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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Melodie, während die Germanen von den ältesten Zeiten her erfinderisch waren
in sangbaren Weisen, so daß das Ausmalen der Empfindung dnrch den Rhythmus
bisweilen zur Manier ausartet.

Ein solcher Vergleich drängt sich ans, sobald man das erste beste neueng-
lische Gedicht in die Hand nimmt. Mir fiel, als ich in Tennyson blätterte,
zuerst ein Wiegenliedchen ans; ich sche es her, seiner artigen Melodie wegen.


8weet "na low, sweet ana Iow,
Wmä ol et^e gestern sea,
I.vo, Iow, breiltlu? miet dio^v,
VVinä ol elle v^esteru sea l
Ovvr eile rollinK >vatkrs ge>,
Lome trou elle äropping moon, sua blovv^,
Llow nim ögsin t.0 no;
WInIe in^ little one, ^vitio prete^ vno sleeps.
LIeep "na rohe, Sloop sua rest,
I^lKvr >viI1 come w luce sovil;
l^est, ro8t on moUter's droast,
I^illKer vM como to luce 800n;
I?atKer will come w Ins I)"be in elle rest,
8ilver falls "II out o5 tlo >vest
Ilncler elf silver moon:
8l66p, little one, sloev^. prete^ one, sloep.

Wie viele dergleichen Liedchen hat nicht die englische, wie die deutsche Poesie
schon hervorgebracht, und sie nehmen noch immer kein Ende, eines immer hüb¬
scher als das audere. Das germanische Gemüth ist so reich anch im Kleinsten,
daß es nicht zu erschöpfen ist. --

Alfred Tennyson, geb. 5816, Sohn eines Pfarrers in Lincoln, ist seit
15 Jahren als lyrischer Dichter aufgetreten, und hat eiuen bedeutenden Rang
neben Wordsworth, Coleridge und den übrigen Poeten der contemplativen Schule
eingenommen. Seine ältesten Stücke waren, abgesehen von zerstreuten lyrischen
Gedichten: Nariana in ete Noawcl Kranke, D^lux 8wan, Ite I^ni^ ok
8WIott; später (18^2) gewannen I.oKsw^-bi^U und 'I'wo VoievZ eiuen großen
Ruf; von den neuern hat Ule piineess, n Neale^ bereits die dritte Auflage
erlebt, und das neueste, vor Kurzem erschienene Werk: In Kleinoricnn, wird von
der englischen Kritik als die Krone seiner Schriften gerühmt. I.oIi8l(^-IIaI1 ist
ein Versuch, über den Gefühls-Skepticismus einer Wertherschen Anlage hinaus¬
zukommen; lde ?rinees8 eine Verklärung der Weiblichkeit, die von ihren Ueber-
schreitungen des Geschlechts zurückgeführt wird. In Ucnnoriani häugt mehr dein
sittlich-poetischen Inhalt nach, als durch die Form zusammen; es zerbröckelt sich
in eine Reihe lyrischer Ergüsse, die aber in Stimmung und Tendenz überein¬
stimmen.


Melodie, während die Germanen von den ältesten Zeiten her erfinderisch waren
in sangbaren Weisen, so daß das Ausmalen der Empfindung dnrch den Rhythmus
bisweilen zur Manier ausartet.

Ein solcher Vergleich drängt sich ans, sobald man das erste beste neueng-
lische Gedicht in die Hand nimmt. Mir fiel, als ich in Tennyson blätterte,
zuerst ein Wiegenliedchen ans; ich sche es her, seiner artigen Melodie wegen.


8weet »na low, sweet ana Iow,
Wmä ol et^e gestern sea,
I.vo, Iow, breiltlu? miet dio^v,
VVinä ol elle v^esteru sea l
Ovvr eile rollinK >vatkrs ge>,
Lome trou elle äropping moon, sua blovv^,
Llow nim ögsin t.0 no;
WInIe in^ little one, ^vitio prete^ vno sleeps.
LIeep »na rohe, Sloop sua rest,
I^lKvr >viI1 come w luce sovil;
l^est, ro8t on moUter's droast,
I^illKer vM como to luce 800n;
I?atKer will come w Ins I)»be in elle rest,
8ilver falls »II out o5 tlo >vest
Ilncler elf silver moon:
8l66p, little one, sloev^. prete^ one, sloep.

