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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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wirklicher Blasirtheit. Daß sie das Letztere nicht sind, zeigt der große Schwung,
den die deutsche Wissenschaft -- und nicht blos die alexandrinische des Sammelns
-- in unsern: Jahrhundert genommen hat; zeigt die große Liebe, die wir in den
wechselnden Schicksalen unserer Revolution ausgegeben haben; zeigen endlich ein¬
zelne Erscheinungen der Kunst, auf die wir noch zurückkommen.

Der Grundfehler liegt vielmehr darin, daß die deutsche Kunst sich in den Reich¬
thum der gegenständlichen Welt nicht zu finden wußte, und im Dilettantis¬
mus stecken blieb. Weil es mit der deutschen Politik derselbe Fall war, ka¬
men wir darin auch nicht weiter, und die Wissenschaft, die es ernst nahm mit ihren
Studien wie mit ihren Principien, war der einzige Boden der geistigen Ent¬
wickelung.

Die Kunst der Restauration war einmal inhaltlos. Ihre Quells war die
Romantik, welche mit der oberflächlichen Universalität einer halben Bildung"die
Pagoden von Japan, die Vasen von Pompeji, die Heiligenbilder der rheinisch-
byzantinischen Schule und die neumodischen Abstractionen in einem großen Naritä-
tenkram aufspeicherte, und sich in kindischem Behagen an diesen bunten Bildern
ergötzte, ohne für irgend eines derselben die Liebe mitzubringen, ohne welche kein
Studium und keine Kunst gedeiht. Wo das Auge von Masken aus aller Herren
Ländern übersättigt ist, kann nur noch die vollendete Unnatur es reizen und die
echten Virtuosen der neuen Schule, Hoffmann u. f. w. beschworen alle Teufel,
Hexen, Gespenster -- alle die zwecklosen Combinationen von Thier- und Mett-
schenleibern aus der Unterwelt herauf, welche der phantastische Pinsel eines Breu-
ghel, Hieronimus Bosch, Jakob Callot einem aus ähnliche Weise verwilderten
Zeitalter dargestellt hatte. Der Mangel an Gestaltungskraft -- der übrigens bei
der Nothwendigkeit, die irrationelle Fülle überlieferter Vorstellungen dnrch Analyse,
durch Kritik zu überwinden, wohl zu begreifen und zu rechtfertigen ist führte,
wenn man dennoch gestalten wollte, zur Lüge und zur Unnatur. Man stellte sich,
weil man zu faul war, die Wirklichkeit mühsam zu erforschen, eingebildete, un¬
mögliche Aufgaben, die aber zu ihrer Lösung einen Virtuosen verlangten, wie z.B.
Arnim die Gestalt jenes Bärenhäuters, der halb todt halb lebendig ist, und in
welchem das lebendige Fleisch in das todte einwächst. Oder man heftete sich wie
eine Schlingpflanze, in einfach ironischem Gegensatz an das Bestehende, und ver¬
folgte seine einzelnen Bewegungen mit trägem Spott, ohne sich die Mühe zu
nehmen, sie als Totalität zu begreifen. So Immermann in seinem Münchhausen,
Epigonen, Gutzkow in seinen Romanen. Das Höchste glaubte man erreicht zu
haben, wenn man beides -- die phantastische, außerweltliche, gespreizte Poesie
und die Prosa der Jronisirung alles Wirklichen in einander verflocht. Heine ist
darin Vorbild geblieben; kein späterer hat ihn erreicht. Oder man hielt sich an
das einfache Virtuosenthum; man construirte sich aus gelehrten Reminiscenzen
und eignen Phantasien eine eigne, der Wirklichkeit so fern als möglich stehende


wirklicher Blasirtheit. Daß sie das Letztere nicht sind, zeigt der große Schwung,
den die deutsche Wissenschaft — und nicht blos die alexandrinische des Sammelns
— in unsern: Jahrhundert genommen hat; zeigt die große Liebe, die wir in den
wechselnden Schicksalen unserer Revolution ausgegeben haben; zeigen endlich ein¬
zelne Erscheinungen der Kunst, auf die wir noch zurückkommen.

Der Grundfehler liegt vielmehr darin, daß die deutsche Kunst sich in den Reich¬
thum der gegenständlichen Welt nicht zu finden wußte, und im Dilettantis¬
mus stecken blieb. Weil es mit der deutschen Politik derselbe Fall war, ka¬
men wir darin auch nicht weiter, und die Wissenschaft, die es ernst nahm mit ihren
Studien wie mit ihren Principien, war der einzige Boden der geistigen Ent¬
wickelung.

Die Kunst der Restauration war einmal inhaltlos. Ihre Quells war die
Romantik, welche mit der oberflächlichen Universalität einer halben Bildung»die
Pagoden von Japan, die Vasen von Pompeji, die Heiligenbilder der rheinisch-
byzantinischen Schule und die neumodischen Abstractionen in einem großen Naritä-
tenkram aufspeicherte, und sich in kindischem Behagen an diesen bunten Bildern
ergötzte, ohne für irgend eines derselben die Liebe mitzubringen, ohne welche kein
Studium und keine Kunst gedeiht. Wo das Auge von Masken aus aller Herren
Ländern übersättigt ist, kann nur noch die vollendete Unnatur es reizen und die
echten Virtuosen der neuen Schule, Hoffmann u. f. w. beschworen alle Teufel,
Hexen, Gespenster — alle die zwecklosen Combinationen von Thier- und Mett-
schenleibern aus der Unterwelt herauf, welche der phantastische Pinsel eines Breu-
ghel, Hieronimus Bosch, Jakob Callot einem aus ähnliche Weise verwilderten
Zeitalter dargestellt hatte. Der Mangel an Gestaltungskraft — der übrigens bei
der Nothwendigkeit, die irrationelle Fülle überlieferter Vorstellungen dnrch Analyse,
durch Kritik zu überwinden, wohl zu begreifen und zu rechtfertigen ist führte,
wenn man dennoch gestalten wollte, zur Lüge und zur Unnatur. Man stellte sich,
weil man zu faul war, die Wirklichkeit mühsam zu erforschen, eingebildete, un¬
mögliche Aufgaben, die aber zu ihrer Lösung einen Virtuosen verlangten, wie z.B.
Arnim die Gestalt jenes Bärenhäuters, der halb todt halb lebendig ist, und in
welchem das lebendige Fleisch in das todte einwächst. Oder man heftete sich wie
eine Schlingpflanze, in einfach ironischem Gegensatz an das Bestehende, und ver¬
folgte seine einzelnen Bewegungen mit trägem Spott, ohne sich die Mühe zu
nehmen, sie als Totalität zu begreifen. So Immermann in seinem Münchhausen,
Epigonen, Gutzkow in seinen Romanen. Das Höchste glaubte man erreicht zu
haben, wenn man beides — die phantastische, außerweltliche, gespreizte Poesie
und die Prosa der Jronisirung alles Wirklichen in einander verflocht. Heine ist
darin Vorbild geblieben; kein späterer hat ihn erreicht. Oder man hielt sich an
das einfache Virtuosenthum; man construirte sich aus gelehrten Reminiscenzen
und eignen Phantasien eine eigne, der Wirklichkeit so fern als möglich stehende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/16>, abgerufen am 20.06.2024.