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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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sondern voraussichtlich im nächsten Augenblick auch Darmstadt und Würtemberg.
Duldet Preußen eine Occupation dieser Länder, die in seinen natürlichen Nayon
gehören, durch die Armee eines Staats, der seinen politischen Zwecken entschieden
feindlich ist, so spricht es sich damit selbst das Todesurtheil.

Es wäre dies der Augenblick, wo alle Parteien, bei denen der preußische
Patriotismus die Leidenschaft und das Interesse der einseitigen politischen Richtung
überwiegt, sich die Hand reichen müßten, die Regierung zu stützen und zu treiben.,
Unsere Partei wird sich dieser Verpflichtung uicht entziehen, und was auch die
politische Vergangenheit des Herrn von Nadowitz sein möge, wie gerecht die Vor¬
würfe, die wir ihm zu machen haben, wir werden, wenn er es einmal in seinem
Leben lernt, ein Mann zu sein, uus nicht einfallen lassen, die Schwierigkeiten seiner
Lage, die wir uicht verkennen, zu vergrößern, wenn sie anch ans seiner Schuld
hervorgegangen sind, denn es handelt sich nicht um diese oder jene Regierung
Preußens, sondern um Preußen selbst, und uns geht das Vaterland über die Partei.




Kassel und Berlin.

Der Beschluß, den die sogenannte Bundesversammlung in Frankfurt in der
knrhessischeu Frage gefaßt hat, erinnert, unwillkürlich an einen vor nunmehr fast
zwei Jahren ebendort, nur ein paar hundert Schritte vom Buudespalais ent-
ferut, in der Paulskirche gefaßten Beschluß, der auch gegen die Volksvertretung
eines Eiuzelstaats gerichtet war, auch ein Verdammungsurtheil gegen eine Steuer-
verweigerung enthielt, also äußerlich diesem jetzigen gleich und doch innerlich vou
ihm verschieden erscheint.

Die Parallele ist interessant und lehrreich genug, um sie in einigen Zügen
zur Anschauung zu bringen.

Am November 1848 erklärte die verfassunggebende deutsche Nationalver-
sammlung "den auf Suspension der Steuererhebung gerichteten, offenbar rechtswid¬
rigen, die Staatsgesellschaft gefährdenden Beschluß der in Berlin zurückgebliebenen
Versammlung für null und nichtig."

Am 24. September 1850 erklärt ein Congreß von Bevollmächtigten mehrerer
deutschen Regierungen, der sich "Bundestag" nennt, "die knrhessische Steuer-
verweigerung für buudeswidrig und fordert die Regierung zu Herstellung des
gesetzlichen Zustandes durch geeignete Mittel auf, behält sich auch die geeigneten
Maßregeln vor."

Der Act der preußischem Volksvertretung, gegen welchen die deutsche National¬
versammlung einzuschreiten für nothwendig befand, war uicht eine Steuerverwei-
gerung im staatsrechtlichen Sinne, d. h. eine Nichtbewilligung vou Steuern, die


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sondern voraussichtlich im nächsten Augenblick auch Darmstadt und Würtemberg.
Duldet Preußen eine Occupation dieser Länder, die in seinen natürlichen Nayon
gehören, durch die Armee eines Staats, der seinen politischen Zwecken entschieden
feindlich ist, so spricht es sich damit selbst das Todesurtheil.

Es wäre dies der Augenblick, wo alle Parteien, bei denen der preußische
Patriotismus die Leidenschaft und das Interesse der einseitigen politischen Richtung
überwiegt, sich die Hand reichen müßten, die Regierung zu stützen und zu treiben.,
Unsere Partei wird sich dieser Verpflichtung uicht entziehen, und was auch die
politische Vergangenheit des Herrn von Nadowitz sein möge, wie gerecht die Vor¬
würfe, die wir ihm zu machen haben, wir werden, wenn er es einmal in seinem
Leben lernt, ein Mann zu sein, uus nicht einfallen lassen, die Schwierigkeiten seiner
Lage, die wir uicht verkennen, zu vergrößern, wenn sie anch ans seiner Schuld
hervorgegangen sind, denn es handelt sich nicht um diese oder jene Regierung
Preußens, sondern um Preußen selbst, und uns geht das Vaterland über die Partei.




Kassel und Berlin.

Der Beschluß, den die sogenannte Bundesversammlung in Frankfurt in der
knrhessischeu Frage gefaßt hat, erinnert, unwillkürlich an einen vor nunmehr fast
zwei Jahren ebendort, nur ein paar hundert Schritte vom Buudespalais ent-
ferut, in der Paulskirche gefaßten Beschluß, der auch gegen die Volksvertretung
eines Eiuzelstaats gerichtet war, auch ein Verdammungsurtheil gegen eine Steuer-
verweigerung enthielt, also äußerlich diesem jetzigen gleich und doch innerlich vou
ihm verschieden erscheint.

Die Parallele ist interessant und lehrreich genug, um sie in einigen Zügen
zur Anschauung zu bringen.

Am November 1848 erklärte die verfassunggebende deutsche Nationalver-
sammlung „den auf Suspension der Steuererhebung gerichteten, offenbar rechtswid¬
rigen, die Staatsgesellschaft gefährdenden Beschluß der in Berlin zurückgebliebenen
Versammlung für null und nichtig."

Am 24. September 1850 erklärt ein Congreß von Bevollmächtigten mehrerer
deutschen Regierungen, der sich „Bundestag" nennt, „die knrhessische Steuer-
verweigerung für buudeswidrig und fordert die Regierung zu Herstellung des
gesetzlichen Zustandes durch geeignete Mittel auf, behält sich auch die geeigneten
Maßregeln vor."

Der Act der preußischem Volksvertretung, gegen welchen die deutsche National¬
versammlung einzuschreiten für nothwendig befand, war uicht eine Steuerverwei-
gerung im staatsrechtlichen Sinne, d. h. eine Nichtbewilligung vou Steuern, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/67>, abgerufen am 27.07.2024.