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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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wie Einige sagen, oder der Regierung, wie Andere wollen, ist uns gleichgiltig,
genug es wurde mit Leib und Seele ministeriell, blieb es, nachdem Stadion sich
zurückzog, und würde es allem Anscheine uach bleiben, wenn Bach und Schwar¬
zenberg durch Haynau und Windischgrätz ersetzt würden. Mr. Warrens überließ
Amerika seinem Schicksal und widmete sich mit Haut und Haar dem Wiederauf¬
bau von Oestreich.

Zu diesem Zweck beschränkte er seine Thätigkeit auf ein ganz einfaches Ma¬
növer. Jeden Morgen warf er, wie der liebe Gott, einen Blick auf die fort¬
schreitende Erschaffung der östreichischen Welt und sah, daß "es gut war." Seine
Leitartikel liefen allen ministeriellen Thaten ein paar Tage lobpreisend voraus und
allen Windungen und Widersprüchen der Regierung rechtfertigend nach. Jeden
Abend verrichtete er seine Andacht vor der Armee und steckte jedem Fuhrwesens-
kvrporal einen Lorbeerbaum in's Knopfloch; der Götzendienst, den der Lloyd mit
der Armee trieb, würde allein, wenn es an anderen Ursachen gefehlt hätte, hin¬
gereicht haben, jene Soldatenüberhebung großzuziehen, die der ministeriellen Partei
selber so oft die Zähne zeigt.

Wer sich die Mühe nehmen will, den letzten Jahrgang des Lloyd zu durch¬
blättern , wird über die Uugenirtheit erstaunen, mit der das Ministerium sich zehn¬
mal in einem Jahre auf den Mund schlägt und über den feierlichen Ton, mit dem
der Lloyd diese moralischen Selbstmorde jedesmal als Proben von antikem Herois¬
mus, als Offenbarungen "höherer Geister" und "klarererIntelligenzen" anstaunt.
Ich will nur einige Beispiele aus dem Gedächtniß anführen. Versetzen wir uus
in den December 48 oder Januar 49 zurück, so sagt Lloyd: -- Preußen oktrvyirt,
solcher Staatsstreiche ist das ehrlich constitutionelle Oestreich unfähig -- die sla¬
vische Partei in Kremfier ist von einem staatsmännischen Geist erfüllt, der dem
englischen Unterhaus Ehre machen würde -- Oestreich ist so wenig ein deutscher
Staat wie Nordamerika ein spanischer ist. -- Lassen wir den April herankommen,
so verdienen die Czechen nach dem Lloyd Ruthcnhicbe, Oestreich ist ein rein
deutscherer Staat als Preußen, und wenn Palmerston noch ein Wort dagegen
sagt, so hält er sich keine vierzehn Tage. -- Ein anderes Beispiel. -- Das Ge¬
rücht von einer russischen Intervention in Ungarn ist eine böswillige Erfindung.
-- Später: Nur vormärzliche Ideologen können befürchten, daß eine Allianz mit
Rußland den leisesten Einfluß auf die constitutionevc Entwicklung Oestreichs haben
könne, zum Beweise schließen sehr oft Staaten von entgegengesetztem Regierungs-
system Bündnisse mit einander, Amerika mit Rußland oder England mit der
Türkei, und doch ist in die englische Verfassung bis jetzt nichts Türkisches, in die
amerikanische nichts Russisches eingedrungen! -- Bewiesen, Punktum! --

Zur Erklärung des groben Cynismus und der plumpen Sophistik, wodurch
der Lloyd seine Leser bald ärgert und bald ergötzt, gehören mehrere Umstände.
Mr. Warrens hat keinen Begriff von Oestreich, er kennt Triest und einige Wiener


wie Einige sagen, oder der Regierung, wie Andere wollen, ist uns gleichgiltig,
genug es wurde mit Leib und Seele ministeriell, blieb es, nachdem Stadion sich
zurückzog, und würde es allem Anscheine uach bleiben, wenn Bach und Schwar¬
zenberg durch Haynau und Windischgrätz ersetzt würden. Mr. Warrens überließ
Amerika seinem Schicksal und widmete sich mit Haut und Haar dem Wiederauf¬
bau von Oestreich.

Zu diesem Zweck beschränkte er seine Thätigkeit auf ein ganz einfaches Ma¬
növer. Jeden Morgen warf er, wie der liebe Gott, einen Blick auf die fort¬
schreitende Erschaffung der östreichischen Welt und sah, daß „es gut war." Seine
Leitartikel liefen allen ministeriellen Thaten ein paar Tage lobpreisend voraus und
allen Windungen und Widersprüchen der Regierung rechtfertigend nach. Jeden
Abend verrichtete er seine Andacht vor der Armee und steckte jedem Fuhrwesens-
kvrporal einen Lorbeerbaum in's Knopfloch; der Götzendienst, den der Lloyd mit
der Armee trieb, würde allein, wenn es an anderen Ursachen gefehlt hätte, hin¬
gereicht haben, jene Soldatenüberhebung großzuziehen, die der ministeriellen Partei
selber so oft die Zähne zeigt.