Wie viele dergleichen Liedchen hat nicht die englische, wie die deutsche Poesie
schon hervorgebracht, und sie nehmen noch immer kein Ende, eines immer hüb¬
scher als das audere. Das germanische Gemüth ist so reich anch im Kleinsten,
daß es nicht zu erschöpfen ist. —

Alfred Tennyson, geb. 5816, Sohn eines Pfarrers in Lincoln, ist seit
15 Jahren als lyrischer Dichter aufgetreten, und hat eiuen bedeutenden Rang
neben Wordsworth, Coleridge und den übrigen Poeten der contemplativen Schule
eingenommen. Seine ältesten Stücke waren, abgesehen von zerstreuten lyrischen
Gedichten: Nariana in ete Noawcl Kranke, D^lux 8wan, Ite I^ni^ ok
8WIott; später (18^2) gewannen I.oKsw^-bi^U und 'I'wo VoievZ eiuen großen
Ruf; von den neuern hat Ule piineess, n Neale^ bereits die dritte Auflage
erlebt, und das neueste, vor Kurzem erschienene Werk: In Kleinoricnn, wird von
der englischen Kritik als die Krone seiner Schriften gerühmt. I.oIi8l(^-IIaI1 ist
ein Versuch, über den Gefühls-Skepticismus einer Wertherschen Anlage hinaus¬
zukommen; lde ?rinees8 eine Verklärung der Weiblichkeit, die von ihren Ueber-
schreitungen des Geschlechts zurückgeführt wird. In Ucnnoriani häugt mehr dein
sittlich-poetischen Inhalt nach, als durch die Form zusammen; es zerbröckelt sich
in eine Reihe lyrischer Ergüsse, die aber in Stimmung und Tendenz überein¬
stimmen.


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[0072] Melodie, während die Germanen von den ältesten Zeiten her erfinderisch waren in sangbaren Weisen, so daß das Ausmalen der Empfindung dnrch den Rhythmus bisweilen zur Manier ausartet. Ein solcher Vergleich drängt sich ans, sobald man das erste beste neueng- lische Gedicht in die Hand nimmt. Mir fiel, als ich in Tennyson blätterte, zuerst ein Wiegenliedchen ans; ich sche es her, seiner artigen Melodie wegen. 8weet »na low, sweet ana Iow, Wmä ol et^e gestern sea, I.vo, Iow, breiltlu? miet dio^v, VVinä ol elle v^esteru sea l Ovvr eile rollinK >vatkrs ge>, Lome trou elle äropping moon, sua blovv^, Llow nim ögsin t.0 no; WInIe in^ little one, ^vitio prete^ vno sleeps. LIeep »na rohe, Sloop sua rest, I^lKvr >viI1 come w luce sovil; l^est, ro8t on moUter's droast, I^illKer vM como to luce 800n; I?atKer will come w Ins I)»be in elle rest, 8ilver falls »II out o5 tlo >vest Ilncler elf silver moon: 8l66p, little one, sloev^. prete^ one, sloep. Wie viele dergleichen Liedchen hat nicht die englische, wie die deutsche Poesie schon hervorgebracht, und sie nehmen noch immer kein Ende, eines immer hüb¬ scher als das audere. Das germanische Gemüth ist so reich anch im Kleinsten, daß es nicht zu erschöpfen ist. — Alfred Tennyson, geb. 5816, Sohn eines Pfarrers in Lincoln, ist seit 15 Jahren als lyrischer Dichter aufgetreten, und hat eiuen bedeutenden Rang neben Wordsworth, Coleridge und den übrigen Poeten der contemplativen Schule eingenommen. Seine ältesten Stücke waren, abgesehen von zerstreuten lyrischen Gedichten: Nariana in ete Noawcl Kranke, D^lux 8wan, Ite I^ni^ ok 8WIott; später (18^2) gewannen I.oKsw^-bi^U und 'I'wo VoievZ eiuen großen Ruf; von den neuern hat Ule piineess, n Neale^ bereits die dritte Auflage erlebt, und das neueste, vor Kurzem erschienene Werk: In Kleinoricnn, wird von der englischen Kritik als die Krone seiner Schriften gerühmt. I.oIi8l(^-IIaI1 ist ein Versuch, über den Gefühls-Skepticismus einer Wertherschen Anlage hinaus¬ zukommen; lde ?rinees8 eine Verklärung der Weiblichkeit, die von ihren Ueber- schreitungen des Geschlechts zurückgeführt wird. In Ucnnoriani häugt mehr dein sittlich-poetischen Inhalt nach, als durch die Form zusammen; es zerbröckelt sich in eine Reihe lyrischer Ergüsse, die aber in Stimmung und Tendenz überein¬ stimmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/72>, abgerufen am 24.08.2024.