Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stellen; sie vergaßen eben so -- denn ihre Tendenzen gingen über das bloße Ge¬
dicht hinaus -- daß man im Drama eine Person noch nicht dadurch zum Helden
macht, daß man ihr lyrische Reflexionen über die Vortrefflichkeit des werdenden
Jahrhunderts in den Mund legt, oder daß man sie kurzweg den Heldentod sür
die Freiheit sterben läßt, daß die dramatische Größe vielmehr nur in der ent¬
wickelten, vollständig zur Erscheinung gekommenen Kraft liegt, welche der Geist in
dem Conflict mit seinen sittlichen Voraussetzungen aufwendet. Sie vergaßen vor
allen Dingen, daß es ein seltsamer Widerspruch ist, wenn man unaufhörlich, mit
dem Aufwand alles historischen Pathos, dessen man sähig ist, deklamirt: es
sei nicht Zeit zum Deklamiren, sondern zum Handeln.

Es kam der große Tag, an welchem die Sehnsucht zur That wurde. Der
Schwung der Märzrevolution zerriß in der ersten heftigen Bewegung das Gewebe
nicht nur der Restaurationspoesie, welches schou von der jungen Dichtergeneration
als unhaltbar bezeichnet und verspottet war, sondern der Poesie überhaupt. In
Zeiten politischer Aufregung ist es nirgend anders gewesen. Die deutsche Revo¬
lution hatte aber das Eigenthümliche, daß sie an lyrischem Pathos, träumerischem
Wesen, trüber und unklarer Sehnsucht mit den Gedichten ihrer Propheten wett--
eifern konnte. Sie ist jetzt vorüber; die Abdankung ihres Geschöpfes, des Reichs-
verwesers ohne Reich, war ihr letzter Act; die somnambulen Visionen haben, wie
es sich geziemt, in der Burleske ihr Ende gefunden. Die politischen Bestrebungen,
die scheinbar ans den Märztagen entsprangen, sind nichts anders, als die natür¬
liche Fortsetzung der vormärzlichen Entwicklung; namentlich das'von Preußen an¬
gestrebte engere Bündniß, das mit den Ideen der märzlichen Volkssouveränität in
keiner Verbindung steht. Aber wenn die Illusionen jener Tage aufgegeben sind,
so ist ihre Geschichte nicht an uns verloren gegangen, und was wir in ihr gelernt
haben, wird in der neuen Poesie zur Geltung kommen.

Denn eine neue Kunst ist es allerdings, in der wir die alte Zeit begraben
wollen, aber der Gegensatz ist nicht jener äußerliche, wie ihn die jungen Enthu¬
siasten in wohlfeiler Abstraction begreifen. Nicht die/ Ersetzung der Liebesempsin-
dungen durch Freiheitsempfindungen in der Lyrik, der Anekdoten aus dem Privat¬
leben durch Anekdoten aus Revolutionszeiten im Drama, macht die Wiedergeburt
der Poesie. Der Götzendienst wird darum nicht besser, wenn man einen nen auf¬
geputzten Fetisch auf den Altar stellt. Vielmehr muß die Regeneration eine in¬
nerliche sein.

Als das wesentliche Kennzeichen der NestaurationSpoesie, in deren Verwer¬
fung wir mit den Märzpoeten vollkommen einig sind, nur daß wir ihre eignen
Schöpfungen mit in den Kreis ziehn, bezeichnen wir: Mangel an Inhalt, den sie
durch Ueberspannung, Mangel an künstlerischer Form, den sie durch ein spielen¬
des Virtuosenthum zu verdecken sucht. Diese Schwächen erscheinen uns nicht als
die Unvollkommenst eines werdenden Geistes; aber anch nicht als das Zeichen


stellen; sie vergaßen eben so — denn ihre Tendenzen gingen über das bloße Ge¬
dicht hinaus — daß man im Drama eine Person noch nicht dadurch zum Helden
macht, daß man ihr lyrische Reflexionen über die Vortrefflichkeit des werdenden
Jahrhunderts in den Mund legt, oder daß man sie kurzweg den Heldentod sür
die Freiheit sterben läßt, daß die dramatische Größe vielmehr nur in der ent¬
wickelten, vollständig zur Erscheinung gekommenen Kraft liegt, welche der Geist in
dem Conflict mit seinen sittlichen Voraussetzungen aufwendet. Sie vergaßen vor
allen Dingen, daß es ein seltsamer Widerspruch ist, wenn man unaufhörlich, mit
dem Aufwand alles historischen Pathos, dessen man sähig ist, deklamirt: es
sei nicht Zeit zum Deklamiren, sondern zum Handeln.

