Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.muntern. Die politische Satyre sei die einzige zweckmäßige Form der neuen War es nun dieser Rath, oder lag es in der Natur der Sache, in dem stillen Die Poesie wird immer nur der heimlichen Welt des Gemüths einen Aus¬ Die jungen Liebhaber glaubten ihren Beruf vorzüglich dadurch bethätigen muntern. Die politische Satyre sei die einzige zweckmäßige Form der neuen War es nun dieser Rath, oder lag es in der Natur der Sache, in dem stillen Die Poesie wird immer nur der heimlichen Welt des Gemüths einen Aus¬ Die jungen Liebhaber glaubten ihren Beruf vorzüglich dadurch bethätigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92837"/> <p xml:id="ID_22" prev="#ID_21"> muntern. Die politische Satyre sei die einzige zweckmäßige Form der neuen<lb/> Dichtung.</p><lb/> <p xml:id="ID_23"> War es nun dieser Rath, oder lag es in der Natur der Sache, in dem stillen<lb/> Zauberschloß der Poesie wurde es auf einmal laut wie in einem Feldlager. Die<lb/> Flöte wich der Trommel und der Querpfeife, und selbst wenn man die alten<lb/> Ländlermelvdien nicht lassen konnte, so wurde ein neuer, heroischer Text einge¬<lb/> schwärzt. Das Lied ermunterte sich selber, nicht mehr Lied zu bleiben.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_24"> Die Poesie wird immer nur der heimlichen Welt des Gemüths einen Aus¬<lb/> druck geben. Es war auch mit der neuen Janitscharenmustk nicht anders. Wer<lb/> sich von dem Lärm der Pauken und Trompeten nicht übertäuben ließ, konnte recht<lb/> wohl die Melodie des alten Sehnsuchtswalzers wieder herauserkennen. Sonst hatte<lb/> sich das junge Herz darüber gequält, ob es denn auch dem lieben Schatz mit den<lb/> kastanienbraunen Locken gefallen, ob es denn hoffen dürfe, eines schönen Morgens<lb/> an der Seite, oder wenn es bescheidener war, zu den Füßen der Angebeteten in<lb/> dem Entzücken befriedigter Liebe schlagen zu dürfen; jetzt fragte es sich zwischen<lb/> Hoffen und Bangen, ob es denn auch wohl groß genug sei, in den lebhafteren<lb/> Regungen des Tages vernehmlich zu bleiben. Dem alten Bild der „ersehnten"<lb/> Geliebten wurde ein neues Costüm angepaßt; man drückte ihr einen Lorbeerkranz<lb/> in die dunkeln Locken, warf ihr einen blutrothen Shawl über die weißen Schul¬<lb/> tern, gab ihr ein Theaterschwert in die Hand, und taufte sie: die Freiheit.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_25" next="#ID_26"> Die jungen Liebhaber glaubten ihren Beruf vorzüglich dadurch bethätigen<lb/> zu müssen, daß sie gegen die alten Poeten ver Nacht, der heimlichen Liebe und<lb/> des Mondscheins eine gründliche Verachtung an den Tag legten. Sie übersahen<lb/> dabei, daß der Gegenstand, auf welchen sich Empfindungen beziehn, den Werth<lb/> derselben nicht bedingt; daß Bilder vom „Völkerfnchling," von dem „brechenden<lb/> Sonnenauge der Freiheit," von dem „blutigen Morgenroth der Zukunft," durch<lb/> die angedeutete Beziehung auf große Begebenheiten, die man zu erwarten habe,<lb/> noch keine innere Kraft, Fülle und Lebendigkeit gewinnen; daß ein Lied nicht<lb/> durch seinen Hintergrund, durch die Anspielungen auf etwas außer ihm Liegendes,<lb/> sondern durch die Macht und Jntensivität der Empfindung getragen wird, und<lb/> daß diese Kraft sich in subjectiven Beziehungen eben so mächtig entwickelt, als in<lb/> dem Hinblick auf allgemeine Angelegenheiten, ja daß die letzteren erst dann einen<lb/> lyrischen Ausdruck verstatten, wenn sie sich in einer subjectiven Beziehung dar-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
muntern. Die politische Satyre sei die einzige zweckmäßige Form der neuen
Dichtung.
War es nun dieser Rath, oder lag es in der Natur der Sache, in dem stillen
Zauberschloß der Poesie wurde es auf einmal laut wie in einem Feldlager. Die
Flöte wich der Trommel und der Querpfeife, und selbst wenn man die alten
Ländlermelvdien nicht lassen konnte, so wurde ein neuer, heroischer Text einge¬
schwärzt. Das Lied ermunterte sich selber, nicht mehr Lied zu bleiben.
Die Poesie wird immer nur der heimlichen Welt des Gemüths einen Aus¬
druck geben. Es war auch mit der neuen Janitscharenmustk nicht anders. Wer
sich von dem Lärm der Pauken und Trompeten nicht übertäuben ließ, konnte recht
wohl die Melodie des alten Sehnsuchtswalzers wieder herauserkennen. Sonst hatte
sich das junge Herz darüber gequält, ob es denn auch dem lieben Schatz mit den
kastanienbraunen Locken gefallen, ob es denn hoffen dürfe, eines schönen Morgens
an der Seite, oder wenn es bescheidener war, zu den Füßen der Angebeteten in
dem Entzücken befriedigter Liebe schlagen zu dürfen; jetzt fragte es sich zwischen
Hoffen und Bangen, ob es denn auch wohl groß genug sei, in den lebhafteren
Regungen des Tages vernehmlich zu bleiben. Dem alten Bild der „ersehnten"
Geliebten wurde ein neues Costüm angepaßt; man drückte ihr einen Lorbeerkranz
in die dunkeln Locken, warf ihr einen blutrothen Shawl über die weißen Schul¬
tern, gab ihr ein Theaterschwert in die Hand, und taufte sie: die Freiheit.
Die jungen Liebhaber glaubten ihren Beruf vorzüglich dadurch bethätigen
zu müssen, daß sie gegen die alten Poeten ver Nacht, der heimlichen Liebe und
des Mondscheins eine gründliche Verachtung an den Tag legten. Sie übersahen
dabei, daß der Gegenstand, auf welchen sich Empfindungen beziehn, den Werth
derselben nicht bedingt; daß Bilder vom „Völkerfnchling," von dem „brechenden
Sonnenauge der Freiheit," von dem „blutigen Morgenroth der Zukunft," durch
die angedeutete Beziehung auf große Begebenheiten, die man zu erwarten habe,
noch keine innere Kraft, Fülle und Lebendigkeit gewinnen; daß ein Lied nicht
durch seinen Hintergrund, durch die Anspielungen auf etwas außer ihm Liegendes,
sondern durch die Macht und Jntensivität der Empfindung getragen wird, und
daß diese Kraft sich in subjectiven Beziehungen eben so mächtig entwickelt, als in
dem Hinblick auf allgemeine Angelegenheiten, ja daß die letzteren erst dann einen
lyrischen Ausdruck verstatten, wenn sie sich in einer subjectiven Beziehung dar-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |