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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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griffen, und schien nur gekommen zu sein, um alle Hoffnungen für Ungarns und
Polens Zukunft schwinden zu sehen, die er zu hegen so sehr berechtigt war.

Dembinsky wurde geschlagen und die Trümmer des letzten ungarischen
Heeres zogen sich nach Lugos. Als ich den unseligen Rückzug oder vielmehr die
Flucht von Temesvar nach Lugos sah, empfand ich, daß man die Größe eines
Heeres am besten aus seinen Trümmern beurtheilen könne. Die geordneten
und strategisch aufgestellten oder gelagerten Schaaren geben einen imposanten,
aber nie vollkommenen Ueberblick über das Ganze: das in seine Theile aufge¬
löste flüchtige Heer zeigt, wie die Ruinen eines großen Säulenwerkes, das un¬
zählige Detail der ungeheuern Massen, die einst das Ganze bildeten, in ihrer
Verschiedenheit, einzeln, nacheinander. Es war ein furchtbar-herrlicher Anblick.
Ich gäbe gern mein Leben, könnte ich das Geschehene ungeschehen machen, aber
nnn, da es so kommen mußte, nehme ich kein Königreich darum, es gesehen zu
haben. --

Am 10. Aug. gegen Mittag erreichte die Vorhut der Flüchtlinge das an beiden
Usern der Tench liegende, am rechten von Walachen, am linken von Deutschen bewohnte
niedliche Städtchen Lugos in der Krassöner Gespannschaft. Dies Städtchen mit seinen
12,000 wohlhabenden Einwohnern, seinen blühenden Fluren und reichen Obst-
gärten liegt in der meist mit schmutzigen walachischen Dörfern besäeten Ge¬
gend, wie eine Oase in ver Wüste, und schien wohl geeignet, ein von Hunger
und dem schmerzlichen Gefühl der erlittenen Niederlage gequältes Heer Trost und
Hilfe spendend aufzunehmen und zu pflegen. Die' wellenförmige Hügelkette zwischen
Temesvar und Lugos sichert gegen plötzliche Verfolgung des siegreichen Feindes,
und das hohe Grenzgebirge Siebenbürgens, das unmittelbar hinter der Stadt
seinen Anfang nimmt, gewährt vor einem etwaigen Ueberfall eine sichere Zufluchts¬
stätte. Leider stehen, auch in diesem Städtchen, wie in vielen Orten Ungarns
und Siebenbürgens, zwei Nationalitäten und Religionen einander feindlich gegen¬
über, und wo der Haß seine Wohnung ausgeschlagen hat, da schwebt ein Fluch
über der friedlosen Stätte. Den sollten auch wir erfahren. -- Es scheint, als,
hätte die Tench, die das Städtchen durchschneidet, die nördlich wohnenden Wa¬
lachen für alle Zeiten von der Civilisation der südlich wohnenden Deutschen ab¬
schneiden und letztere vor deu barbarischen Uebergriffen der ersteren schützen wollen.
Im deutschen Theil schöne/ reinliche Häuser, wohlgefüllte Kaufläden, und jenes
behagliche Aussehen, welches uns wohlhabende Provinzialstädte so wohnlich macht;
im walachischeu Theil schmutzige Holz- und Lehmbnden, vor den Thüren hockende
Faulenzerfiguren, ungastlicher Anblick für den Fremden. Wohl waren die deutschen
Einwohner des ganzen Banats, besonders in dem von walachischen Dörfern ganz
eingeschlossenen Lugos während des ganzen Revvlutionsjahres den feindseligen
Angriffen und Drohungen der unholden Nachbarn ausgesetzt. Erst im Mai 1849,
als Bem im Angesicht der genannten Stadt und bei Karansebes der raitzisch-oft-


griffen, und schien nur gekommen zu sein, um alle Hoffnungen für Ungarns und
Polens Zukunft schwinden zu sehen, die er zu hegen so sehr berechtigt war.

Dembinsky wurde geschlagen und die Trümmer des letzten ungarischen
Heeres zogen sich nach Lugos. Als ich den unseligen Rückzug oder vielmehr die
Flucht von Temesvar nach Lugos sah, empfand ich, daß man die Größe eines
Heeres am besten aus seinen Trümmern beurtheilen könne. Die geordneten
und strategisch aufgestellten oder gelagerten Schaaren geben einen imposanten,
aber nie vollkommenen Ueberblick über das Ganze: das in seine Theile aufge¬
löste flüchtige Heer zeigt, wie die Ruinen eines großen Säulenwerkes, das un¬
zählige Detail der ungeheuern Massen, die einst das Ganze bildeten, in ihrer
Verschiedenheit, einzeln, nacheinander. Es war ein furchtbar-herrlicher Anblick.
Ich gäbe gern mein Leben, könnte ich das Geschehene ungeschehen machen, aber
nnn, da es so kommen mußte, nehme ich kein Königreich darum, es gesehen zu
haben. —

Am 10. Aug. gegen Mittag erreichte die Vorhut der Flüchtlinge das an beiden
Usern der Tench liegende, am rechten von Walachen, am linken von Deutschen bewohnte
niedliche Städtchen Lugos in der Krassöner Gespannschaft. Dies Städtchen mit seinen
12,000 wohlhabenden Einwohnern, seinen blühenden Fluren und reichen Obst-
gärten liegt in der meist mit schmutzigen walachischen Dörfern besäeten Ge¬
gend, wie eine Oase in ver Wüste, und schien wohl geeignet, ein von Hunger
und dem schmerzlichen Gefühl der erlittenen Niederlage gequältes Heer Trost und
Hilfe spendend aufzunehmen und zu pflegen. Die' wellenförmige Hügelkette zwischen
Temesvar und Lugos sichert gegen plötzliche Verfolgung des siegreichen Feindes,
und das hohe Grenzgebirge Siebenbürgens, das unmittelbar hinter der Stadt
seinen Anfang nimmt, gewährt vor einem etwaigen Ueberfall eine sichere Zufluchts¬
stätte. Leider stehen, auch in diesem Städtchen, wie in vielen Orten Ungarns
und Siebenbürgens, zwei Nationalitäten und Religionen einander feindlich gegen¬
über, und wo der Haß seine Wohnung ausgeschlagen hat, da schwebt ein Fluch
über der friedlosen Stätte. Den sollten auch wir erfahren. — Es scheint, als,
hätte die Tench, die das Städtchen durchschneidet, die nördlich wohnenden Wa¬
lachen für alle Zeiten von der Civilisation der südlich wohnenden Deutschen ab¬
schneiden und letztere vor deu barbarischen Uebergriffen der ersteren schützen wollen.
Im deutschen Theil schöne/ reinliche Häuser, wohlgefüllte Kaufläden, und jenes
behagliche Aussehen, welches uns wohlhabende Provinzialstädte so wohnlich macht;
im walachischeu Theil schmutzige Holz- und Lehmbnden, vor den Thüren hockende
Faulenzerfiguren, ungastlicher Anblick für den Fremden. Wohl waren die deutschen
Einwohner des ganzen Banats, besonders in dem von walachischen Dörfern ganz
eingeschlossenen Lugos während des ganzen Revvlutionsjahres den feindseligen
Angriffen und Drohungen der unholden Nachbarn ausgesetzt. Erst im Mai 1849,
als Bem im Angesicht der genannten Stadt und bei Karansebes der raitzisch-oft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/197>, abgerufen am 04.07.2024.