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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Welt, ein Ideal des Herzens -- am liebsten den Orient, wie Freiligrath und
viele Andere. Oder endlich man begnügte sich mit der Deklamation gegen dieses
ganze Unwesen, das man durch den einfachen Ausdruck des Mißvergnügens zu
überwältigen glaubte. Das letztere war der Fall der Märzpoeten; sie concentrir-
ten ihre Empfindungen gegen die Zerstreutheit des Zeitalters, und das war ihre
Berechtigung; aber ihre Concentration hatte keinen Inhalt als eben jene Unzu¬
friedenheit, und darin standen sie mit dem Zeitalter auf gleichem Boden.

. Die Kunst der Restauration war ferner Princip los. Die Romantik hatte
sich an so vielerlei einen Glauben aufzuschwatzen gesucht, daß sie zuletzt an gar
nichts glaubte. Heine gefiel sich darin, alles zu lästern, was den Menschen heilig
ist; jetzt soll er sich mit dem lieben Gott wieder ausgesöhnt haben. Kein Wun¬
der, denn sein Atheismus war ja immer nur die Caprice eines eiteln Dilettanten.
Den Mangel einer festen Haltung, ohne die keine Kraft besteht, suchte man durch
eine gewaltsame Ueberspannung, durch einen künstlichen Opiumrausch zu ersetzen;
weil man herzlos war, erfand man raffinirte Herzensgeschichten; weil man die
Sprache der Natur verloren hatte, stammelte man in wunderlichen Jnterjectivnen
der Empfindung, deren vermeintliche Tiefe nur in der vollkommenen Unklarheit
lag, und wenn man aus der abstracten Innerlichkeit Stimmungen heraufbeschwor,
die Niemand verstehen konnte, weil sie außer allem vernünftigen Zusammenhang
lagen, so schielte man doch in jedem Augenblick nach den Mienen eines verehrungs-
würdigen Publikums, dessen Geschmack für das Originelle, d. h. Sinnlose man
.eigentlich zu kitzeln bemüht war. An dieser schlechten Coquetterie ist z. B. Gutz-
kow zu Grunde gegangen. Die Märzpoeten machten es mit dem Princip wie mit
dem Inhalt; sie sangen sich vor: mit Empfindsamkeit ist es nichts, das frivole
Spiel des sentimentalen Atheismus kann das Herz nicht erwärmen, der Mensch
muß einen Glauben, eine Ueberzeugung, ein sittliches Princip, eine Religion haben,
die alten sind todt, also ein neues Evangelium, Hurrah der Freiheit und es lebe
die Revolution! Und wer diese Religion nicht anerkennt, ist ein Verräther oder
ein Dummkopf. Berechtigt in ihrer Empfindung, waren sie in der Ausbildung
derselben ebenso prineiplos als ihre Gegner; denn der willkürlichen Versicherung,
daß man eine Religion haben müsse, läßt sich eben so gut eine andere entgegen¬
stellen. Statt zu beweisen, d. h. in lebendiger Anschaulichkeit darzustellen, was
sie glauben, lästerten sie auf die Ungläubigen, und es fehlte ihnen zum zweiten
Mahomet nur eine Kleinigkeit: das Feuer und der Beruf dieses Propheten.

Wenn die Kunst ohne Inhalt und ohne sittliches Princip in der Irre um¬
herwankte, so war es eine unabweisbare Folge, daß sie auch keinen entsprechenden
Ausdruck fand. Sie war formlos. Die Sophistik, mit welcher man alle sitt¬
lichen Bestimmungen so lange hin- und hergewendet hatte, bis nicht nur das
natürliche Gefühl für Recht und Unrecht, sondern auch die Empfindung für das


Grenzboten, l. 1850. 2

Welt, ein Ideal des Herzens — am liebsten den Orient, wie Freiligrath und
viele Andere. Oder endlich man begnügte sich mit der Deklamation gegen dieses
ganze Unwesen, das man durch den einfachen Ausdruck des Mißvergnügens zu
überwältigen glaubte. Das letztere war der Fall der Märzpoeten; sie concentrir-
ten ihre Empfindungen gegen die Zerstreutheit des Zeitalters, und das war ihre
Berechtigung; aber ihre Concentration hatte keinen Inhalt als eben jene Unzu¬
friedenheit, und darin standen sie mit dem Zeitalter auf gleichem Boden.

