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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Dieser Held hatte noch in den letzten Tagen mit seinem Häuflein Wunder der
Tapferkeit gethan. Schon in den letzten Tagen des Juli waren die Russen von
drei Seiten mit einer Macht von 50--60,000 Mann in Siebenbürgen eingefallen.
Nur drei Pässe können den Russen in die Felsenfcstuug Siebenbürgen führen. In
Nordost öffnet sich der Paß von Borgs nach der Bukowina, im Osten der Paß
von Ghymes gegen die Moldau, im Süden die Pforte des rvthui Thurms nach
der Walachei. Die erste und stärkste Abtheilung von etwa 30,000 Mann zog von
der Bukowina durch den Borgopaß gegen Bisztritz und bedrohte Klauscnburg, die
Hauptstadt Siebenbürgens, und in Folge dessen Großwardciu, die Munitions¬
und Gcschützkammer Ungarns und Debreczin; die zweite Abtheilung stand bei
dem Ghymes'schen Paß in der Moldau, bereit in das Szeklerland einzufallen; die
dritte in der Walachei am Nothenthurmpaß bedrohte ganz Herrmannstadt. Bem
hatte sich, verzichtend auf den Glanz großer Siege, mit vieler Selbstverleugnung und
frei von Neid, die schwierige Aufgabe gestellt, die übrigen Feldherren zu schützen,
und auch im schlimmsten Falle Ungarn von dieser Seite zu decken. Er wandte sich
mit dem Kern seines Heeres, bei 18,000 Mann, gegen Bisztritz und operirte hier
mit solchem Erfolg, daß die Russen sich zurückziehen mußten und ihm durch drei
Wochen keinen Fuß breit Landes abgewinnen konnten; bei Ghymes nud dem
rothen Thurm ließ er kleine, aber muthige Besatzungen zurück. Da wiederholte
sich beim rothen Thurm die Scene der griechischen Termopylen. Oberst Kiß, wohl
zu unterscheiden von dein in Arad Hingerichteten General gleichen Namens, stand
hier mit seinen Szeklern, kämpfte und starb wie Leonidas. Einige geflüchtete
Walachen hatten den Russen einen Weg durch das Gebirge gezeigt, der Ungar
wurde umgangen, und von den 1500 neuen Spartanern schlössen mehr als tausend,
ihrem gefallenen Feldherrn folgend, durch ihre Leichname die Pforte des geliebten
Vaterlandes; die übrigen wurden, meist verwundet, gefangen genommen. Bem,
dadurch im Rücken bedroht und in Gefahr, Herrmannstadt zu verlieren, das.seinen
ganzen Kriegsvorrath barg, eilte herbei, schlug die in das Szeklerland eingedrungene
russische Heeresabtheilung in die Flucht, verfolgte sie noch zwei Stationen in die
Walachei, seine Vorhut bis Alma und Troitus vorstreckend und eilte dann schnell
zurück, um Herrmannstadt zu befreien; es gelang ihm auch wirklich, diese Stadt,
die bereits in russischen Händen war, wieder zu erobern, aber nach 24 Stunden
wurde ihm Herrmannstadt wieder entrissen, und ihm blieb mit seinem erschöpften,
auf ein kleines Häuflein geschmolzenen Heere nichts anders übrig, als nach dem
Banat zu ziehen. An der Grenze erhielt er die Nachricht von der Niederlage
Dembinsky's bei Szöregh und die Aufforderung, das Oberkommando zu über¬
nehmen, und er eilte sogleich, seine müden Truppen zurücklassend, dieser Auffor¬
derung zu genügen. Doch hier war Hilfe zu spät, obwohl Bem, als er im
Vecsey'scheu Lager von der Wahrscheinlichkeit einer Schlacht sür heute hörte, so¬
gleich nach Klein-Becskerek eilte; er fand die Heere schon im heißen Kampf be-


Dieser Held hatte noch in den letzten Tagen mit seinem Häuflein Wunder der
Tapferkeit gethan. Schon in den letzten Tagen des Juli waren die Russen von
drei Seiten mit einer Macht von 50—60,000 Mann in Siebenbürgen eingefallen.
