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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ihren Eltern für zwei Jahre so gut als verloren waren. Niemand habe sich die¬
sem Dienst entziehen dürfen, denn selbst in dem Falle, daß eine Magd entfloh,
sei doch ihr Schicksal gewiß gewesen, wenn sie einmal zu ihren Eltern in das
Dorf zurückkehrte und wäre es erst nach zehn Jahren gewesen. So z. B. habe
ein Mädchen unter dem vorigen Grundherrn sich dem Hofdienste durch die Flucht
entzogen und in der Fremde verheirathet. Darauf sei sie zu ihren Eltern in das
Dorf zurückgekehrt. Allein der Herr habe auf ihren Ehestand keine Rücksicht ge¬
nommen, sondern sie als Magd und zugleich ihren Mann als Knecht auf den
Edelhof schaffen lassen und gezwungen, ihre zwei Jahre abzudienen. Jetzt sei
auch von diesem Dienstzwang keine Rede mehr. Als der Herr ungefähr fünf
Monate nach dem Bauernaufstände von Lemberg in sein Dorf zurückgekehrt sei,
habe er mit einem Male alle seine Knechte und Mägde entlassen. Am Abend
aber sei der Oekonom (gleichbedeutend mit Gutsverwalter) von Hütte zu Hütte
mit der Meldung gegangen: der Herr zwinge Niemanden zum Dienste aus dem
Hofe; aber er zahle jetzt nicht mehr den Knechten 12, sondern 30 Gulden, und den
Mägden nicht mehr 5 Gulden und 20 Ellen Weihnachtsleinwand, sondern 16 Gulden
und die Leinwand; zugleich solle kein Dienstbote, mehr gezwungen sein, zwei Jahre
lang zu dienen, sondern das Recht haben jedes Mal am ersten Weihnachtsfeiertage,
am ersten Osterfeiertage, am Tage der Heimsuchung Maria und am Tage des heiligen
Michael in die Hütte der Eltern zurückzugehen, wenn ihm der Dienst nicht weiter
gefalle. Ueber diese neue Einrichtung, erzählte der Bauer vertraulich, sei das ganze
Dorf verdutzt gewesen, und obschon man die Vortheile begriffen habe, so habe sich
doch anfänglich weder Bursch noch Mädchen zum Dienste aus dem Edelhofe ent¬
schließen mögen, so daß der Herr Tagelöhner und einige Dienstboten aus einer
deutschen Colonie habe annehmen müssen. Allein bald haben die Mädchen und
Burschen des Dorfes Muth gewonnen und jetzt drängen sie sich förmlich nach dem
Dienst, vor dem sie früher gelaufen, zumal die Wirthschaften" und der Oekonom
den Befehl erhalten haben, keinen Dienstboten mehr zu schlagen, sondern jedes
Vergehen dem Herrn zu melden. Der Herr selbst züchtige nun zwar seine Leute
noch mit Schlägen, allein er sei sehr mäßig. Oft finde die Strafe jetzt sogar in
einer recht sonderbaren Weise statt. In dieser Woche z. B. sei Folgendes vorge¬
kommen. Eine Magd habe eine andere verführt, ein Stück Schweinfleisch beim
Schlachten ans dem Kessel zu nehmen und zum Müller hinüber zu tragen. Am
Abend haben die drei Personen ihren unrechtmäßigen Schmaus gehalten. Da
habe der Herr die drei Personen vor sich gefordert; die Verführte habe der Ver¬
führerin zehn tüchtige Stockstreiche auf den Hintern geben müssen und ebenso
habe die Verführte von jener fünf Schläge erhalten. Dem Müller dagegen habe
der Herr'erklärt, daß er ihm zwei Gulden als Strafe von seinem Lohne ab¬
ziehen werde und dieses Geld habe er sogleich unter sämmtliche Dienstboten ver.
theilt, welche an der Dieberei nicht Theil genommen haben.