Es kam der große Tag, an welchem die Sehnsucht zur That wurde. Der
Schwung der Märzrevolution zerriß in der ersten heftigen Bewegung das Gewebe
nicht nur der Restaurationspoesie, welches schou von der jungen Dichtergeneration
als unhaltbar bezeichnet und verspottet war, sondern der Poesie überhaupt. In
Zeiten politischer Aufregung ist es nirgend anders gewesen. Die deutsche Revo¬
lution hatte aber das Eigenthümliche, daß sie an lyrischem Pathos, träumerischem
Wesen, trüber und unklarer Sehnsucht mit den Gedichten ihrer Propheten wett--
eifern konnte. Sie ist jetzt vorüber; die Abdankung ihres Geschöpfes, des Reichs-
verwesers ohne Reich, war ihr letzter Act; die somnambulen Visionen haben, wie
es sich geziemt, in der Burleske ihr Ende gefunden. Die politischen Bestrebungen,
die scheinbar ans den Märztagen entsprangen, sind nichts anders, als die natür¬
liche Fortsetzung der vormärzlichen Entwicklung; namentlich das'von Preußen an¬
gestrebte engere Bündniß, das mit den Ideen der märzlichen Volkssouveränität in
keiner Verbindung steht. Aber wenn die Illusionen jener Tage aufgegeben sind,
so ist ihre Geschichte nicht an uns verloren gegangen, und was wir in ihr gelernt
haben, wird in der neuen Poesie zur Geltung kommen.

Denn eine neue Kunst ist es allerdings, in der wir die alte Zeit begraben
wollen, aber der Gegensatz ist nicht jener äußerliche, wie ihn die jungen Enthu¬
siasten in wohlfeiler Abstraction begreifen. Nicht die/ Ersetzung der Liebesempsin-
dungen durch Freiheitsempfindungen in der Lyrik, der Anekdoten aus dem Privat¬
leben durch Anekdoten aus Revolutionszeiten im Drama, macht die Wiedergeburt
der Poesie. Der Götzendienst wird darum nicht besser, wenn man einen nen auf¬
geputzten Fetisch auf den Altar stellt. Vielmehr muß die Regeneration eine in¬
nerliche sein.

