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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Der heutige Lloyd hat natürlich diese Ermahnungen nicht nöthig. Als im
November 48, eine Woche nach der Einnahme Wiens, einige Blätter wieder er¬
scheinen dursten, trat Herr Bodenstedt von der Redaction des Lloyd zurück, weil
wider seinen Willen ein Leitartikel in'S Blatt sich gedrängt hatte, welcher durch
rohen Profvßenton selbst den conservativen Theil der Bevölkerung verletzte. Seit¬
dem figurirt Herr Löwenthal, welcher die Börsenberichte und Uebersetzungen im
Lloyd besorgt, als Redacteur; der wirkliche geheime Redacteur des Lloyd aber ist
Mr. Warrcuö, ein vertrauter Freund des Ministeriums.

Mr. Warrens, ein Schwede von Geburt, suchte frühzeitig sein Glück in
Nordamerika, wo er sich zum Journalisten ausbildete und Mitarbeiter mehrerer
streng demokratischer Blätter gewesen sein soll; dieser Wirksamkeit verdankte er eine
Anstellung beim amerikanischen Konsulat in Triest, wo er die Bekanntschaft des
Gouverneurs Grafen Station und eines wohlhabenden Kaufmanns, des jetzigen
Handelöministers Brück machte. Er imponirte beiden Herrn durch seiue Vertraut¬
heit mit parlamentarischen Formen und Bräuchen, seine Nedefertigkeit und die
conservative Gesinnung, welche ihm auf östreichischen Boden angeflogen war. Mr.
Warrens macht deu Eindruck eines Gentleman, -- und in allen Privatbeziehun-
geu, sagen die ihn näher kennen, verleugnet er anch niemals den Charakter eines
Gentleman, -- zugleich gibt ihm die unerschütterliche Ruhe und Kälte, die er
unter allen Umständen zu behaupten weiß, ein staatsmännisches Aussehen. Brück
und Stadion bemühten sich daher diese Kapacität für Oestreich zu gewinnen,
und Warrens begeisterte sich so sehr für das Talent Stadion's und die großartige
Aufgabe des Wiederaufbaues von Oestreich, daß er bei Stadion's Eintritt in's
Parlament nach Wien ging und den Verlauf der Revolution als neutraler Beob¬
achter abwartete. Die Octoberkatastrophe brachte seiue Gönner an's Ruder und
schien das Schicksal Oestreichs vollständig in ihre Hände zu geben. Den Reichstag
in Kremster konnte man reden lassen, denn was ihn bisher gehalten hatte, Stu¬
dentenschaft, Nationalgarde, Arbeitervolk, lag an der Kette oder sehnte sich nach
Ruhe. Nichts hinderte das Ministerium an der Ausführung seiner schöpferischen
Pläne; die Monarchie lag wie ein weicher Thouklumpeu zu seinen Füßen und
wartete der Meisterhand Stadion's, bereit sich nach Belieben kneten und bilden zu
lasse". Die Beendigung des ungarischen Krieges hielt man für ein Kinderspiel, weil
Windischgrätz ohne Schwertstreich in Pesth eingezogen war, und dem Fall Vene¬
digs sah man stündlich entgegen. Wie gesagt, das Ministerium Stadion-Bach-
Schwarzeuberg schien allmächtig, Niemand ahnte, daß es den Feldmarschällen so
lang und gehorsam die Schleppe tragen werde, denn die Militärherrschaft erreichte
ihren Gipfelpunkt erst, nachdem Radetzky und Haynau zum letzten Mal die Monar¬
chie gerettet hatten.

In diesem der Negierung so günstigen Augenblick bemächtigte sich Mr. War¬
rens des Lloyd. Ob die Actionäre in Trieft das Blatt Herrn Brück verkauften,


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Der heutige Lloyd hat natürlich diese Ermahnungen nicht nöthig. Als im
November 48, eine Woche nach der Einnahme Wiens, einige Blätter wieder er¬
scheinen dursten, trat Herr Bodenstedt von der Redaction des Lloyd zurück, weil
wider seinen Willen ein Leitartikel in'S Blatt sich gedrängt hatte, welcher durch
rohen Profvßenton selbst den conservativen Theil der Bevölkerung verletzte. Seit¬
dem figurirt Herr Löwenthal, welcher die Börsenberichte und Uebersetzungen im
Lloyd besorgt, als Redacteur; der wirkliche geheime Redacteur des Lloyd aber ist
Mr. Warrcuö, ein vertrauter Freund des Ministeriums.

