.07.2024.