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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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dabei an die Kriegsschiffe, die jedes Haar auf seinem Hanpte bewachen. Wollte
aber ein unseliger Deutscher durch einen ähnlichen Ausbruch des nationalen Selbst¬
gefühls dem Ausland imponiren wollen, so würde weder der edle Lord, der aus Spar¬
samkeitsgründen eine Rheiufahrt macht, noch die schmutzige Theerjacke, die in einer Kneipe
an der Themse Grog trinkt, sich eines kleinen Sneer enthalten können, und sie
würden sich erkundigen, ob Deutschland vielleicht das Reich des Central-Johann
sei, von welchem einige Abgeordnete bei den Staatssekretären Antichambre gemacht
halten, das Reich, dessen sämmtliche Häfen ein Jahr hindurch von einer dänischen
Fregatte in Blockade gehalten wären?

In der Literatur dagegen gibt man sich nicht Mühe, den Geschmack des Pu¬
blikums zu begreifen. Die Autoren - Eitelkeit ist zu groß, um nicht in jedem un¬
genügenden Erfolg eine angelegte Verschwörung gegen die Persönlichkeit des Ver¬
fassers zu suchen. Nun ist die Barbarei der deutschen Literatur so groß, daß man
in jedem Fall, wo nicht das eigene Interesse ins Spiel kommt, dem mißbilligen¬
den Urtheil der Menge beipflichtet; jeder einzelne Schriftsteller ist damit einver¬
standen, daß man von Gutzkow, der Hänke, der Birch, Wilibald Alexis, kurz von
jedem bestimmten Autor nicht viel hält, aber es indignirt ihn, daß man von den
dentschen Autoren überhaupt nicht viel hält. Zuzugeben, daß die Unpopularität
unserer Belletristen in der Natur der Sache liegt, würde als ein Sacrileg an der
Majestät des deutschen Volkes angesehen werden.

Und doch ist es so. Diese Gleichgültigkeit gegen seine Dichter ist von Seiten
des Publikums keine Caprice, es läßt ihnen'nur ihr Recht angedeihen. Wir ha¬
ben Konditoren die Fülle, aber keinen ordentlichen Bäcker, der Hausmannsbrot
zu bereiten verstände. Wir haben alle Ursache, auf die Sommitäten unserer Wis¬
senschaft und Kunst mit Selbstgefühl zu blicken; unsere Bethoven und Hegel, Hum¬
boldt und Ranke, Görhe und Schiller weichen keinem Engländer oder Franzosen.
Aber dann hört eS anch aus. Die Verfertiger unserer Leihbibliothek-Romane
stehen entweder so tief unter dem Niveau der allgemeinen Bildung, daß es Jede",
der nicht Kammerjungfer oder Schwung ist, anwidern muß, sie in die Hand zu
nehmen -- die Clauren, die Schilling n. s. w.; oder sie gehören zu der Klasse
der Geistreichen und sind alsdann so verschroben, so Faustisch, so mcmierirt, daß
sie kaum in einem ästhetischen Thee vorgelesen werden können, was sehr viel ist.
So die Epigonen unseres weimarischen Götzendienstes von der romantischen Schule,
dem jungen Deutschland und der modernen aristokratischen Frisur. In beiden
Fällen ist der Grundfehler der Mangel an Stoff. Unser Leben ist sehr verküm¬
mert, wer es nicht unmittelbar erfahren hat, kann es aus unsern Romanen lernen.
Man geht bis Secunda, um sich zur Laufbahn eiues Postsecretärs vorzubilden,
dann verliebt man sich in irgend eine Putzmacherin, die ein Paar Worte Franzö¬
sisch versteht, wirst ihr auf der städtischen Ressource während einiger verwickelten
Touren im Cvntretanz einige gefährliche Blicke zu, wird seelenvoll angeschaut,


dabei an die Kriegsschiffe, die jedes Haar auf seinem Hanpte bewachen. Wollte
aber ein unseliger Deutscher durch einen ähnlichen Ausbruch des nationalen Selbst¬
gefühls dem Ausland imponiren wollen, so würde weder der edle Lord, der aus Spar¬
samkeitsgründen eine Rheiufahrt macht, noch die schmutzige Theerjacke, die in einer Kneipe
an der Themse Grog trinkt, sich eines kleinen Sneer enthalten können, und sie
würden sich erkundigen, ob Deutschland vielleicht das Reich des Central-Johann
sei, von welchem einige Abgeordnete bei den Staatssekretären Antichambre gemacht
halten, das Reich, dessen sämmtliche Häfen ein Jahr hindurch von einer dänischen
Fregatte in Blockade gehalten wären?

In der Literatur dagegen gibt man sich nicht Mühe, den Geschmack des Pu¬
blikums zu begreifen. Die Autoren - Eitelkeit ist zu groß, um nicht in jedem un¬
genügenden Erfolg eine angelegte Verschwörung gegen die Persönlichkeit des Ver¬
fassers zu suchen. Nun ist die Barbarei der deutschen Literatur so groß, daß man
in jedem Fall, wo nicht das eigene Interesse ins Spiel kommt, dem mißbilligen¬
den Urtheil der Menge beipflichtet; jeder einzelne Schriftsteller ist damit einver¬
standen, daß man von Gutzkow, der Hänke, der Birch, Wilibald Alexis, kurz von
jedem bestimmten Autor nicht viel hält, aber es indignirt ihn, daß man von den
dentschen Autoren überhaupt nicht viel hält. Zuzugeben, daß die Unpopularität
unserer Belletristen in der Natur der Sache liegt, würde als ein Sacrileg an der
Majestät des deutschen Volkes angesehen werden.

Und doch ist es so. Diese Gleichgültigkeit gegen seine Dichter ist von Seiten
des Publikums keine Caprice, es läßt ihnen'nur ihr Recht angedeihen. Wir ha¬
ben Konditoren die Fülle, aber keinen ordentlichen Bäcker, der Hausmannsbrot
zu bereiten verstände. Wir haben alle Ursache, auf die Sommitäten unserer Wis¬
senschaft und Kunst mit Selbstgefühl zu blicken; unsere Bethoven und Hegel, Hum¬
boldt und Ranke, Görhe und Schiller weichen keinem Engländer oder Franzosen.
Aber dann hört eS anch aus. Die Verfertiger unserer Leihbibliothek-Romane
stehen entweder so tief unter dem Niveau der allgemeinen Bildung, daß es Jede»,
der nicht Kammerjungfer oder Schwung ist, anwidern muß, sie in die Hand zu
nehmen — die Clauren, die Schilling n. s. w.; oder sie gehören zu der Klasse
der Geistreichen und sind alsdann so verschroben, so Faustisch, so mcmierirt, daß
sie kaum in einem ästhetischen Thee vorgelesen werden können, was sehr viel ist.
So die Epigonen unseres weimarischen Götzendienstes von der romantischen Schule,
dem jungen Deutschland und der modernen aristokratischen Frisur. In beiden
Fällen ist der Grundfehler der Mangel an Stoff. Unser Leben ist sehr verküm¬
mert, wer es nicht unmittelbar erfahren hat, kann es aus unsern Romanen lernen.
Man geht bis Secunda, um sich zur Laufbahn eiues Postsecretärs vorzubilden,
dann verliebt man sich in irgend eine Putzmacherin, die ein Paar Worte Franzö¬
sisch versteht, wirst ihr auf der städtischen Ressource während einiger verwickelten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/130>, abgerufen am 27.06.2024.