Wer sich die Mühe nehmen will, den letzten Jahrgang des Lloyd zu durch¬
blättern , wird über die Uugenirtheit erstaunen, mit der das Ministerium sich zehn¬
mal in einem Jahre auf den Mund schlägt und über den feierlichen Ton, mit dem
der Lloyd diese moralischen Selbstmorde jedesmal als Proben von antikem Herois¬
mus, als Offenbarungen „höherer Geister" und „klarererIntelligenzen" anstaunt.
Ich will nur einige Beispiele aus dem Gedächtniß anführen. Versetzen wir uus
in den December 48 oder Januar 49 zurück, so sagt Lloyd: — Preußen oktrvyirt,
solcher Staatsstreiche ist das ehrlich constitutionelle Oestreich unfähig — die sla¬
vische Partei in Kremfier ist von einem staatsmännischen Geist erfüllt, der dem
englischen Unterhaus Ehre machen würde — Oestreich ist so wenig ein deutscher
Staat wie Nordamerika ein spanischer ist. — Lassen wir den April herankommen,
so verdienen die Czechen nach dem Lloyd Ruthcnhicbe, Oestreich ist ein rein
deutscherer Staat als Preußen, und wenn Palmerston noch ein Wort dagegen
sagt, so hält er sich keine vierzehn Tage. — Ein anderes Beispiel. — Das Ge¬
rücht von einer russischen Intervention in Ungarn ist eine böswillige Erfindung.
— Später: Nur vormärzliche Ideologen können befürchten, daß eine Allianz mit
Rußland den leisesten Einfluß auf die constitutionevc Entwicklung Oestreichs haben
könne, zum Beweise schließen sehr oft Staaten von entgegengesetztem Regierungs-
system Bündnisse mit einander, Amerika mit Rußland oder England mit der
Türkei, und doch ist in die englische Verfassung bis jetzt nichts Türkisches, in die
amerikanische nichts Russisches eingedrungen! — Bewiesen, Punktum! —

Zur Erklärung des groben Cynismus und der plumpen Sophistik, wodurch
der Lloyd seine Leser bald ärgert und bald ergötzt, gehören mehrere Umstände.
Mr. Warrens hat keinen Begriff von Oestreich, er kennt Triest und einige Wiener


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[0164] wie Einige sagen, oder der Regierung, wie Andere wollen, ist uns gleichgiltig, genug es wurde mit Leib und Seele ministeriell, blieb es, nachdem Stadion sich zurückzog, und würde es allem Anscheine uach bleiben, wenn Bach und Schwar¬ zenberg durch Haynau und Windischgrätz ersetzt würden. Mr. Warrens überließ Amerika seinem Schicksal und widmete sich mit Haut und Haar dem Wiederauf¬ bau von Oestreich. Zu diesem Zweck beschränkte er seine Thätigkeit auf ein ganz einfaches Ma¬ növer. Jeden Morgen warf er, wie der liebe Gott, einen Blick auf die fort¬ schreitende Erschaffung der östreichischen Welt und sah, daß „es gut war." Seine Leitartikel liefen allen ministeriellen Thaten ein paar Tage lobpreisend voraus und allen Windungen und Widersprüchen der Regierung rechtfertigend nach. Jeden Abend verrichtete er seine Andacht vor der Armee und steckte jedem Fuhrwesens- kvrporal einen Lorbeerbaum in's Knopfloch; der Götzendienst, den der Lloyd mit der Armee trieb, würde allein, wenn es an anderen Ursachen gefehlt hätte, hin¬ gereicht haben, jene Soldatenüberhebung großzuziehen, die der ministeriellen Partei selber so oft die Zähne zeigt. Wer sich die Mühe nehmen will, den letzten Jahrgang des Lloyd zu durch¬ blättern , wird über die Uugenirtheit erstaunen, mit der das Ministerium sich zehn¬ mal in einem Jahre auf den Mund schlägt und über den feierlichen Ton, mit dem der Lloyd diese moralischen Selbstmorde jedesmal als Proben von antikem Herois¬ mus, als Offenbarungen „höherer Geister" und „klarererIntelligenzen" anstaunt. Ich will nur einige Beispiele aus dem Gedächtniß anführen. Versetzen wir uus in den December 48 oder Januar 49 zurück, so sagt Lloyd: — Preußen oktrvyirt, solcher Staatsstreiche ist das ehrlich constitutionelle Oestreich unfähig — die sla¬ vische Partei in Kremfier ist von einem staatsmännischen Geist erfüllt, der dem englischen Unterhaus Ehre machen würde — Oestreich ist so wenig ein deutscher Staat wie Nordamerika ein spanischer ist. — Lassen wir den April herankommen, so verdienen die Czechen nach dem Lloyd Ruthcnhicbe, Oestreich ist ein rein deutscherer Staat als Preußen, und wenn Palmerston noch ein Wort dagegen sagt, so hält er sich keine vierzehn Tage. — Ein anderes Beispiel. — Das Ge¬ rücht von einer russischen Intervention in Ungarn ist eine böswillige Erfindung. — Später: Nur vormärzliche Ideologen können befürchten, daß eine Allianz mit Rußland den leisesten Einfluß auf die constitutionevc Entwicklung Oestreichs haben könne, zum Beweise schließen sehr oft Staaten von entgegengesetztem Regierungs- system Bündnisse mit einander, Amerika mit Rußland oder England mit der Türkei, und doch ist in die englische Verfassung bis jetzt nichts Türkisches, in die amerikanische nichts Russisches eingedrungen! — Bewiesen, Punktum! — Zur Erklärung des groben Cynismus und der plumpen Sophistik, wodurch der Lloyd seine Leser bald ärgert und bald ergötzt, gehören mehrere Umstände. Mr. Warrens hat keinen Begriff von Oestreich, er kennt Triest und einige Wiener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/164>, abgerufen am 01.07.2024.