. Die Kunst der Restauration war ferner Princip los. Die Romantik hatte
sich an so vielerlei einen Glauben aufzuschwatzen gesucht, daß sie zuletzt an gar
nichts glaubte. Heine gefiel sich darin, alles zu lästern, was den Menschen heilig
ist; jetzt soll er sich mit dem lieben Gott wieder ausgesöhnt haben. Kein Wun¬
der, denn sein Atheismus war ja immer nur die Caprice eines eiteln Dilettanten.
Den Mangel einer festen Haltung, ohne die keine Kraft besteht, suchte man durch
eine gewaltsame Ueberspannung, durch einen künstlichen Opiumrausch zu ersetzen;
weil man herzlos war, erfand man raffinirte Herzensgeschichten; weil man die
Sprache der Natur verloren hatte, stammelte man in wunderlichen Jnterjectivnen
der Empfindung, deren vermeintliche Tiefe nur in der vollkommenen Unklarheit
lag, und wenn man aus der abstracten Innerlichkeit Stimmungen heraufbeschwor,
die Niemand verstehen konnte, weil sie außer allem vernünftigen Zusammenhang
lagen, so schielte man doch in jedem Augenblick nach den Mienen eines verehrungs-
würdigen Publikums, dessen Geschmack für das Originelle, d. h. Sinnlose man
.eigentlich zu kitzeln bemüht war. An dieser schlechten Coquetterie ist z. B. Gutz-
kow zu Grunde gegangen. Die Märzpoeten machten es mit dem Princip wie mit
dem Inhalt; sie sangen sich vor: mit Empfindsamkeit ist es nichts, das frivole
Spiel des sentimentalen Atheismus kann das Herz nicht erwärmen, der Mensch
muß einen Glauben, eine Ueberzeugung, ein sittliches Princip, eine Religion haben,
die alten sind todt, also ein neues Evangelium, Hurrah der Freiheit und es lebe
die Revolution! Und wer diese Religion nicht anerkennt, ist ein Verräther oder
ein Dummkopf. Berechtigt in ihrer Empfindung, waren sie in der Ausbildung
derselben ebenso prineiplos als ihre Gegner; denn der willkürlichen Versicherung,
daß man eine Religion haben müsse, läßt sich eben so gut eine andere entgegen¬
stellen. Statt zu beweisen, d. h. in lebendiger Anschaulichkeit darzustellen, was
sie glauben, lästerten sie auf die Ungläubigen, und es fehlte ihnen zum zweiten
Mahomet nur eine Kleinigkeit: das Feuer und der Beruf dieses Propheten.

Wenn die Kunst ohne Inhalt und ohne sittliches Princip in der Irre um¬
herwankte, so war es eine unabweisbare Folge, daß sie auch keinen entsprechenden
Ausdruck fand. Sie war formlos. Die Sophistik, mit welcher man alle sitt¬
lichen Bestimmungen so lange hin- und hergewendet hatte, bis nicht nur das
natürliche Gefühl für Recht und Unrecht, sondern auch die Empfindung für das


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[0017] Welt, ein Ideal des Herzens — am liebsten den Orient, wie Freiligrath und viele Andere. Oder endlich man begnügte sich mit der Deklamation gegen dieses ganze Unwesen, das man durch den einfachen Ausdruck des Mißvergnügens zu überwältigen glaubte. Das letztere war der Fall der Märzpoeten; sie concentrir- ten ihre Empfindungen gegen die Zerstreutheit des Zeitalters, und das war ihre Berechtigung; aber ihre Concentration hatte keinen Inhalt als eben jene Unzu¬ friedenheit, und darin standen sie mit dem Zeitalter auf gleichem Boden. . Die Kunst der Restauration war ferner Princip los. Die Romantik hatte sich an so vielerlei einen Glauben aufzuschwatzen gesucht, daß sie zuletzt an gar nichts glaubte. Heine gefiel sich darin, alles zu lästern, was den Menschen heilig ist; jetzt soll er sich mit dem lieben Gott wieder ausgesöhnt haben. Kein Wun¬ der, denn sein Atheismus war ja immer nur die Caprice eines eiteln Dilettanten. Den Mangel einer festen Haltung, ohne die keine Kraft besteht, suchte man durch eine gewaltsame Ueberspannung, durch einen künstlichen Opiumrausch zu ersetzen; weil man herzlos war, erfand man raffinirte Herzensgeschichten; weil man die Sprache der Natur verloren hatte, stammelte man in wunderlichen Jnterjectivnen der Empfindung, deren vermeintliche Tiefe nur in der vollkommenen Unklarheit lag, und wenn man aus der abstracten Innerlichkeit Stimmungen heraufbeschwor, die Niemand verstehen konnte, weil sie außer allem vernünftigen Zusammenhang lagen, so schielte man doch in jedem Augenblick nach den Mienen eines verehrungs- würdigen Publikums, dessen Geschmack für das Originelle, d. h. Sinnlose man .eigentlich zu kitzeln bemüht war. An dieser schlechten Coquetterie ist z. B. Gutz- kow zu Grunde gegangen. Die Märzpoeten machten es mit dem Princip wie mit dem Inhalt; sie sangen sich vor: mit Empfindsamkeit ist es nichts, das frivole Spiel des sentimentalen Atheismus kann das Herz nicht erwärmen, der Mensch muß einen Glauben, eine Ueberzeugung, ein sittliches Princip, eine Religion haben, die alten sind todt, also ein neues Evangelium, Hurrah der Freiheit und es lebe die Revolution! Und wer diese Religion nicht anerkennt, ist ein Verräther oder ein Dummkopf. Berechtigt in ihrer Empfindung, waren sie in der Ausbildung derselben ebenso prineiplos als ihre Gegner; denn der willkürlichen Versicherung, daß man eine Religion haben müsse, läßt sich eben so gut eine andere entgegen¬ stellen. Statt zu beweisen, d. h. in lebendiger Anschaulichkeit darzustellen, was sie glauben, lästerten sie auf die Ungläubigen, und es fehlte ihnen zum zweiten Mahomet nur eine Kleinigkeit: das Feuer und der Beruf dieses Propheten. Wenn die Kunst ohne Inhalt und ohne sittliches Princip in der Irre um¬ herwankte, so war es eine unabweisbare Folge, daß sie auch keinen entsprechenden Ausdruck fand. Sie war formlos. Die Sophistik, mit welcher man alle sitt¬ lichen Bestimmungen so lange hin- und hergewendet hatte, bis nicht nur das natürliche Gefühl für Recht und Unrecht, sondern auch die Empfindung für das Grenzboten, l. 1850. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/17>, abgerufen am 20.06.2024.