Als das wesentliche Kennzeichen der NestaurationSpoesie, in deren Verwer¬
fung wir mit den Märzpoeten vollkommen einig sind, nur daß wir ihre eignen
Schöpfungen mit in den Kreis ziehn, bezeichnen wir: Mangel an Inhalt, den sie
durch Ueberspannung, Mangel an künstlerischer Form, den sie durch ein spielen¬
des Virtuosenthum zu verdecken sucht. Diese Schwächen erscheinen uns nicht als
die Unvollkommenst eines werdenden Geistes; aber anch nicht als das Zeichen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92838"/>
          <p xml:id="ID_26" prev="#ID_25"> stellen; sie vergaßen eben so &#x2014; denn ihre Tendenzen gingen über das bloße Ge¬<lb/>
dicht hinaus &#x2014; daß man im Drama eine Person noch nicht dadurch zum Helden<lb/>
macht, daß man ihr lyrische Reflexionen über die Vortrefflichkeit des werdenden<lb/>
Jahrhunderts in den Mund legt, oder daß man sie kurzweg den Heldentod sür<lb/>
die Freiheit sterben läßt, daß die dramatische Größe vielmehr nur in der ent¬<lb/>
wickelten, vollständig zur Erscheinung gekommenen Kraft liegt, welche der Geist in<lb/>
dem Conflict mit seinen sittlichen Voraussetzungen aufwendet. Sie vergaßen vor<lb/>
allen Dingen, daß es ein seltsamer Widerspruch ist, wenn man unaufhörlich, mit<lb/>
dem Aufwand alles historischen Pathos, dessen man sähig ist, deklamirt: es<lb/>
sei nicht Zeit zum Deklamiren, sondern zum Handeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Es kam der große Tag, an welchem die Sehnsucht zur That wurde. Der<lb/>
Schwung der Märzrevolution zerriß in der ersten heftigen Bewegung das Gewebe<lb/>
nicht nur der Restaurationspoesie, welches schou von der jungen Dichtergeneration<lb/>
als unhaltbar bezeichnet und verspottet war, sondern der Poesie überhaupt. In<lb/>
Zeiten politischer Aufregung ist es nirgend anders gewesen. Die deutsche Revo¬<lb/>
lution hatte aber das Eigenthümliche, daß sie an lyrischem Pathos, träumerischem<lb/>
Wesen, trüber und unklarer Sehnsucht mit den Gedichten ihrer Propheten wett--<lb/>
eifern konnte. Sie ist jetzt vorüber; die Abdankung ihres Geschöpfes, des Reichs-<lb/>
verwesers ohne Reich, war ihr letzter Act; die somnambulen Visionen haben, wie<lb/>
es sich geziemt, in der Burleske ihr Ende gefunden. Die politischen Bestrebungen,<lb/>
die scheinbar ans den Märztagen entsprangen, sind nichts anders, als die natür¬<lb/>
liche Fortsetzung der vormärzlichen Entwicklung; namentlich das'von Preußen an¬<lb/>
gestrebte engere Bündniß, das mit den Ideen der märzlichen Volkssouveränität in<lb/>
keiner Verbindung steht. Aber wenn die Illusionen jener Tage aufgegeben sind,<lb/>
so ist ihre Geschichte nicht an uns verloren gegangen, und was wir in ihr gelernt<lb/>
haben, wird in der neuen Poesie zur Geltung kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Denn eine neue Kunst ist es allerdings, in der wir die alte Zeit begraben<lb/>
wollen, aber der Gegensatz ist nicht jener äußerliche, wie ihn die jungen Enthu¬<lb/>
siasten in wohlfeiler Abstraction begreifen. Nicht die/ Ersetzung der Liebesempsin-<lb/>
dungen durch Freiheitsempfindungen in der Lyrik, der Anekdoten aus dem Privat¬<lb/>
leben durch Anekdoten aus Revolutionszeiten im Drama, macht die Wiedergeburt<lb/>
der Poesie. Der Götzendienst wird darum nicht besser, wenn man einen nen auf¬<lb/>
geputzten Fetisch auf den Altar stellt. Vielmehr muß die Regeneration eine in¬<lb/>
nerliche sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29" next="#ID_30"> Als das wesentliche Kennzeichen der NestaurationSpoesie, in deren Verwer¬<lb/>
fung wir mit den Märzpoeten vollkommen einig sind, nur daß wir ihre eignen<lb/>
Schöpfungen mit in den Kreis ziehn, bezeichnen wir: Mangel an Inhalt, den sie<lb/>
durch Ueberspannung, Mangel an künstlerischer Form, den sie durch ein spielen¬<lb/>
des Virtuosenthum zu verdecken sucht. Diese Schwächen erscheinen uns nicht als<lb/>
die Unvollkommenst eines werdenden Geistes; aber anch nicht als das Zeichen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] stellen; sie vergaßen eben so — denn ihre Tendenzen gingen über das bloße Ge¬ dicht hinaus — daß man im Drama eine Person noch nicht dadurch zum Helden macht, daß man ihr lyrische Reflexionen über die Vortrefflichkeit des werdenden Jahrhunderts in den Mund legt, oder daß man sie kurzweg den Heldentod sür die Freiheit sterben läßt, daß die dramatische Größe vielmehr nur in der ent¬ wickelten, vollständig zur Erscheinung gekommenen Kraft liegt, welche der Geist in dem Conflict mit seinen sittlichen Voraussetzungen aufwendet. Sie vergaßen vor allen Dingen, daß es ein seltsamer Widerspruch ist, wenn man unaufhörlich, mit dem Aufwand alles historischen Pathos, dessen man sähig ist, deklamirt: es sei nicht Zeit zum Deklamiren, sondern zum Handeln. Es kam der große Tag, an welchem die Sehnsucht zur That wurde. Der Schwung der Märzrevolution zerriß in der ersten heftigen Bewegung das Gewebe nicht nur der Restaurationspoesie, welches schou von der jungen Dichtergeneration als unhaltbar bezeichnet und verspottet war, sondern der Poesie überhaupt. In Zeiten politischer Aufregung ist es nirgend anders gewesen. Die deutsche Revo¬ lution hatte aber das Eigenthümliche, daß sie an lyrischem Pathos, träumerischem Wesen, trüber und unklarer Sehnsucht mit den Gedichten ihrer Propheten wett-- eifern konnte. Sie ist jetzt vorüber; die Abdankung ihres Geschöpfes, des Reichs- verwesers ohne Reich, war ihr letzter Act; die somnambulen Visionen haben, wie es sich geziemt, in der Burleske ihr Ende gefunden. Die politischen Bestrebungen, die scheinbar ans den Märztagen entsprangen, sind nichts anders, als die natür¬ liche Fortsetzung der vormärzlichen Entwicklung; namentlich das'von Preußen an¬ gestrebte engere Bündniß, das mit den Ideen der märzlichen Volkssouveränität in keiner Verbindung steht. Aber wenn die Illusionen jener Tage aufgegeben sind, so ist ihre Geschichte nicht an uns verloren gegangen, und was wir in ihr gelernt haben, wird in der neuen Poesie zur Geltung kommen. Denn eine neue Kunst ist es allerdings, in der wir die alte Zeit begraben wollen, aber der Gegensatz ist nicht jener äußerliche, wie ihn die jungen Enthu¬ siasten in wohlfeiler Abstraction begreifen. Nicht die/ Ersetzung der Liebesempsin- dungen durch Freiheitsempfindungen in der Lyrik, der Anekdoten aus dem Privat¬ leben durch Anekdoten aus Revolutionszeiten im Drama, macht die Wiedergeburt der Poesie. Der Götzendienst wird darum nicht besser, wenn man einen nen auf¬ geputzten Fetisch auf den Altar stellt. Vielmehr muß die Regeneration eine in¬ nerliche sein. Als das wesentliche Kennzeichen der NestaurationSpoesie, in deren Verwer¬ fung wir mit den Märzpoeten vollkommen einig sind, nur daß wir ihre eignen Schöpfungen mit in den Kreis ziehn, bezeichnen wir: Mangel an Inhalt, den sie durch Ueberspannung, Mangel an künstlerischer Form, den sie durch ein spielen¬ des Virtuosenthum zu verdecken sucht. Diese Schwächen erscheinen uns nicht als die Unvollkommenst eines werdenden Geistes; aber anch nicht als das Zeichen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/15>, abgerufen am 20.06.2024.