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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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des Interims, d. h. Oestreichs, niedergelegt hat, das zweite unmöglich, seitdem
Preußen sein eignes parlamentarisches Leben zu einem Possenspiel herabgesetzt hat.
Verstehen Sie mich recht, ich bin noch immer der Ueberzeugung, daß die ver¬
nünftige staatliche Entwickelung nur aus dem einen Wege möglich ist, den wir
eben zu verlassen im Begriff stehen, ich bin aber eben so überzeugt, daß dieser
Weg im gegenwärtigen Augenblicke zu nichts führen würde. Wäre ich jetzt z. B.
Mitglied der sächsischen Kammer, so würde ich uuter den obwaltenden Umständen
gegen den Anschluß an Preußen stimmen, und hätte ich die Negierung eines
der 26 verbündeten Staaten in Händen, so würde ich bei dem geringste" Ver¬
such des Reichstags, die projectirte Bundesverfassung im Sinn der Gerlach'schen
Partei zu revidiren, meine Genehmigung versagen und meine Abgeordneten augen¬
blicklich zurückziehen.

Es ist nicht sowohl der materielle Inhalt der neuen politischen Bestimmungen,
der es unmöglich macht, sür jetzt auf Preußen irgend welche Hoffnung zu setzen,
als der Ekel, den dieses unausgesetzte Gewebe von Lug und Trug, diese Mischung
von furchtsamer Unentschiedenheit und übermüthiger Willkür auf jedes Gemüth
machen muß, das uoch uicht alles Rechtsgefühls baar ist. Daß diese Ausdrücke
in keiner Weise zu stark sind, beweist ein kurzer Rückblick auf die Thätigkeit der
gegenwärtigen Regierung in der Entwickelung der preußischen wie der deutscheu
Verfassung -- einer Negierung, die, obgleich der charakteristische Ausdruck jener
Halbheit, selbst von der liberalen Partei in Preußen als der letzte Hort der Frei¬
heit verehrt, deren Entfernung als eine Kalamität gefürchtet wird.

Das Ministerium Manteuffel war der Ausdruck der nothwendigen und voll¬
kommen berechtigten Reaction gegen den Auflösungsprozeß der Demokratie im Jahr
>848. Sein gewaltsames Einschreiten, die Auflösung der Nationalversammlung
mit eingerechnet, war durch die Umstände gerechtfertigt; die einseitige Oktroyirnng
der Verfassung vom 5. December nicht nur ein Act der politischen Nothwendigkeit,
sondern auch eine wenn auch unvollkommene Grundlage späterer vernünftiger Ent¬
wickelung. Die gehässigen Schritte, zu denen es sich in der Verfolgung der poli¬
tischen Gegner verleite" ließ, so wie sein mehr als gehässiges Polizeisystem konn¬
ten durch die gereizte Stimmung der Parteien entschuldigt und als vorübergehende
Kalamität hingenommen werden. Das Land erkannte dies relative Recht; in den
beiden Kammern bildete sich eine compacte Majorität, durch ihr nachträgliches
Votum die mangelhafte Legalität der ministeriellen Schritte zu ergänzen. Die von
diesen Kammern vorzunehmende Revision der Verfassung wurde von der Majorität
wie von der Negierung selbst so aufgefaßt, daß alle Punkte der Verfassung, welche
nicht durch einstimmigen Beschluß der drei legislativen Factoren abgeändert wür¬
den, fortan gesetzliche Geltung haben sollten.

Der Conflict mit den Kammern in der deutschen Frage führte zu einer Auf¬
lösung derselben, und diese zu einem Rechtsbruch. In der wohlgegründeten


des Interims, d. h. Oestreichs, niedergelegt hat, das zweite unmöglich, seitdem
Preußen sein eignes parlamentarisches Leben zu einem Possenspiel herabgesetzt hat.
Verstehen Sie mich recht, ich bin noch immer der Ueberzeugung, daß die ver¬
nünftige staatliche Entwickelung nur aus dem einen Wege möglich ist, den wir
eben zu verlassen im Begriff stehen, ich bin aber eben so überzeugt, daß dieser
Weg im gegenwärtigen Augenblicke zu nichts führen würde. Wäre ich jetzt z. B.
Mitglied der sächsischen Kammer, so würde ich uuter den obwaltenden Umständen
gegen den Anschluß an Preußen stimmen, und hätte ich die Negierung eines
der 26 verbündeten Staaten in Händen, so würde ich bei dem geringste» Ver¬
such des Reichstags, die projectirte Bundesverfassung im Sinn der Gerlach'schen
Partei zu revidiren, meine Genehmigung versagen und meine Abgeordneten augen¬
blicklich zurückziehen.

Es ist nicht sowohl der materielle Inhalt der neuen politischen Bestimmungen,
der es unmöglich macht, sür jetzt auf Preußen irgend welche Hoffnung zu setzen,
als der Ekel, den dieses unausgesetzte Gewebe von Lug und Trug, diese Mischung
von furchtsamer Unentschiedenheit und übermüthiger Willkür auf jedes Gemüth
machen muß, das uoch uicht alles Rechtsgefühls baar ist. Daß diese Ausdrücke
in keiner Weise zu stark sind, beweist ein kurzer Rückblick auf die Thätigkeit der
gegenwärtigen Regierung in der Entwickelung der preußischen wie der deutscheu
Verfassung — einer Negierung, die, obgleich der charakteristische Ausdruck jener
Halbheit, selbst von der liberalen Partei in Preußen als der letzte Hort der Frei¬
heit verehrt, deren Entfernung als eine Kalamität gefürchtet wird.

