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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Der Schluß der parlamentarischen Komödie in Preußen.
Preußischer Brief.



Es ist lange Zeit her, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe. Bis zum In¬
terim war die Lage der Dinge so, daß man im Wesentlichen mit einer bestimmten
Partei gehen konnte, wenn man auch in einzelnen Punkten von ihr abwich, mit
der Partei des preußischen Bundesstaats. Als Hannover und Sachsen von dem¬
selben abfielen, konnte man sie vom Standpunkt des Rechts und vom Standpunkt
der Zweckmäßigkeit bekämpfen, denn wenn sie dem Bundesstaat beitraten, so ver¬
fielen sie im schlimmsten Fall der preußischen Hegemonie, thaten sie es nicht, so
geriethen sie zugleich in die Abhängigkeit von Oestreich und Preußen. Und es ist
immer besser, einem Herrn zu dienen, als zweien. Seitdem ist aber die Lage der
Dinge eine vollkommen andere geworden. Unsere Partei, die Partei der Ver¬
mittelung, ist jetzt in derselben Lage, wie die Demokraten im Mai des vorigen
Jahres. Preußen hat sich in seine vormärzliche Haltung zurückgefunden, es hat seine
Bundesgenossen verrathen und sich ans Gnade und Ungnade an Oestreich ergeben.
Seit der Erklärung des Herrn v. Schleinitz in der Mecklenburg-Schwerin'schen
Verfassungsfrage ist das Bündniß vom 26. Mai factisch gelöst, seit den 15 Pro¬
positionen dieses Monats und deren Annahme von Seiten der Kummer der letzte
Schein der constitutionellen Staatsform abgestreift. Was unter diesen Umständen
der Reichstag zu Erfurt eigentlich soll, weiß ich nicht zu sagen. Der preußische
Beamtendünkel und der Jnnkerhochmuth wird Gelegenheit nehmen, Alles was
nicht Geheimerath und Baron ist, zu brutalisiren, und über dieser eitlen Lust,
sein Müthchen an den Emporkömmlingen der Revolution zu kühlen, wird man es
aufgeben, irgend einen Gewinn von der Bildung einer Partei zu ziehen, die sich
gerade in der letzten Zeit mit einer ganz unerwarteten Schnelligkeit so günstig für
Preußen gestaltete, wie es früher die kühnsten Träume nicht erwartet hatten.

Was die kleinen Staaten zum Anschluß an Preußen drängte, waren zwei
Umstände: das Bedürfniß eines mächtigen Schutzes gegen die Demokraten, und
das Streben, an einer großen staatliche" Entwickelung Theil zu nehmen. Das
erste ist nicht mehr nöthig, seitdem Preußen sein Schwert demüthig zu den Füßen


Grenzboten. >. I8S0. 26
Der Schluß der parlamentarischen Komödie in Preußen.
Preußischer Brief.



Es ist lange Zeit her, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe. Bis zum In¬
terim war die Lage der Dinge so, daß man im Wesentlichen mit einer bestimmten
Partei gehen konnte, wenn man auch in einzelnen Punkten von ihr abwich, mit
der Partei des preußischen Bundesstaats. Als Hannover und Sachsen von dem¬
selben abfielen, konnte man sie vom Standpunkt des Rechts und vom Standpunkt
der Zweckmäßigkeit bekämpfen, denn wenn sie dem Bundesstaat beitraten, so ver¬
fielen sie im schlimmsten Fall der preußischen Hegemonie, thaten sie es nicht, so
geriethen sie zugleich in die Abhängigkeit von Oestreich und Preußen. Und es ist
immer besser, einem Herrn zu dienen, als zweien. Seitdem ist aber die Lage der
Dinge eine vollkommen andere geworden. Unsere Partei, die Partei der Ver¬
mittelung, ist jetzt in derselben Lage, wie die Demokraten im Mai des vorigen
Jahres. Preußen hat sich in seine vormärzliche Haltung zurückgefunden, es hat seine
Bundesgenossen verrathen und sich ans Gnade und Ungnade an Oestreich ergeben.
Seit der Erklärung des Herrn v. Schleinitz in der Mecklenburg-Schwerin'schen
Verfassungsfrage ist das Bündniß vom 26. Mai factisch gelöst, seit den 15 Pro¬
positionen dieses Monats und deren Annahme von Seiten der Kummer der letzte
Schein der constitutionellen Staatsform abgestreift. Was unter diesen Umständen
der Reichstag zu Erfurt eigentlich soll, weiß ich nicht zu sagen. Der preußische
Beamtendünkel und der Jnnkerhochmuth wird Gelegenheit nehmen, Alles was
nicht Geheimerath und Baron ist, zu brutalisiren, und über dieser eitlen Lust,
sein Müthchen an den Emporkömmlingen der Revolution zu kühlen, wird man es
aufgeben, irgend einen Gewinn von der Bildung einer Partei zu ziehen, die sich
gerade in der letzten Zeit mit einer ganz unerwarteten Schnelligkeit so günstig für
Preußen gestaltete, wie es früher die kühnsten Träume nicht erwartet hatten.