Mr. Warrens, ein Schwede von Geburt, suchte frühzeitig sein Glück in
Nordamerika, wo er sich zum Journalisten ausbildete und Mitarbeiter mehrerer
streng demokratischer Blätter gewesen sein soll; dieser Wirksamkeit verdankte er eine
Anstellung beim amerikanischen Konsulat in Triest, wo er die Bekanntschaft des
Gouverneurs Grafen Station und eines wohlhabenden Kaufmanns, des jetzigen
Handelöministers Brück machte. Er imponirte beiden Herrn durch seiue Vertraut¬
heit mit parlamentarischen Formen und Bräuchen, seine Nedefertigkeit und die
conservative Gesinnung, welche ihm auf östreichischen Boden angeflogen war. Mr.
Warrens macht deu Eindruck eines Gentleman, — und in allen Privatbeziehun-
geu, sagen die ihn näher kennen, verleugnet er anch niemals den Charakter eines
Gentleman, — zugleich gibt ihm die unerschütterliche Ruhe und Kälte, die er
unter allen Umständen zu behaupten weiß, ein staatsmännisches Aussehen. Brück
und Stadion bemühten sich daher diese Kapacität für Oestreich zu gewinnen,
und Warrens begeisterte sich so sehr für das Talent Stadion's und die großartige
Aufgabe des Wiederaufbaues von Oestreich, daß er bei Stadion's Eintritt in's
Parlament nach Wien ging und den Verlauf der Revolution als neutraler Beob¬
achter abwartete. Die Octoberkatastrophe brachte seiue Gönner an's Ruder und
schien das Schicksal Oestreichs vollständig in ihre Hände zu geben. Den Reichstag
in Kremster konnte man reden lassen, denn was ihn bisher gehalten hatte, Stu¬
dentenschaft, Nationalgarde, Arbeitervolk, lag an der Kette oder sehnte sich nach
Ruhe. Nichts hinderte das Ministerium an der Ausführung seiner schöpferischen
Pläne; die Monarchie lag wie ein weicher Thouklumpeu zu seinen Füßen und
wartete der Meisterhand Stadion's, bereit sich nach Belieben kneten und bilden zu
lasse». Die Beendigung des ungarischen Krieges hielt man für ein Kinderspiel, weil
Windischgrätz ohne Schwertstreich in Pesth eingezogen war, und dem Fall Vene¬
digs sah man stündlich entgegen. Wie gesagt, das Ministerium Stadion-Bach-
Schwarzeuberg schien allmächtig, Niemand ahnte, daß es den Feldmarschällen so
lang und gehorsam die Schleppe tragen werde, denn die Militärherrschaft erreichte
ihren Gipfelpunkt erst, nachdem Radetzky und Haynau zum letzten Mal die Monar¬
chie gerettet hatten.

In diesem der Negierung so günstigen Augenblick bemächtigte sich Mr. War¬
rens des Lloyd. Ob die Actionäre in Trieft das Blatt Herrn Brück verkauften,


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[0163] Der heutige Lloyd hat natürlich diese Ermahnungen nicht nöthig. Als im November 48, eine Woche nach der Einnahme Wiens, einige Blätter wieder er¬ scheinen dursten, trat Herr Bodenstedt von der Redaction des Lloyd zurück, weil wider seinen Willen ein Leitartikel in'S Blatt sich gedrängt hatte, welcher durch rohen Profvßenton selbst den conservativen Theil der Bevölkerung verletzte. Seit¬ dem figurirt Herr Löwenthal, welcher die Börsenberichte und Uebersetzungen im Lloyd besorgt, als Redacteur; der wirkliche geheime Redacteur des Lloyd aber ist Mr. Warrcuö, ein vertrauter Freund des Ministeriums. Mr. Warrens, ein Schwede von Geburt, suchte frühzeitig sein Glück in Nordamerika, wo er sich zum Journalisten ausbildete und Mitarbeiter mehrerer streng demokratischer Blätter gewesen sein soll; dieser Wirksamkeit verdankte er eine Anstellung beim amerikanischen Konsulat in Triest, wo er die Bekanntschaft des Gouverneurs Grafen Station und eines wohlhabenden Kaufmanns, des jetzigen Handelöministers Brück machte. Er imponirte beiden Herrn durch seiue Vertraut¬ heit mit parlamentarischen Formen und Bräuchen, seine Nedefertigkeit und die conservative Gesinnung, welche ihm auf östreichischen Boden angeflogen war. Mr. Warrens macht deu Eindruck eines Gentleman, — und in allen Privatbeziehun- geu, sagen die ihn näher kennen, verleugnet er anch niemals den Charakter eines Gentleman, — zugleich gibt ihm die unerschütterliche Ruhe und Kälte, die er unter allen Umständen zu behaupten weiß, ein staatsmännisches Aussehen. Brück und Stadion bemühten sich daher diese Kapacität für Oestreich zu gewinnen, und Warrens begeisterte sich so sehr für das Talent Stadion's und die großartige Aufgabe des Wiederaufbaues von Oestreich, daß er bei Stadion's Eintritt in's Parlament nach Wien ging und den Verlauf der Revolution als neutraler Beob¬ achter abwartete. Die Octoberkatastrophe brachte seiue Gönner an's Ruder und schien das Schicksal Oestreichs vollständig in ihre Hände zu geben. Den Reichstag in Kremster konnte man reden lassen, denn was ihn bisher gehalten hatte, Stu¬ dentenschaft, Nationalgarde, Arbeitervolk, lag an der Kette oder sehnte sich nach Ruhe. Nichts hinderte das Ministerium an der Ausführung seiner schöpferischen Pläne; die Monarchie lag wie ein weicher Thouklumpeu zu seinen Füßen und wartete der Meisterhand Stadion's, bereit sich nach Belieben kneten und bilden zu lasse». Die Beendigung des ungarischen Krieges hielt man für ein Kinderspiel, weil Windischgrätz ohne Schwertstreich in Pesth eingezogen war, und dem Fall Vene¬ digs sah man stündlich entgegen. Wie gesagt, das Ministerium Stadion-Bach- Schwarzeuberg schien allmächtig, Niemand ahnte, daß es den Feldmarschällen so lang und gehorsam die Schleppe tragen werde, denn die Militärherrschaft erreichte ihren Gipfelpunkt erst, nachdem Radetzky und Haynau zum letzten Mal die Monar¬ chie gerettet hatten. In diesem der Negierung so günstigen Augenblick bemächtigte sich Mr. War¬ rens des Lloyd. Ob die Actionäre in Trieft das Blatt Herrn Brück verkauften, 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/163>, abgerufen am 29.06.2024.