Das Ministerium Manteuffel war der Ausdruck der nothwendigen und voll¬
kommen berechtigten Reaction gegen den Auflösungsprozeß der Demokratie im Jahr
>848. Sein gewaltsames Einschreiten, die Auflösung der Nationalversammlung
mit eingerechnet, war durch die Umstände gerechtfertigt; die einseitige Oktroyirnng
der Verfassung vom 5. December nicht nur ein Act der politischen Nothwendigkeit,
sondern auch eine wenn auch unvollkommene Grundlage späterer vernünftiger Ent¬
wickelung. Die gehässigen Schritte, zu denen es sich in der Verfolgung der poli¬
tischen Gegner verleite» ließ, so wie sein mehr als gehässiges Polizeisystem konn¬
ten durch die gereizte Stimmung der Parteien entschuldigt und als vorübergehende
Kalamität hingenommen werden. Das Land erkannte dies relative Recht; in den
beiden Kammern bildete sich eine compacte Majorität, durch ihr nachträgliches
Votum die mangelhafte Legalität der ministeriellen Schritte zu ergänzen. Die von
diesen Kammern vorzunehmende Revision der Verfassung wurde von der Majorität
wie von der Negierung selbst so aufgefaßt, daß alle Punkte der Verfassung, welche
nicht durch einstimmigen Beschluß der drei legislativen Factoren abgeändert wür¬
den, fortan gesetzliche Geltung haben sollten.

Der Conflict mit den Kammern in der deutschen Frage führte zu einer Auf¬
lösung derselben, und diese zu einem Rechtsbruch. In der wohlgegründeten


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[0210] des Interims, d. h. Oestreichs, niedergelegt hat, das zweite unmöglich, seitdem Preußen sein eignes parlamentarisches Leben zu einem Possenspiel herabgesetzt hat. Verstehen Sie mich recht, ich bin noch immer der Ueberzeugung, daß die ver¬ nünftige staatliche Entwickelung nur aus dem einen Wege möglich ist, den wir eben zu verlassen im Begriff stehen, ich bin aber eben so überzeugt, daß dieser Weg im gegenwärtigen Augenblicke zu nichts führen würde. Wäre ich jetzt z. B. Mitglied der sächsischen Kammer, so würde ich uuter den obwaltenden Umständen gegen den Anschluß an Preußen stimmen, und hätte ich die Negierung eines der 26 verbündeten Staaten in Händen, so würde ich bei dem geringste» Ver¬ such des Reichstags, die projectirte Bundesverfassung im Sinn der Gerlach'schen Partei zu revidiren, meine Genehmigung versagen und meine Abgeordneten augen¬ blicklich zurückziehen. Es ist nicht sowohl der materielle Inhalt der neuen politischen Bestimmungen, der es unmöglich macht, sür jetzt auf Preußen irgend welche Hoffnung zu setzen, als der Ekel, den dieses unausgesetzte Gewebe von Lug und Trug, diese Mischung von furchtsamer Unentschiedenheit und übermüthiger Willkür auf jedes Gemüth machen muß, das uoch uicht alles Rechtsgefühls baar ist. Daß diese Ausdrücke in keiner Weise zu stark sind, beweist ein kurzer Rückblick auf die Thätigkeit der gegenwärtigen Regierung in der Entwickelung der preußischen wie der deutscheu Verfassung — einer Negierung, die, obgleich der charakteristische Ausdruck jener Halbheit, selbst von der liberalen Partei in Preußen als der letzte Hort der Frei¬ heit verehrt, deren Entfernung als eine Kalamität gefürchtet wird. Das Ministerium Manteuffel war der Ausdruck der nothwendigen und voll¬ kommen berechtigten Reaction gegen den Auflösungsprozeß der Demokratie im Jahr >848. Sein gewaltsames Einschreiten, die Auflösung der Nationalversammlung mit eingerechnet, war durch die Umstände gerechtfertigt; die einseitige Oktroyirnng der Verfassung vom 5. December nicht nur ein Act der politischen Nothwendigkeit, sondern auch eine wenn auch unvollkommene Grundlage späterer vernünftiger Ent¬ wickelung. Die gehässigen Schritte, zu denen es sich in der Verfolgung der poli¬ tischen Gegner verleite» ließ, so wie sein mehr als gehässiges Polizeisystem konn¬ ten durch die gereizte Stimmung der Parteien entschuldigt und als vorübergehende Kalamität hingenommen werden. Das Land erkannte dies relative Recht; in den beiden Kammern bildete sich eine compacte Majorität, durch ihr nachträgliches Votum die mangelhafte Legalität der ministeriellen Schritte zu ergänzen. Die von diesen Kammern vorzunehmende Revision der Verfassung wurde von der Majorität wie von der Negierung selbst so aufgefaßt, daß alle Punkte der Verfassung, welche nicht durch einstimmigen Beschluß der drei legislativen Factoren abgeändert wür¬ den, fortan gesetzliche Geltung haben sollten. Der Conflict mit den Kammern in der deutschen Frage führte zu einer Auf¬ lösung derselben, und diese zu einem Rechtsbruch. In der wohlgegründeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/210>, abgerufen am 24.07.2024.