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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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so wenig neu ist, daß sie bereits mit Homer beginnt. Oder meint er, daß zu dem
Knoten der Entscheidung mehrere Fäden führen, die man einzeln abspinnt, bis zu
jeuer Entscheidung, so ist auch das eine Methode, die bereits von sämmtlichen
Romanschreibern angewendet ist. -- Also eine !Mle Phrase. -- "Da liegt die
ganze Welt!" -- Wir wollen abwarten, ob in den "Rittern vom Geist" anch die
Tscherkessen, Abvssinier, Hottentotten n. s. w. eine Rolle spielen, ob sämmtliche
Zeiten darin auftreten, ob außer dem Erdball noch die Monde und die Fixsterne
figuriren; bis jetzt bewegt sich der Roman in dem engen Kreis des bekannten,
von Jean Paul entwickelten Flachsenfingen. Eine Weltanschauung! Eine Feige
für die Phrase! -- "Da begegnen sich Könige und Bettler!" -- Was sie in
Jean Paul, dem eigentlichen Urbild Gutzkow'S, ohne daß er es weiß, anch schon
gethan haben. -- "Die Menschen, die zu der erzählten Geschickte gehören, und
die, die . ..." -- Sonst hielt man es bei einer Erzählung allerdings für nöthig,
daß nichts darin vorkomme, als was dazu gehört; aber Gutzkow will das eigentlich
anch nicht ändern, er meint nnr Figuren anzubringen, deren unmittelbare Beziehung
zu der Haupthandlung man nicht sofort übersieht. Was anch nicht nen ist. --
"Der Stumme redet nnn auch --" -- Redet nnn auch!! Gut. -- "Der Abwe- .
sende spielt nnn auch mit," was er früher, brieflich oder durch Intriguen n. f. w.
gleichfalls gethan hat. -- Ueber die Bedeutuug des neuen Glaubens, der sich
ans dem Romane ergeben soll, rede ich gar nicht, denn eine bloße Combination
von Buchstaben entzieht sich der Kritik. --

Wie ist es nun möglich, daß ein Mensch von leidlichem Verstand einen solchen
Galimathias zu Tage fördern kann? -- Es ist hier nicht jene Ueberreizung des
Gehirns, das in's Unklare geräth, weil es zu Vieles zugleich denken will, sondern
die reine Leere, das blöde Stammeln der Impotenz. -- Es drängt sich dabei der
Vergleich mit Hebbel ans. Unter allen Kritikern habe ich diesen Dichter vielleicht
am schärfsten angegriffen, und leider haben seine späteren Schriften, was ich damals
vielleicht in zu jugendlichem Uebermuth aussprach, ans das vollständigste gerecht¬
fertigt; aber es darf anch nicht verschwiegen werden, daß zwischen den Jrrgängen
eines starken Denkens, welches seine Grenzen überschreitet, und jenem Nadotiren,
das vor den unendlichen Vorbereitungen nie zum Anfang des Denkens kommt,
ein himmelweiter Unterschied besteht. Um ein nicht neues Bild anzuwenden, trägt
bei Hebbel, wie im König Lear, die Vernunft, auch wo sie irre redet, uoch immer
das Diadem ihrer göttlichen Abstammung an der Stirn. Und gerade darum er¬
schreckt sie uns; die Muse der "Ritter vom Geist" ist nicht in Gefahr, geisteskrank
zu werden. --

Wenn wir nun die Vorrede bei Seite lassen und auf den eigentlichen Jubal:
des Romans übergehen, so haben wir in ihm eine Espece jener zahllosen Classe,
die seit der Restaurationszeit bei uns alle übrige Dichtung zu unterdrücken scheint:
der Couversatiousromaue. Es werden verschiedene Personen, die zu unbedeutend


so wenig neu ist, daß sie bereits mit Homer beginnt. Oder meint er, daß zu dem
Knoten der Entscheidung mehrere Fäden führen, die man einzeln abspinnt, bis zu
jeuer Entscheidung, so ist auch das eine Methode, die bereits von sämmtlichen
Romanschreibern angewendet ist. — Also eine !Mle Phrase. — „Da liegt die
ganze Welt!" — Wir wollen abwarten, ob in den „Rittern vom Geist" anch die
Tscherkessen, Abvssinier, Hottentotten n. s. w. eine Rolle spielen, ob sämmtliche
Zeiten darin auftreten, ob außer dem Erdball noch die Monde und die Fixsterne
figuriren; bis jetzt bewegt sich der Roman in dem engen Kreis des bekannten,
von Jean Paul entwickelten Flachsenfingen. Eine Weltanschauung! Eine Feige
für die Phrase! — „Da begegnen sich Könige und Bettler!" — Was sie in
Jean Paul, dem eigentlichen Urbild Gutzkow'S, ohne daß er es weiß, anch schon
gethan haben. — „Die Menschen, die zu der erzählten Geschickte gehören, und
die, die . ..." — Sonst hielt man es bei einer Erzählung allerdings für nöthig,
daß nichts darin vorkomme, als was dazu gehört; aber Gutzkow will das eigentlich
anch nicht ändern, er meint nnr Figuren anzubringen, deren unmittelbare Beziehung
zu der Haupthandlung man nicht sofort übersieht. Was anch nicht nen ist. —
„Der Stumme redet nnn auch —" — Redet nnn auch!! Gut. — „Der Abwe- .
sende spielt nnn auch mit," was er früher, brieflich oder durch Intriguen n. f. w.
gleichfalls gethan hat. — Ueber die Bedeutuug des neuen Glaubens, der sich
ans dem Romane ergeben soll, rede ich gar nicht, denn eine bloße Combination
von Buchstaben entzieht sich der Kritik. —

Wie ist es nun möglich, daß ein Mensch von leidlichem Verstand einen solchen
Galimathias zu Tage fördern kann? — Es ist hier nicht jene Ueberreizung des
Gehirns, das in's Unklare geräth, weil es zu Vieles zugleich denken will, sondern
die reine Leere, das blöde Stammeln der Impotenz. — Es drängt sich dabei der
Vergleich mit Hebbel ans. Unter allen Kritikern habe ich diesen Dichter vielleicht
am schärfsten angegriffen, und leider haben seine späteren Schriften, was ich damals
vielleicht in zu jugendlichem Uebermuth aussprach, ans das vollständigste gerecht¬
fertigt; aber es darf anch nicht verschwiegen werden, daß zwischen den Jrrgängen
eines starken Denkens, welches seine Grenzen überschreitet, und jenem Nadotiren,
das vor den unendlichen Vorbereitungen nie zum Anfang des Denkens kommt,
ein himmelweiter Unterschied besteht. Um ein nicht neues Bild anzuwenden, trägt
bei Hebbel, wie im König Lear, die Vernunft, auch wo sie irre redet, uoch immer
das Diadem ihrer göttlichen Abstammung an der Stirn. Und gerade darum er¬
schreckt sie uns; die Muse der „Ritter vom Geist" ist nicht in Gefahr, geisteskrank
zu werden. —

Wenn wir nun die Vorrede bei Seite lassen und auf den eigentlichen Jubal:
des Romans übergehen, so haben wir in ihm eine Espece jener zahllosen Classe,
die seit der Restaurationszeit bei uns alle übrige Dichtung zu unterdrücken scheint:
der Couversatiousromaue. Es werden verschiedene Personen, die zu unbedeutend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/92>, abgerufen am 27.06.2024.