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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Genug, die Revision war vollendet, vollendet in streng konservativer Rich¬
tung. Da tritt die Regierung mit der Erklärung vor die Kammern, die Krone
werde die --nach ihrer bisherigen Erklärung bereits zu Recht bestehende -- Verfas¬
sung nicht beschwören, wenn nicht in dieselbe einzelne Punkte aufgenommen wür¬
den, die durch die Abstimmung der Kammern zurückgewiesen waren, und die ihrer
Tendenz nach dem bisherigen System der preußischen Politik unbedingt widerspre¬
chen. Es handelt sich bei dem materiellen Inhalt derselben keineswegs um die
Frage, ob sie mit irgend einem constitutionellen System vereinbar sind, sondern
ob sie vereinbar sind mit dem Organismus des preußischen Staates.

Der eine Punkt stellt eine erbliche Paine fest. Ob eine erbliche Pairie an
sich etwas Gutes sei oder nicht, ist eine müßige Frage. Aber in einer Zeit, wo
die Abschaffung der Majorate nicht nnr durch die öffentliche Meinung, welche die
rechtliche Bevorzugung einer geschlossenen Klasse nicht duldet, sondern auch durch
den Fortschritt der ökonomischen Wissenschaft gebieterisch gefordert wird, ist das für
Preußen ganz neue Institut eines Herrenstandes eine Monstrosität; in einer Zeit,
wo die sämmtlichen Individuen, welche muthmaßlich die neue Pairie bilden wer¬
den , direct oder indirect erklärt haben, daß ihnen ein Gebot des Herrn über alles
papierne Recht geht und ihr Standesinteresse über das Gebot des Herrn mitsammt
dem geschriebenen Recht, ein Hohn gegen das Volk.

Der zweite Punkt entzieht den Gerichten, was ihnen bisher in Preußen
noch niemals bestritten war, die rechtliche Entscheidung über die formale
Giltigkeit eines Gesetzes. Unter Muster haben die Oberlandesgerichte alle Re-
scripte des Ministeriums, soweit sie einen Eingriff in das materielle Recht ent¬
hielten, ruhig all antik gelegt. Das ist ihnen hinfort versagt. Simson hat daher
ganz mit Recht erklärt, er ziehe den alten Absolutismus mit einem unabhängi¬
gen Richterstand bei Weitem der neuen Konstitution mit einem abhängigen Rich¬
terstand vor.

Der dritte Punkt constituirt ein Ausnahmegericht für politische Verbrechen
-- in einer Zeit, wo die Prozesse Waldeck, Jacobi n. f. w. die Sichtung des
Volks vor seineu Gerichten, bei denen es Schutz findet gegen die Uebergriffe der
Polizei, mit der Geringschätzung der letzterett, deren Endfäden sich in der schmu¬
tzigen Sphäre eines Ohm und Gödsche verlaufen, enge verbunden hat.

Die Propositionen mußten also fallen schon ihres Inhalts wegen. Weit ern¬
ster wurde die Sache durch die Form, in der sie eingebracht wurden. Wir können
darin von unsern Gegnern lernen. Das Organ der reactionären Partei erklärte
ganz offen, daß es bei diesem Schritt weniger darauf ankam, was die Krone ver¬
langte, als daß sie überhaupt mit absoluter Gewalt etwas verlangte. Es müsse
sich endlich zeigen, wer das letzte Wort zu reden habe, die Krone oder das Par¬
lament. Entweder würden die Kammern sich unterwerfen, und dann wäre dem
Volk definitiv gezeigt, wo der Herr zu suchen sei, oder sie widerstrebten, und


Genug, die Revision war vollendet, vollendet in streng konservativer Rich¬
tung. Da tritt die Regierung mit der Erklärung vor die Kammern, die Krone
werde die —nach ihrer bisherigen Erklärung bereits zu Recht bestehende — Verfas¬
sung nicht beschwören, wenn nicht in dieselbe einzelne Punkte aufgenommen wür¬
den, die durch die Abstimmung der Kammern zurückgewiesen waren, und die ihrer
Tendenz nach dem bisherigen System der preußischen Politik unbedingt widerspre¬
chen. Es handelt sich bei dem materiellen Inhalt derselben keineswegs um die
Frage, ob sie mit irgend einem constitutionellen System vereinbar sind, sondern
ob sie vereinbar sind mit dem Organismus des preußischen Staates.

Der eine Punkt stellt eine erbliche Paine fest. Ob eine erbliche Pairie an
sich etwas Gutes sei oder nicht, ist eine müßige Frage. Aber in einer Zeit, wo
die Abschaffung der Majorate nicht nnr durch die öffentliche Meinung, welche die
rechtliche Bevorzugung einer geschlossenen Klasse nicht duldet, sondern auch durch
den Fortschritt der ökonomischen Wissenschaft gebieterisch gefordert wird, ist das für
Preußen ganz neue Institut eines Herrenstandes eine Monstrosität; in einer Zeit,
wo die sämmtlichen Individuen, welche muthmaßlich die neue Pairie bilden wer¬
den , direct oder indirect erklärt haben, daß ihnen ein Gebot des Herrn über alles
papierne Recht geht und ihr Standesinteresse über das Gebot des Herrn mitsammt
dem geschriebenen Recht, ein Hohn gegen das Volk.