Nur drei Pässe können den Russen in die Felsenfcstuug Siebenbürgen führen. In
Nordost öffnet sich der Paß von Borgs nach der Bukowina, im Osten der Paß
von Ghymes gegen die Moldau, im Süden die Pforte des rvthui Thurms nach
der Walachei. Die erste und stärkste Abtheilung von etwa 30,000 Mann zog von
der Bukowina durch den Borgopaß gegen Bisztritz und bedrohte Klauscnburg, die
Hauptstadt Siebenbürgens, und in Folge dessen Großwardciu, die Munitions¬
und Gcschützkammer Ungarns und Debreczin; die zweite Abtheilung stand bei
dem Ghymes'schen Paß in der Moldau, bereit in das Szeklerland einzufallen; die
dritte in der Walachei am Nothenthurmpaß bedrohte ganz Herrmannstadt. Bem
hatte sich, verzichtend auf den Glanz großer Siege, mit vieler Selbstverleugnung und
frei von Neid, die schwierige Aufgabe gestellt, die übrigen Feldherren zu schützen,
und auch im schlimmsten Falle Ungarn von dieser Seite zu decken. Er wandte sich
mit dem Kern seines Heeres, bei 18,000 Mann, gegen Bisztritz und operirte hier
mit solchem Erfolg, daß die Russen sich zurückziehen mußten und ihm durch drei
Wochen keinen Fuß breit Landes abgewinnen konnten; bei Ghymes nud dem
rothen Thurm ließ er kleine, aber muthige Besatzungen zurück. Da wiederholte
sich beim rothen Thurm die Scene der griechischen Termopylen. Oberst Kiß, wohl
zu unterscheiden von dein in Arad Hingerichteten General gleichen Namens, stand
hier mit seinen Szeklern, kämpfte und starb wie Leonidas. Einige geflüchtete
Walachen hatten den Russen einen Weg durch das Gebirge gezeigt, der Ungar
wurde umgangen, und von den 1500 neuen Spartanern schlössen mehr als tausend,
ihrem gefallenen Feldherrn folgend, durch ihre Leichname die Pforte des geliebten
Vaterlandes; die übrigen wurden, meist verwundet, gefangen genommen. Bem,
dadurch im Rücken bedroht und in Gefahr, Herrmannstadt zu verlieren, das.seinen
ganzen Kriegsvorrath barg, eilte herbei, schlug die in das Szeklerland eingedrungene
russische Heeresabtheilung in die Flucht, verfolgte sie noch zwei Stationen in die
Walachei, seine Vorhut bis Alma und Troitus vorstreckend und eilte dann schnell
zurück, um Herrmannstadt zu befreien; es gelang ihm auch wirklich, diese Stadt,
die bereits in russischen Händen war, wieder zu erobern, aber nach 24 Stunden
wurde ihm Herrmannstadt wieder entrissen, und ihm blieb mit seinem erschöpften,
auf ein kleines Häuflein geschmolzenen Heere nichts anders übrig, als nach dem
Banat zu ziehen. An der Grenze erhielt er die Nachricht von der Niederlage
Dembinsky's bei Szöregh und die Aufforderung, das Oberkommando zu über¬
nehmen, und er eilte sogleich, seine müden Truppen zurücklassend, dieser Auffor¬
derung zu genügen. Doch hier war Hilfe zu spät, obwohl Bem, als er im
Vecsey'scheu Lager von der Wahrscheinlichkeit einer Schlacht sür heute hörte, so¬
gleich nach Klein-Becskerek eilte; er fand die Heere schon im heißen Kampf be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/196>, abgerufen am 01.07.2024.