ihren Eltern für zwei Jahre so gut als verloren waren. Niemand habe sich die¬
sem Dienst entziehen dürfen, denn selbst in dem Falle, daß eine Magd entfloh,
sei doch ihr Schicksal gewiß gewesen, wenn sie einmal zu ihren Eltern in das
Dorf zurückkehrte und wäre es erst nach zehn Jahren gewesen. So z. B. habe
ein Mädchen unter dem vorigen Grundherrn sich dem Hofdienste durch die Flucht
entzogen und in der Fremde verheirathet. Darauf sei sie zu ihren Eltern in das
Dorf zurückgekehrt. Allein der Herr habe auf ihren Ehestand keine Rücksicht ge¬
nommen, sondern sie als Magd und zugleich ihren Mann als Knecht auf den
Edelhof schaffen lassen und gezwungen, ihre zwei Jahre abzudienen. Jetzt sei
auch von diesem Dienstzwang keine Rede mehr. Als der Herr ungefähr fünf
Monate nach dem Bauernaufstände von Lemberg in sein Dorf zurückgekehrt sei,
habe er mit einem Male alle seine Knechte und Mägde entlassen. Am Abend
aber sei der Oekonom (gleichbedeutend mit Gutsverwalter) von Hütte zu Hütte
mit der Meldung gegangen: der Herr zwinge Niemanden zum Dienste aus dem
Hofe; aber er zahle jetzt nicht mehr den Knechten 12, sondern 30 Gulden, und den
Mägden nicht mehr 5 Gulden und 20 Ellen Weihnachtsleinwand, sondern 16 Gulden
und die Leinwand; zugleich solle kein Dienstbote, mehr gezwungen sein, zwei Jahre
lang zu dienen, sondern das Recht haben jedes Mal am ersten Weihnachtsfeiertage,
am ersten Osterfeiertage, am Tage der Heimsuchung Maria und am Tage des heiligen
Michael in die Hütte der Eltern zurückzugehen, wenn ihm der Dienst nicht weiter
gefalle. Ueber diese neue Einrichtung, erzählte der Bauer vertraulich, sei das ganze
Dorf verdutzt gewesen, und obschon man die Vortheile begriffen habe, so habe sich
doch anfänglich weder Bursch noch Mädchen zum Dienste aus dem Edelhofe ent¬
schließen mögen, so daß der Herr Tagelöhner und einige Dienstboten aus einer
deutschen Colonie habe annehmen müssen. Allein bald haben die Mädchen und
Burschen des Dorfes Muth gewonnen und jetzt drängen sie sich förmlich nach dem
Dienst, vor dem sie früher gelaufen, zumal die Wirthschaften» und der Oekonom
den Befehl erhalten haben, keinen Dienstboten mehr zu schlagen, sondern jedes
Vergehen dem Herrn zu melden. Der Herr selbst züchtige nun zwar seine Leute
noch mit Schlägen, allein er sei sehr mäßig. Oft finde die Strafe jetzt sogar in
einer recht sonderbaren Weise statt. In dieser Woche z. B. sei Folgendes vorge¬
kommen. Eine Magd habe eine andere verführt, ein Stück Schweinfleisch beim
Schlachten ans dem Kessel zu nehmen und zum Müller hinüber zu tragen. Am
Abend haben die drei Personen ihren unrechtmäßigen Schmaus gehalten. Da
habe der Herr die drei Personen vor sich gefordert; die Verführte habe der Ver¬
führerin zehn tüchtige Stockstreiche auf den Hintern geben müssen und ebenso
habe die Verführte von jener fünf Schläge erhalten. Dem Müller dagegen habe
der Herr'erklärt, daß er ihm zwei Gulden als Strafe von seinem Lohne ab¬
ziehen werde und dieses Geld habe er sogleich unter sämmtliche Dienstboten ver.
theilt, welche an der Dieberei nicht Theil genommen haben.