Der zweite Punkt entzieht den Gerichten, was ihnen bisher in Preußen
noch niemals bestritten war, die rechtliche Entscheidung über die formale
Giltigkeit eines Gesetzes. Unter Muster haben die Oberlandesgerichte alle Re-
scripte des Ministeriums, soweit sie einen Eingriff in das materielle Recht ent¬
hielten, ruhig all antik gelegt. Das ist ihnen hinfort versagt. Simson hat daher
ganz mit Recht erklärt, er ziehe den alten Absolutismus mit einem unabhängi¬
gen Richterstand bei Weitem der neuen Konstitution mit einem abhängigen Rich¬
terstand vor.

Der dritte Punkt constituirt ein Ausnahmegericht für politische Verbrechen
— in einer Zeit, wo die Prozesse Waldeck, Jacobi n. f. w. die Sichtung des
Volks vor seineu Gerichten, bei denen es Schutz findet gegen die Uebergriffe der
Polizei, mit der Geringschätzung der letzterett, deren Endfäden sich in der schmu¬
tzigen Sphäre eines Ohm und Gödsche verlaufen, enge verbunden hat.

Die Propositionen mußten also fallen schon ihres Inhalts wegen. Weit ern¬
ster wurde die Sache durch die Form, in der sie eingebracht wurden. Wir können
darin von unsern Gegnern lernen. Das Organ der reactionären Partei erklärte
ganz offen, daß es bei diesem Schritt weniger darauf ankam, was die Krone ver¬
langte, als daß sie überhaupt mit absoluter Gewalt etwas verlangte. Es müsse
sich endlich zeigen, wer das letzte Wort zu reden habe, die Krone oder das Par¬
lament. Entweder würden die Kammern sich unterwerfen, und dann wäre dem
Volk definitiv gezeigt, wo der Herr zu suchen sei, oder sie widerstrebten, und


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[0212] Genug, die Revision war vollendet, vollendet in streng konservativer Rich¬ tung. Da tritt die Regierung mit der Erklärung vor die Kammern, die Krone werde die —nach ihrer bisherigen Erklärung bereits zu Recht bestehende — Verfas¬ sung nicht beschwören, wenn nicht in dieselbe einzelne Punkte aufgenommen wür¬ den, die durch die Abstimmung der Kammern zurückgewiesen waren, und die ihrer Tendenz nach dem bisherigen System der preußischen Politik unbedingt widerspre¬ chen. Es handelt sich bei dem materiellen Inhalt derselben keineswegs um die Frage, ob sie mit irgend einem constitutionellen System vereinbar sind, sondern ob sie vereinbar sind mit dem Organismus des preußischen Staates. Der eine Punkt stellt eine erbliche Paine fest. Ob eine erbliche Pairie an sich etwas Gutes sei oder nicht, ist eine müßige Frage. Aber in einer Zeit, wo die Abschaffung der Majorate nicht nnr durch die öffentliche Meinung, welche die rechtliche Bevorzugung einer geschlossenen Klasse nicht duldet, sondern auch durch den Fortschritt der ökonomischen Wissenschaft gebieterisch gefordert wird, ist das für Preußen ganz neue Institut eines Herrenstandes eine Monstrosität; in einer Zeit, wo die sämmtlichen Individuen, welche muthmaßlich die neue Pairie bilden wer¬ den , direct oder indirect erklärt haben, daß ihnen ein Gebot des Herrn über alles papierne Recht geht und ihr Standesinteresse über das Gebot des Herrn mitsammt dem geschriebenen Recht, ein Hohn gegen das Volk. Der zweite Punkt entzieht den Gerichten, was ihnen bisher in Preußen noch niemals bestritten war, die rechtliche Entscheidung über die formale Giltigkeit eines Gesetzes. Unter Muster haben die Oberlandesgerichte alle Re- scripte des Ministeriums, soweit sie einen Eingriff in das materielle Recht ent¬ hielten, ruhig all antik gelegt. Das ist ihnen hinfort versagt. Simson hat daher ganz mit Recht erklärt, er ziehe den alten Absolutismus mit einem unabhängi¬ gen Richterstand bei Weitem der neuen Konstitution mit einem abhängigen Rich¬ terstand vor. Der dritte Punkt constituirt ein Ausnahmegericht für politische Verbrechen — in einer Zeit, wo die Prozesse Waldeck, Jacobi n. f. w. die Sichtung des Volks vor seineu Gerichten, bei denen es Schutz findet gegen die Uebergriffe der Polizei, mit der Geringschätzung der letzterett, deren Endfäden sich in der schmu¬ tzigen Sphäre eines Ohm und Gödsche verlaufen, enge verbunden hat. Die Propositionen mußten also fallen schon ihres Inhalts wegen. Weit ern¬ ster wurde die Sache durch die Form, in der sie eingebracht wurden. Wir können darin von unsern Gegnern lernen. Das Organ der reactionären Partei erklärte ganz offen, daß es bei diesem Schritt weniger darauf ankam, was die Krone ver¬ langte, als daß sie überhaupt mit absoluter Gewalt etwas verlangte. Es müsse sich endlich zeigen, wer das letzte Wort zu reden habe, die Krone oder das Par¬ lament. Entweder würden die Kammern sich unterwerfen, und dann wäre dem Volk definitiv gezeigt, wo der Herr zu suchen sei, oder sie widerstrebten, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/212>, abgerufen am 24.07.2024.