Was die kleinen Staaten zum Anschluß an Preußen drängte, waren zwei
Umstände: das Bedürfniß eines mächtigen Schutzes gegen die Demokraten, und
das Streben, an einer großen staatliche» Entwickelung Theil zu nehmen. Das
erste ist nicht mehr nöthig, seitdem Preußen sein Schwert demüthig zu den Füßen


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[0209] Der Schluß der parlamentarischen Komödie in Preußen. Preußischer Brief. Es ist lange Zeit her, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe. Bis zum In¬ terim war die Lage der Dinge so, daß man im Wesentlichen mit einer bestimmten Partei gehen konnte, wenn man auch in einzelnen Punkten von ihr abwich, mit der Partei des preußischen Bundesstaats. Als Hannover und Sachsen von dem¬ selben abfielen, konnte man sie vom Standpunkt des Rechts und vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit bekämpfen, denn wenn sie dem Bundesstaat beitraten, so ver¬ fielen sie im schlimmsten Fall der preußischen Hegemonie, thaten sie es nicht, so geriethen sie zugleich in die Abhängigkeit von Oestreich und Preußen. Und es ist immer besser, einem Herrn zu dienen, als zweien. Seitdem ist aber die Lage der Dinge eine vollkommen andere geworden. Unsere Partei, die Partei der Ver¬ mittelung, ist jetzt in derselben Lage, wie die Demokraten im Mai des vorigen Jahres. Preußen hat sich in seine vormärzliche Haltung zurückgefunden, es hat seine Bundesgenossen verrathen und sich ans Gnade und Ungnade an Oestreich ergeben. Seit der Erklärung des Herrn v. Schleinitz in der Mecklenburg-Schwerin'schen Verfassungsfrage ist das Bündniß vom 26. Mai factisch gelöst, seit den 15 Pro¬ positionen dieses Monats und deren Annahme von Seiten der Kummer der letzte Schein der constitutionellen Staatsform abgestreift. Was unter diesen Umständen der Reichstag zu Erfurt eigentlich soll, weiß ich nicht zu sagen. Der preußische Beamtendünkel und der Jnnkerhochmuth wird Gelegenheit nehmen, Alles was nicht Geheimerath und Baron ist, zu brutalisiren, und über dieser eitlen Lust, sein Müthchen an den Emporkömmlingen der Revolution zu kühlen, wird man es aufgeben, irgend einen Gewinn von der Bildung einer Partei zu ziehen, die sich gerade in der letzten Zeit mit einer ganz unerwarteten Schnelligkeit so günstig für Preußen gestaltete, wie es früher die kühnsten Träume nicht erwartet hatten. Was die kleinen Staaten zum Anschluß an Preußen drängte, waren zwei Umstände: das Bedürfniß eines mächtigen Schutzes gegen die Demokraten, und das Streben, an einer großen staatliche» Entwickelung Theil zu nehmen. Das erste ist nicht mehr nöthig, seitdem Preußen sein Schwert demüthig zu den Füßen Grenzboten. >. I8S0. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/209>, abgerufen am 24.07.2024.