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[0191] ihren Eltern für zwei Jahre so gut als verloren waren. Niemand habe sich die¬ sem Dienst entziehen dürfen, denn selbst in dem Falle, daß eine Magd entfloh, sei doch ihr Schicksal gewiß gewesen, wenn sie einmal zu ihren Eltern in das Dorf zurückkehrte und wäre es erst nach zehn Jahren gewesen. So z. B. habe ein Mädchen unter dem vorigen Grundherrn sich dem Hofdienste durch die Flucht entzogen und in der Fremde verheirathet. Darauf sei sie zu ihren Eltern in das Dorf zurückgekehrt. Allein der Herr habe auf ihren Ehestand keine Rücksicht ge¬ nommen, sondern sie als Magd und zugleich ihren Mann als Knecht auf den Edelhof schaffen lassen und gezwungen, ihre zwei Jahre abzudienen. Jetzt sei auch von diesem Dienstzwang keine Rede mehr. Als der Herr ungefähr fünf Monate nach dem Bauernaufstände von Lemberg in sein Dorf zurückgekehrt sei, habe er mit einem Male alle seine Knechte und Mägde entlassen. Am Abend aber sei der Oekonom (gleichbedeutend mit Gutsverwalter) von Hütte zu Hütte mit der Meldung gegangen: der Herr zwinge Niemanden zum Dienste aus dem Hofe; aber er zahle jetzt nicht mehr den Knechten 12, sondern 30 Gulden, und den Mägden nicht mehr 5 Gulden und 20 Ellen Weihnachtsleinwand, sondern 16 Gulden und die Leinwand; zugleich solle kein Dienstbote, mehr gezwungen sein, zwei Jahre lang zu dienen, sondern das Recht haben jedes Mal am ersten Weihnachtsfeiertage, am ersten Osterfeiertage, am Tage der Heimsuchung Maria und am Tage des heiligen Michael in die Hütte der Eltern zurückzugehen, wenn ihm der Dienst nicht weiter gefalle. Ueber diese neue Einrichtung, erzählte der Bauer vertraulich, sei das ganze Dorf verdutzt gewesen, und obschon man die Vortheile begriffen habe, so habe sich doch anfänglich weder Bursch noch Mädchen zum Dienste aus dem Edelhofe ent¬ schließen mögen, so daß der Herr Tagelöhner und einige Dienstboten aus einer deutschen Colonie habe annehmen müssen. Allein bald haben die Mädchen und Burschen des Dorfes Muth gewonnen und jetzt drängen sie sich förmlich nach dem Dienst, vor dem sie früher gelaufen, zumal die Wirthschaften» und der Oekonom den Befehl erhalten haben, keinen Dienstboten mehr zu schlagen, sondern jedes Vergehen dem Herrn zu melden. Der Herr selbst züchtige nun zwar seine Leute noch mit Schlägen, allein er sei sehr mäßig. Oft finde die Strafe jetzt sogar in einer recht sonderbaren Weise statt. In dieser Woche z. B. sei Folgendes vorge¬ kommen. Eine Magd habe eine andere verführt, ein Stück Schweinfleisch beim Schlachten ans dem Kessel zu nehmen und zum Müller hinüber zu tragen. Am Abend haben die drei Personen ihren unrechtmäßigen Schmaus gehalten. Da habe der Herr die drei Personen vor sich gefordert; die Verführte habe der Ver¬ führerin zehn tüchtige Stockstreiche auf den Hintern geben müssen und ebenso habe die Verführte von jener fünf Schläge erhalten. Dem Müller dagegen habe der Herr'erklärt, daß er ihm zwei Gulden als Strafe von seinem Lohne ab¬ ziehen werde und dieses Geld habe er sogleich unter sämmtliche Dienstboten ver. theilt, welche an der Dieberei nicht Theil genommen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/191>, abgerufen am 24.07.2024.